Ditfurth, Jutta: Krieg, Atom, Armut – Was sie reden, was sie tun: Die Grünen;
Rotbuch Verlag, Berlin 2011; 288 Seiten; ISBN 978-3-8678-9125-7; Preis 14,95 Euro.
Alle reden vom neuen Joschka-Film, vom Kotau des Regisseurs Pepe Danquart vor einem Polit-Chamäleon, das sich immer nur unter taktischen Gesichtspunkten grün zu färben pflegt(e). Fast alle, muss man der Ehrlichkeit halber betonen, denn es gibt da ein äußerst lesenswertes Buch, das die bundesrepublikanische Zeitgeschichte und insbesondere die Rolle der Grünen ganz anders darstellt.
Wer sich auskennt, ist nicht wirklich erstaunt über die Tatsache, dass die Radikalökologin Jutta Ditfurth mit den heutigen Grünen regelrecht abrechnet. Zu eng war in den Achtzigern ihre eigene Geschichte mit dieser Partei verwoben; zu brachial vor 21 Jahren die Trennung – und zu drastisch ist die damals eingeleitete und bis heute nicht abgeschlossene Negativentwicklung einer Partei, die einst angetreten war, dieses Land „ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ umzukrempeln.
Jutta Ditfurth ist als Journalistin und Publizistin bekannt für akribische und umfassende Recherche; sie legt Quellen und Zusammenhänge offen, von denen viele gar nicht wussten, dass es sie gibt. Sie formuliert flüssig, geschliffen und gerne mal zugespitzt, ja, bissig; wenn sie verbal angreift, ist sie schonungslos. All dies zusammen genommen, macht aus ihrem aktuellen Buch eine stilsichere, durch und durch gut lesbare, in vielen Details aber auch erschreckende Enthüllung.
„Krieg, Atom, Armut“ – schwerpunktmäßig geht es um den Wandel
- von der pazifistischen und antimilitaristischen zur Kriege unter aktiver deutscher Beteiligung bejahenden Partei;
- vom Gründungskonsens „Weg mit dem Atomprogramm!“ zum so genannten Atom-Konsens der Schröder-Fischer-Koalition mit den Atomkonzernen;
- von den antikapitalistischen Zielen früher Jahre zur Beteiligung am Entstehen der Hartz-Gesetze und an weiteren Schrittmachern sozialer Verrohung.
Wenngleich sich Ditfurth vor allem auf diese drei Aspekte in der politischen Entwicklung der Grünen konzentriert, lässt sie es insgesamt dabei nicht bewenden. Ihre scharfen Attacken richten sich ebenso engagiert etwa gegen die Rolle der Partei im Widerstand gegen Stuttgart 21 („Von der Kunst des Verrats“), in der Flüchtlingspolitik oder in den Auseinandersetzungen um so genannte Innere Sicherheit.
Ditfurth nimmt ihre Leserinnen und Leser mit auf eine abwechslungsreiche Zeitreise, die zwischen den Achtzigern, den Neunzigern und der Gegenwart hin und her führt. Sie beschränkt sich nicht einfach darauf, die Grünen in ihrem heutigen Tun an ihren einstigen Ansprüchen zu messen (das allein wäre vermutlich erschreckend genug) – sie beschreibt vielmehr quellen- und detailreich die Entwicklung sowohl von Strukturen als auch vor allem einzelner Personen; der dazu oftmals eingeschlagene Zickzack-Kurs zwischen Gestern und Heute wirkt aber an keiner Stelle verwirrend.
Ihr Schlusssatz ist Zusammenfassung und zielgerichtete Provokation zugleich: „Die Grünen sind ein ganz spezieller Motor des neokonservativen Rollbacks.“
Autor: Burkhard Ilschner