Heidbrink, Ingo: „Deutschlands einzige Kolonie ist das Meer“ – Die deutsche Hochseefischerei und die Fischereikonflikte des 20. Jahrhunderts; Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums, Band 63, und Convent Verlag; Bremerhaven/Hamburg 2004; Hardcover, gebunden, Großformat, ca. 134 Abb., 260 Seiten; ISBN 3-9346-1380-2; Preis 39,90 Euro
Die Älteren unter den WATERKANT-LeserInnen werden sich noch erinnern: „Kabeljau-Krieg“ titelten in der ersten Hälfte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts etliche Schlagzeilen deutscher Medien. Es ging um die Zusammenstöße zwischen der isländischen Küstenwache und der Fangflotte der BRD – die Isländer hatten mit einer Ausweitung ihrer Hoheitsgewässer und massivem Vorgehen gegen ausländische Trawler und Fangfabrikschiffe ihre Fischbestände als ihre wichtigste Ressource zu verteidigen versucht. Während sich London mit Reykjavik schnell auf eine Kompromisslinie einigte, blieb die Bonner Republik stur, verweigerte (analog der heutigen Haltung der USA…) die Anerkennung der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs, erteilte den Isländern ein vorübergehendes Anlandungsverbot in deutschen Häfen. Die Auseinandersetzung hatte weit reichende Folgen: Die Hafenarbeitergewerkschaft ÖTV organisierte inoffizielle, „spontane“ Blockadeaktionen gegen isländische Schiffe, Dutzende von Meereswissenschaftlern übten Kritik an dieser einseitigen Parteinahme, einige von ihnen wurden dafür abgestraft mit dem damals „modernen“ Instrument des Berufsverbots. Einer der maßgeblichen Protagonisten dieser Disziplinierungen war der Kieler Meereskunde-Direktor Gotthilf Hempel, der (dafür?) kurze Zeit später den Karrieresprung schaffte zum Gründungsdirektor des AWI in Bremerhaven.
Ausgerechnet aus Bremerhaven kommt jetzt eine Aufarbeitung dieses so genannten Kabeljau-Kriegs, wie sie spannender kaum denkbar ist. Es handelt sich um die als Buch erschienene Habilitationsschrift des Fischereihistorikers Ingo Heidbrink (siehe auch WATERKANT 2000, Nr. 4, S. 11 ff.), Abteilungsleiter im Deutschen Schifffahrtsmuseum und Privatdozent an der Universität Bremen. Der provozierende Titel – „Deutschlands einzige Kolonie ist das Meer“ – ist, das wird gleich zu Beginn klargestellt, „die verkürzte Wiedergabe eines Zitats, mit dem während des Nationalsozialismus schlagwortartig die Forderung nach der Erschließung neuer Fanggründe für die Hochseefischerei gefordert wurde“.
Kolonial-Geschichte
Damit ist aber auch schon der Spannungsbogen dieses maritimen Wirtschaftskrimis (oder Politthrillers) beschrieben: Heidbrink erläutert mit höchster Akribie und dennoch gut lesbar, was die Fischereipolitik der deutschen Faschisten (und ihre Vorgeschichte) mit dem „Kabeljau-Krieg“ der 70er Jahre, den Internationalen Seerechtskonferenzen der UNO, dem Slogan von der „Freiheit der Meere“ und dem Niedergang der bundesdeutschen Hochseefischerei in den vergangenen 20 Jahren zu tun hat. Die Untersuchung beginnt im 19. Jahrhundert und vereinzelt auch noch früher, reicht bis an die Wurzeln der isländischen und neufundländischen Geschichte sowie der deutschen Kolonialpolitik. Sie beschreibt die Entwicklung der deutschen Hochseefischerei in rund 100 Jahren, wobei Heidbrink Geschichte interdisziplinär begreift und darstellt: Er erklärt mit einem dichten Faktenteppich aus nationaler und internationaler Politik, Völkerrecht, Wirtschaft, Fischereitechnik, Schiffbau, Regionalstruktur und meereskundlichen Elementen in wechselnder Gewichtung und mit stilistischer Eleganz, warum die deutsche Hochseefischerei letztlich zu Grunde gehen musste – weil dies nämlich „nur eine Normalisierung einer ein knappes Jahrhundert zuvor eingeleiteten Sonderentwicklung“ war. Und er wirbt – ohne Emotionen, aber deshalb nicht weniger eindringlich – um Verständnis für das Vorgehen vor allem der Isländer, aber auch der anderen ehemaligen Kolonien im Nordatlantik.
Das Buch (als „Verpackung“) darf getrost als die organisierte Vervollkommnung des spannenden und lehrreichen Inhalts bezeichnet werden. Diese Wertung schließt die klare und übersichtliche Gliederung ebenso ein wie die reichhaltige Illustration mit historischen Fotos, Karten und Grafiken, aber auch die informativen Anhänge: Begriffserläuterungen, umfangreiches Quellenverzeichnis, Nutzfischarten-Katalog, Konfliktstatistik des „Kabeljau-Kriegs“ und anderes mehr. Und – außergewöhnlich, aber auch typisch für den Ansatz dieses Buches – je eine Zusammenfassung seiner Inhalte auf englisch, französisch und isländisch. Gesamtprädikat: Sehr gut. (-bi-)
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Ein weiteres Buch zur Fischereipolitik: