Gerdes, Peter, und Flessner, Bernd (Hrsg.): Der schwarzbunte Planet – Science Fiction aus Ostfriesland; SKN-Verlag, Norden 2002; Paperback, 190 Seiten; ISBN 3-9283-2745-3; Preis 18,50 Euro
Die Ruinen der verseuchten Stadt Emden sind zum Schauplatz virtueller Kampfspiele einer pervertierten Unterhaltungsindustrie geworden. – Das Helgoländer Oberland, fast abgesoffen in einer dank Klimawandel “tiefergelegten” Nordsee, erscheint als kriminelles Gen-Labor. – Ganz Ostfriesland ist ein Ferienpark, dessen einheimische Angestellte ihren Daseins-Frust abreagieren mit Computerspielen, in denen Touristenfrauen an die Heringe verfüttert werden. – Aber es geht auch anders: Ostfriesland als Zentralsitz einer radikal erweiterten EU, die Platt friedlich, aber kulturimperialistisch zur Stabilisierung ihrer Weltherrschaft nutzt. – Oder: Leben und Alltag in einem Ostfriesland, das nach Erdbeben wegen Meteoreinschlags zur isolierten Hochebene geworden ist.
Science Fiction in der WATERKANT? Ja. Denn originelle Ideen wie diese darf man einfach nicht ignorieren: Der Greetsieler Literaturwissenschaftler Bernd Flessner und der Leeraner Journalist Peter Gerdes haben anderthalb Dutzend Kurzgeschichten regionaler Autorinnen und Autoren zusammengetragen (teilweise eigens für diese Sammlung schreiben lassen). Herausgekommen ist ein farbenprächtiges Feuerwerk unterschiedlichster und durchaus gegensätzlicher Visionen. Okay, es dürfte typisch sein für Kurzgeschichten-Sammlungen, dass nicht jede und jeder sich für alles begeistern kann. Geschmäcker sind verschieden, und in jeder Kollektion dieser Art gibt es subjektiv empfundene Höhen und Tiefen.
Aber ich verhehle nicht: Mir hat dieses Büchlein sehr viel Spaß bereitet. “Science Fiction”, so hat der englische Autor Fredric Brown als einer ihrer Pioniere es einmal beschrieben, “beschäftigt sich mit Dingen, die sein könnten oder eines Tages werden könnten. Fantasy beschäftigt sich mit Dingen, die nicht sind und nie sein werden. In der Science Fiction wird nichts als selbstverständlich angenommen, in der Fantasy verlangt niemand Erklärungen.” – Dieses Prinzip auf Ostfriesland, seine Menschen, seine Geschichte und seine Kultur zu übertragen, ohne sich dabei, die Genre-Grenzen verwischend, in “spinnerten” Phantasien zu verlieren, das ist eine Gratwanderung, die Flessner und Gerdes mit Bravour gemeistert haben.
“Der schwarzbunte Planet” ist eine Anthologie, die die eigenständige und manchmal auch eigenwillige Welt der Ostfriesen augenzwinkernd als das beschreibt, was sie innerhalb und als Teil der übrigen Welt zweifellos ist: etwas Besonderes. Und was könnte in dieser Besonderheit bescheidener wirken als eine Kollektion von Zeitreisen, deren Realitätssinn gewollt und gekonnt einen Tick neben der Spur liegt? (-bi-)