Maritime Kriegsgewinnler – Rezension

Rüb­ner, Hart­mut: Kon­zen­tra­ti­on und Kri­se der deut­schen Schif­fahrt – Mari­ti­me Wirt­schaft und Poli­tik im Kai­ser­reich, in der Wei­ma­rer Repu­blik und im Natio­nal­so­zia­lis­mus; 524 Sei­ten; Ver­lag H. M. Hau­schild, Bre­men 2005; Band 1 der „Deut­schen Mari­ti­men Stu­di­en“ (DMS) des Deut­schen Schif­fahrts­mu­se­ums Bre­mer­ha­ven; ISBN 3-8975-7238-9; Preis 45,00 Euro

Schif­fahrt, Ree­de­rei­en und Ree­der hiel­ten die deut­sche Kriegs­wirt­schaft in Gang. Sie hal­fen, das Drit­te Reich auf­recht­zu­er­hal­ten.“ – So lau­tet der Schluss­satz von Hart­mut Rüb­ners Dis­ser­ta­ti­on, die 2002/03 an der Uni­ver­si­tät Bre­men ange­nom­men wur­de und nun in leicht über­ar­bei­te­ter und ergänz­ter Form als Buch erschie­nen ist. Wobei dies gleich ein­gangs fest­ge­hal­ten wer­den soll: Es ist nicht irgend­ein Buch, son­dern der ers­te Band einer anspruchs­vol­len neu­en Rei­he des Deut­schen Schif­fahrts­mu­se­ums (DSM) in Bre­mer­ha­ven. Und wenn es DSM-Direktor Lars U. Scholl als Her­aus­ge­ber gelingt, die­ses Niveau zu hal­ten, dür­fen sich alle schifffahrt-interessierten Men­schen auf die nächs­ten Fol­gen der Serie freu­en (1).

Zurück zum Buch: Der 45-jährige Politik- und Sozi­al­wis­sen­schaft­ler Hart­mut Rüb­ner hat ver­sucht, mit sei­ner Dis­ser­ta­ti­on eine Lücke zu schlie­ßen. Es gibt zwar eini­ge Betrach­tun­gen über die his­to­ri­sche Ent­wick­lung ein­zel­ner Ree­de­rei­en und mari­ti­mer Unter­neh­men. Rüb­ner baut dar­auf auf und lie­fert – nach mei­nem (zuge­ge­ben: unvoll­stän­di­gen) Kennt­nis­stand erst­mals – eine ziem­lich umfas­sen­de Betrach­tung der kom­pli­zier­ten Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen der deut­schen Schiff­fahrts­bran­che auf der einen und dem Staat, den Ban­ken sowie aus­län­di­schen Mäch­ten und öko­no­mi­schen Macht­blö­cken auf der ande­ren Sei­te. Es kann nicht ver­wun­dern, dass die­ses Buch – eben eine Dis­ser­ta­ti­on – sich als Lese­stoff eher sper­rig und tro­cken prä­sen­tiert; man muss es wirk­lich lesen wol­len, und das nicht neben­bei. Wer das aber tut, wird durch span­nen­de Zusam­men­hän­ge und eine wah­re Fak­ten­flut belohnt; wobei neben den reich­hal­ti­gen Tabel­len, Sta­tis­ti­ken und Quel­len­an­ga­ben vor allem die intel­li­gen­ten Regis­ter her­vor­ge­ho­ben wer­den sol­len: eines für Abkür­zun­gen, ein wei­te­res für Per­so­nen, ein drit­tes für Insti­tu­tio­nen, ein vier­tes für Fir­men und schließ­lich ein fünf­tes für Schif­fe – beachtlich!

Rüb­ner ana­ly­siert die Anfän­ge der reichs­deut­schen Schiff­fahrt und ihre stür­mi­sche Ent­wick­lung bis 1914 sowie ihr geschick­tes Tak­tie­ren im Ers­ten Welt­krieg mit erheb­li­chen Kriegs­ge­win­nen. Er beschreibt, wie die Bran­che nach dem Krieg trotz emp­find­li­cher Repa­ra­ti­ons­leis­tun­gen unter ande­rem auf Steu­er­zah­lers Kos­ten schnell wie­der mäch­tig wird, dabei aber unter die Herr­schaft der Groß­ban­ken gerät. Span­nend ist auch zu lesen, wie staat­li­che Sub­ven­tio­nen für deut­sche Ree­de­rei­en zur Selbst­ver­ständ­lich­keit wer­den oder wie schon damals Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zes­se, Ton­na­ge­ent­wick­lun­gen, Lohn­sen­kun­gen und Sicher­heits­män­gel zusam­men­hän­gen. Gewis­ser­ma­ßen am Ran­de lernt man zudem auch etwas über die Ent­ste­hung und Rol­le der inter­na­tio­na­len Schiff­fahrts­kon­fe­ren­zen oder über die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Schwer­indus­trie und mari­ti­men Bran­chen. Und man erfährt, wie die deut­schen Ree­der, sie­he das ein­gangs zitier­te Fazit, sich in das Regime der Natio­nal­so­zia­lis­ten ein­füg­ten und dabei gute Geschäf­te mach­ten – bis hin (dies nur als eines von vie­len, aber als beson­ders maka­bres Bei­spiel) zum Trans­port von Juden in die Ver­nich­tungs­la­ger durch Hapags Reisebüro!

Eigent­lich schreit die­ses Buch nach einer bal­di­gen Fort­set­zung, die der Fra­ge nach­zu­ge­hen hät­te, wie die Ent­wick­lung denn nach 1945 wei­ter­ge­gan­gen ist – und was aus den Akteu­ren im Ein­zel­nen wur­de. (pj)

Anmer­kung:
1. Das DSM hält nach der „alten“ Recht­schrei­bung hart­nä­ckig an „Schif­fahrt“ mit zwei „f“ fest. Das führt dazu, dass in die­sem Text zwei Schreib­wei­sen neben­ein­an­der ste­hen; ich hof­fe, die Ver­wir­rung hält sich in Grenzen.