Jeffreys, Diarmuid: Weltkonzern und Kriegskartell – Das zerstörerische Werk der IG Farben; Karl Blessing Verlag, München 2011; gebunden, 688 Seiten; ISBN 978-3-8966-7276-6; Preis 34,95 Euro.
Wer dieses Buch gelesen hat und anschließend in Nachrichten über Schlagzeilen stolpert, die menschenverachtende Geschäfte von Pharmakonzernen oder aktuelle Umweltsauereien von Chemiemultis geißeln, kann nicht umhin, an Bertolt Brechts „Arturo Ui“ zu denken: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Jeffreys, mehrfach ausgezeichneter britischer Journalist, hat sich mit diesem Werk insofern um die deutsche Geschichte verdient gemacht, als er eines ihrer düstersten Kapitel akribisch aufarbeitet – und das in einem Stil, der einen selbst diesen Umfang von knapp 700 Seiten flüssig lesen, ja, die teilweise reportage-artige Schreibe gar verschlingen lässt.
Kurz gefasst, erzählt Jefferys die Geschichte des verbrecherischen deutschen Konzerns von seinen experimentellen Anfängen bei BASF, BAYER oder Hoechst über die teilweise krude Denke jener Bosse, die das Zusammenschmieden begannen; er schildert akribisch die geradezu synergistisch sich entwickelnde Verquickung zwischen Weltkonzern und Nationalsozialismus bis hin zur mörderischen Mutation zur IG Auschwitz; und er widmet eine ausführliche Betrachtung den Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunalen und dem letztlich hilflosen Agieren einiger aufrechter Ankläger. Er schildert, wie diese dann vergleichsweise läppische Strafen für die IG-Führung hinnehmen mussten – und nicht verhindern konnten, dass diese Bosse auch weiterhin – teils ausgezeichnet vom westdeutschen Staat – ihren Geschäften nachgehen konnten, so dass die Opfer sich noch Jahrzehnte später verhöhnt fühlen mussten.
Jeffreys nimmt, wenn es um die Verbrechen der IG Farben insbesondere im Zuge der systematischen Judenvernichtung und der Organisation von Zwangsarbeit in enger Verzahnung mit der SS geht, kein Blatt vor den Mund. Das gehört zu den eineindeutigen Stärken dieses Buches. Allerdings gibt es auch kleine Schwächen, so in der Aufarbeitung der Entstehung des IG-Farben-Konzerns aus den genannten Gründerfirmen, die zugleich auch die Erben waren: Gelegentlich lässt der Brite ungebührlichen Respekt für die wissenschaftliche „Leistung“ der verbrecherischen Bosse erkennen und ebenso gelegentlich gerät ihr Patriotismus ihm zur Entschuldigung. Beides zusammen kann den falschen – und sicher auch unbeabsichtigten – Eindruck erwecken, als würden die Verbrechen als Entgleisung umständehalber verharmlost. (pj)