Gerstenberger, Heide, und Welke, Ulrich (Hrsg.): Zur See? – Maritime Gewerbe an den Küsten von Nord- und Ostsee; Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1999; Paperback, 161 Seiten; ISBN 3-8969-1450-2; Preis 29,80 D-Mark.
Dieses Büchlein handelt von Menschen, die – im übertragenen Sinne – „mit dem Rücken zum Land“ leben: von den BewohnerInnen der Küstenregion nämlich und ihrem tief verwurzelten Verhältnis sowohl zum Binnenland als auch zum Meer.
Heide Gerstenberger und Ulrich Welke von der Universität Bremen haben sich in den vergangenen Jahren mit diversen Arbeiten zur Schifffahrtsgeschichte einen Ruf weit über Bremen hinaus erarbeitet. Zumindest langjährigen WATERKANT-LeserInnen dürften die Namen der beiden noch vertraut sein, schließlich war ihnen der mehrteilige Aufsatz „Zur Geschichte der Arbeit an Bord“ im Jahre 1992 zu verdanken. Wer sich daran noch erinnert, weiß, dass Gerstenbergers und Welkes Veröffentlichungen sich immer durch klare Sprache und gute Verständlichkeit auszeichnen. Dies macht auch die von ihnen herausgegebene, hier vorliegende Sammlung von acht ineinander greifenden Aufsätzen zu einem Werk, das sich – für Interessierte – hervorragend zum Schmökern eignet.
Das Buch räumt dabei mit so einigen Vorurteilen und verbreiteten Fehlinformationen über die Menschen von der Waterkant gründlich auf. So etwa, wenn Klaus-J. Lorenzen-Schmidt erläutert, dass es beispielsweise im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit eben nicht nur die aus Schulbüchern und Filmen bekannten „Pfeffersäcke“ der Hansestädte und die großen präkolonialen Entdeckungen gegeben hat. So unbestritten prägend diese Strukturen auch waren, sie wären undenkbar gewesen durch den kaum bekannten, aber durchaus regen regionalen Seehandel der Bauern entlang der Küste. Dieser „Ausdruck recht starker bäuerlicher Wirtschaftsautonomie“ hat folgerichtig auch die kulturelle Entwicklung der meeresnahen Regionen maßgeblich bestimmt; Otto S. Knottnerus untersucht dazu exemplarisch die Entwicklung maritimer Gesellschaftsformen im Bereich der Watten-Küste.
Josef Wlodarski und Andrej Groth entführen uns dann in die Ostseeregion: Wlodarski stellt die Zunft der Schmackenreeder im ermländischen Braunsberg vor und erzählt von den Schwierigkeiten kleiner Häfen mit nur indirektem Seezugang (über das Flüsschen Passarge). Die Entwicklung sowohl spezifischer Schiffstypen als auch besonderer lokaler Gesellschafts-Organisation beschreibt er als unmittelbare Folgen solcher geographischen Gegebenheiten. Groth befasst sich am Beispiel Elbing und Memel mit der Entwicklung und Bedeutung des sogenannten Eigenhandels, jener Geschäfte also, die die Schiffsbesatzungen auf eigene Rechnung und eigenes Risiko neben dem Warenverkehr ihres Reeders oder Kapitäns betrieben. Ulrich Weidinger setzt mit seiner Schilderung des Flusshandels an Weser und Aller die Untersuchung regionaler Prägungen und ihrer Folgen für die jeweilige Entwicklung fort.
Thomas Begerow geleitet uns nach Vegesack (die Hafenstadt an der Mündung der Lesum in die Weser ist heute ein Stadtteil Bremens) und berichtet von der Bedeutung nicht nur der Schifffahrt, sondern vor allem der Schiffer für das kulturelle und wirtschaftliche Werden eines Ortes: In Vegesack und Umgebung gab es in vielen Familien über viele Generationen keine Alternative zum Seefahrer-Beruf. Heide Gerstenberger vertieft dies durch ihren Beitrag über die tiefgreifende Verankerung des Berufsstandes in den lokalen Gesellschaften der Unterweser-Region. Und Ulrich Welke schließlich schlägt den Bogen in die Neuzeit, indem er den Wandel von der lokalen Seefahrt über die nationale Schifffahrtspolitik des 20. Jahrhunderts bis hin zu den aktuellen Folgen der sogenannten Globalisierung für die Strukturen von Seefahrt und Küstenregion beschreibt.
Wie eingangs schon festgestellt, ist „Zur See?“ ein gut lesbares Büchlein, und eigentlich hat es nur eine einzige Schwäche: Es mutet vielfach zu kurz an, verweist auf knappe Anmerkungen oder andere Quellen, wenn es gerade mal wieder „spannend“ wird. Reizvoll wäre aber sicher auch seine Fortsetzung in Gegenwart und Zukunft: Die Rolle des Meeres und der Seefahrt in den heutigen Küstengesellschaften – und die Frage, ob es letztere überhaupt noch gibt oder geben wird. (-bi-)
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