Osterloh, Jörg, und Wixforth, Harald (Hrsg.): Unternehmer und NS-Verbrechen –
Wirtschaftseliten im „Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik Deutschland;
Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts; Frankfurt/New York, 2014; Campus Verlag;
kartoniert, 413 Seiten; ISBN 978-3-5933-9979-9, Preis 34,90 Euro.
Der Katalog der Verbrechen der Nazis ist lang. Die Tatsache, dass namhafte und mächtige deutsche Wirtschaftsbosse an diesen Verbrechen aktiv beteiligt waren, ist seit langem bekannt, auch wenn sie erst seit 20, 30 Jahren wirklich intensiv erforscht wird: Es gab zwischen den viel zu früh abgebrochenen Kriegsverbrecher-Prozessen der Alliierten Ende der 1940er und den 1980er Jahren erwiesenermaßen ein tiefes „Loch“ des Vertuschens, Verschweigens und Leugnens, wenngleich nur mit partiellen Erfolgen. Aber die wissenschaftliche Aufarbeitung mit dem Anspruch, zumindest dem Ziel einer gewissen Vollständigkeit ist bis heute, 70 Jahre nach Kriegsende, nicht annähernd abgeschlossen.
Insofern ist dieses Buch einerseits keine Sensation, weil es sich einreiht in die laufende Aufarbeitung – andererseits ist es als deren Teil und damit als Masche eines großen Netzwerks eine wichtige Veröffentlichung: Neben den beiden Herausgebern befassen sich insgesamt zwölf Wissenschaftler zwar mit der Beteiligung einiger ausgewählter Industrieller und Bankiers an den Nazi-Verbrechen, beschränken sich aber wesentlich auf bekannte Quellen und fokussieren dann auf Abläufe und Ergebnisse der mehr oder weniger intensiven Aufarbeitung dieser Beteiligung nach dem Zweiten Weltkrieg. Als ungewöhnlich und in diesem Sinne spannend zu erwähnen sind noch drei Beiträge über die – wenngleich auch nur beispielhafte – Betrachtung der Opfer-Perspektive: der Frage, wie jüdische Unternehmer ihre Verfolgung, Beraubung und die so genannte Wiedergutmachung erlebt haben.
Auf dem Redaktionstisch „gelandet“ ist dieses Buch vor allem wegen seines vierten Kapitels, in dem sich der Bochumer Wissenschaftler Thomas Urban mit dem langjährigen Bremer Werftmanager („Bremer Vulkan“) und Industriellen Robert Kabelac auseinandersetzt. Daneben finden sich auf den „Seziertischen“ weiterer Autoren auch Führungskräfte beispielsweise der Degussa, der IG Farben, des BAYER-Konzerns, der Farbwerke Hoechst, des Oetker- und des Heinkel-Konzerns sowie der Deutschen Bank. Originell: Das Kapitel über Ex-Reichsbankchef Hjalmar Schacht hat Christopher Kopper verfasst, Sohn des ehemaligen Deutsche-Bank-Chefs Hilmar Kopper („peanuts“).
Zurück zu Kabelac: Der aus Österreich stammende, erst 1935 eingebürgerte Ingenieur war Vulkan-Chef von 1939 bis 1960 – allein dies macht ihn zu einer Figur, deren Rolle eigentlich nicht genug untersucht werden kann. Einerseits war er maßgeblich beteiligt am Rüstungsprogramm der Nazis nicht nur im Rahmen des U-Boot-Baus, am Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, andererseits wurde er ab 1945 Vertrauensperson der US-Besatzer als Chef des von diesen gebildeten lokalen Werften-Zusammenschlusses. Und schließlich avancierte der Immer-noch-Werftchef zu BRD-Zeiten in Bremen und Bonn zum bedeutenden Manager und Politikberater, Handelskammer-Präses, Kaufmanns-Schaffer und Mitglied mehrerer wichtiger Aufsichtsräte.
Ohne all die anderen Beiträge dieses Buches kleinreden oder vernachlässigen zu wollen: Der Kabelac-Aufsatz ist – zumal in Verbindung mit dem vorstehenden Kapitel über empörende, aber erfolgreiche Versuche der Bremer Finanzverwaltung, Wiedergutmachungen zu verweigern oder mindestens in ihrer Höhe zu senken – ein wichtiges Stück norddeutscher Geschichte: ein peinliches Stück Geschichte. (-bi-)