Am 22., 23. und 25. Mai 1995 erschien in den „Bremer Nachrichten“ folgende dreiteilige Hintergrund-Serie zur bevorstehenden 4. INK in Esbjerg sowie zur (wenige Tage zuvor) abgehaltenen zivilgesellschaftlichen Gegen-Tagung „Nordsee ist mehr als Meer!“. Autor ist Burkhard Ilschner. Die Wiedergabe der Texte erfolgt mit ausdrücklicher, 2006 erteilter Genehmigung des damaligen Vorstands der BREMER TAGESZEITUNGEN AG (BTAG), Bremen (danke!). – Auf die AKN-Tagung „Nordsee ist mehr als Meer!“ bezieht sich vor allem der dritte Teil.
Teil 1 – Nordsee-Poker, vierte Runde
Bremen. „Es gibt nichts Richtiges im Falschen.“ – Unter dieses Motto, ein Zitat des Philosophen Theodor W. Adorno, hat das in Bremen residierende Umweltschützerbündnis „Aktionskonferenz Nordsee“ (AKN) seine Auseinandersetzung mit den in diesem Frühjahr wieder einmal regierungsamtlich verhandelten Konzepten zum Schutze der Nordsee gestellt. Zweimal ist das „Meer vor unserer Haustür“ in den nächsten drei Wochen Thema internationaler Konferenzen: Kommendes Wochenende findet in Bremen der AKN-Kongress „Nordsee ist mehr als Meer“ statt, zwei Wochen später tagt im dänischen Esbjerg die vierte „Internationale Nordseeschutz-Konferenz“ (INK) der Umweltminister der Nordseeanrainer.
In Bremen hat alles angefangen: 1984 hatte der damalige Bundesinnenminister Zimmermann, zuständig auch für Umweltpolitik, seine Fachkollegen der anderen Nordsee-Anliegerstaaten eingeladen, um erstmals im Rahmen einer INK über Fragen des Nordseeschutzes zu beraten. Die Planung dieser Konferenz hatte aber auch die Umweltschützer auf den Plan gerufen. Trotz erheblicher Kompetenz ausgegrenzt aus den politischen Beratungen der Minister, mobilisierten sie zur ersten „Aktionskonferenz Nordsee“, von der aus sie der INK ihre Forderungen präsentierten. Die Übergabe ihrer Resolution gestaltete sich aktionsreich, weshalb Zimmermann „seine“ Konferenz unter starkem Polizeischutz durchführen ließ.
Seit 1984 sind die drei Buchstaben INK zum Inbegriff eines Rituals geworden, dessen Aufwand nach Ansicht von Nordsee-Experten unterschiedlichster Richtungen in keinem Verhältnis zu den jeweiligen Ergebnissen stand und steht. 1987 trafen sich die Umweltminister zur zweiten INK in London, 1990 zur dritten Runde in Den Haag.
Jedesmal wurden umfangreiche Beschlussentwürfe und Fachgutachten vorab in jahrelanger Vorbereitung von nationalen Experten oder auf Staatssekretärsebene verhandelt, wurden Sachforderungen durch Vetos einzelner Staaten oder Lobby-Organisationen aufgeweicht und zurechtgebogen. Die INK-Beschlüsse waren oft schon bei ihrer Bekanntgabe Makulatur – sei es, dass sie aus ökonomischen oder politischen Gründen auf die ökologisch gebotene Konsequenz verzichteten, sei es, dass sie die nötige Entschlossenheit zwar formulierten, die Umsetzung aber durch Fußnoten einschränkten.
„Es gibt nichts Richtiges im Falschen“ – das entscheidende Manko aller INKn ist nach Ansicht von Nordseeschützern ihr Ansatz, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zum zwingenden Anlass politischen Handelns, sondern zum Gegenstand zähen Pokerns zu machen. Nicht der angestrebte Zustand des Ökosystems Nordsee war und ist Maßstab der INK-Beratungen, sondern die Empfindlichkeiten einzelner Länder.
Und das wirtschaftliche Interesse: Ursache aller INK-Aktivitäten war der Ende der siebziger Jahre unübersehbar gewordene bedrohliche Zustand der Nordsee als Müllkippe Europas. Wo den einen die Fortsetzung einer billigen Abfallentsorgung reizvoll scheint, wollen die anderen aus der Ex-und-Hopp-Mentalität ein zukunftsträchtiges und technologie-orientiertes Geschäft machen, das sich „nachsorgender Umweltschutz“ nennt. Da kann man sich über Details zwar trefflich streiten, letztlich aber bleibt alles beim alten: Am Ende einer INK wird nur beschlossen, was keinen der Teilnehmer verprellt. Das Prinzip Einigkeit ist ein so starker Trumpf, dass es sogar die Sachfragen aussticht.
Einigkeit zunächst auch auf der „anderen“ Seite: Im Vorfeld der gegen die erste INK in Bremen gerichteten AKN hatten sich 1984 alle deutschen und einige internationale Natur- und Umweltschutzverbände und Bürgerinitiativen auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Das allein war zu damaliger Zeit eine kleine Sensation (und ist es bis heute): Eifersüchteleien und Profilierungswünsche wurden zumindest vorübergehend zurückgestellt – um der gemeinsamen Sache willen. Ein Koordinationsausschuss mit Vertretern aller beteiligten Organisationen bereitete die AKN vor und führte sie auch erfolgreich zu Ende. Das Konferenz-Ergebnis, das sogenannte „Nordsee-Memorandum“, ist – 1989 einmal überarbeitet – bis heute ein bei vielen Experten geachtetes Dokument; es ist aber in seinen Fakten leider auch bis heute aktuell.
Nach der AKN brach das Bündnis der Verbände alsbald auseinander. Im Frühjahr 1985 gründeten Einzelpersonen aus Bürgerinitiativen, aber auch aus dem ehemaligen Koordinationsausschuss in Bremen einen eingetragenen Verein unter dem Namen „Aktionskonferenz Nordsee“. Seine politische Grundlage: das Nordsee-Memorandum und der den Ministern übergebene Forderungskatalog. Sein Ziel: als Koordinator zwischen den großen Umweltverbänden mit ihrer Aufgaben-Vielfalt Nordseeschutz-Aktivitäten zu bündeln – ein nicht immer leichtes Vorhaben, denn Eifersüchteleien gibt es unvermindert.
Immerhin konnte die AKN ein wichtiges Mandat gewinnen und bis heute behaupten: Sie vertritt die anderen deutschen Verbände auf internationaler Ebene in dem 1989 gegründeten und in Amsterdam ansässigen Bündnis „Seas At Risk“ (SAR), dem Umweltorganisationen aus allen Nordseeanliegerstaaten angehören. Und weil sich auch das politische Europa in den elf Jahren „seit Zimmermann“ weiterentwickelt hat, genießen die SAR-Experten heute bei allen INK-Vorbereitungssitzungen Beobachterstatus – ebenso wie alle wichtigen Industrie- und andere Lobbyverbände.
Das bedeutet zwar, dass die Umweltschutzseite heute kontinuierlich eingebunden ist in die Auseinandersetzungen der Nordseeanrainer-Regierungen. Am grundlegenden Problem aber hat das nichts geändert: Nach wie vor ist es nicht Aufgabe der INKn, die Nordsee zu schützen, sondern nur, die Nutzung des Meeres in vielfältiger Form neu zu organisieren. Und das auch noch unverbindlich: Denn der INK-Apparat fasst keine völkerrechtlich verbindlichen Beschlüsse, die einklagbar wären. Vielmehr handelt es sich immer nur um politische Willensbekundungen der Minister, die im jeweils eigenen Kabinett erst durchgepaukt werden müssen – oder auch nicht. Was dabei nicht durchsetzbar ist, unterbleibt einfach und wird bei der nächsten INK erneut verhandelt. Oder vertagt – wie schon gesagt, das „Nordsee-Memorandum“ der Umweltschützer ist leider unvermindert aktuell…
Teil 2 – „Schnecke mit Rückwärtsgang“
Bremen. (um Vorspann gekürzt)
Eine „Schnecke mit Rückwärtsgang“ sei der ministerielle Nordsee-Schutz, polemisierte das in Bremen ansässige Umweltschützer-Bündnis „Aktionskonferenz Nordsee“ (AKN) schon vor Jahresfrist. Über die internationale Föderation „Seas At Risk“ (SAR) als Beobachter eingebunden in die INK-Vorbereitung, wusste die AKN bereits damals zu prophezeien, dass von Esbjerg keine wirklichen Fortschritte zu erwarten sein würden.
„Same procedure as every year“ – formal wird die vierte INK in etwa so ablaufen wie ihre drei Vorläufer. Den Ministern liegt der Entwurf einer Schlussdeklaration vor, über die Beamte und Experten schon Jahre verhandelt und gefeilscht haben. In dieser Deklaration ist wieder die Rede von „gefährlichen Stoffen“ – gemeint ist die Chemikalien-Vielfalt unserer Industriegesellschaft –, von Nährstoffen – vor allem Phosphate und Nitrate –, von Risiken durch Schifffahrt, Öl- und Gassuche, Fischerei, Radioaktivität.
Zu allem gibt es Listen und Anhänge über Stoffgruppen und Maßnahmen. In einigen Fragen konnten sich die Experten vorab nicht einigen, sie bleiben den Ministern zur Entscheidung vorbehalten. Die Klärung dieser Punkte wird die Politiker zwei Tage lang beschäftigen, vielleicht wird auch noch die eine oder andere Arbeitsgruppe darüber brüten. Und dann wird die Deklaration verkündet, die Nordsee zwar nicht für gerettet, aber doch für amtlich rettbar erklärt.
Die INK-Deklarationen sind nicht verbindlich. Sie sind Willensbekundungen, die niemanden verpflichten. Sie sind Kompromisspapiere, die zu kritischen Punkten Ausnahmen oder Gummi-Klauseln enthalten. Und bislang lähmt jeden etwa willigen Politiker der Hinweis, die Durchführung beschlossener Maßnahmen sei abhängig von ihrer „wirtschaftlichen Verfügbarkeit“ – was nichts anderes bedeutet als den Vorbehalt ‘bevor Du was tust, frag’ erst die Industrie’.
Was sonst von den Beschlüssen zu halten ist, dafür gibt es ein plakatives Beispiel. Sowohl auf der zweiten INK in London 1987 als auch bei der dritten Runde in Den Haag 1990 beschlossen die Minister mit viel Medien-Brimborium, die Meereseinträge an „gefährlichen Stoffen“ sowie an Nährstoffen sollten bis zum Jahre 1995 um jeweils fünfzig Prozent verringert werden. Bemessungsgrundlage sollten die Einträge des Jahres 1985 sein. Peinlicherweise gab es weder damals für die jeweiligen Stoffe gesicherte Daten aus 1985, noch konnten diese bis heute, dem „Jahr X“, erstellt werden. Eine Unbekannte zu halbieren, mag in der Algebra möglich sein, im Umweltschutz ist das schlicht Humbug. Und dennoch gibt es Politiker, die diesbezüglich Erfolge vermelden.
Zum Beispiel die Vertreter Deutschlands. Anfang 1993 legte der damalige Umweltminister Klaus Töpfer seine Bilanz über die Umsetzung der INK-Beschlüsse vor: „Die Schad- und Nährstoffeinträge in die Nordsee können nach heutiger Einschätzung bis 1995 in fast allen Bereichen um die Hälfte verringert werden.“ Hausaufgaben erledigt? Denkste! Der entsprechende 123-Seiten-Bericht der Bundesregierung enthält eine Auflistung, die das Gegenteil besagt. Einigen Nährstoffen etwa werden danach Mengenminderungen zwischen 17 Prozent (Nitrate aus der Landwirtschaft) und 40 Prozent (Nitrate aus industriellen Kläranlagen) bis 1995 vorhergesagt, bei anderen „zeichnet sich kurzfristig keine Reduzierung ab“.
Viele Details aus Deklaration und Minister-Gerangel entziehen sich einem allgemein-öffentlichen Verständnis. Mit einem Gemisch aus diplomatischen Floskeln und wissenschaftlichen Begriffen wird versucht, Sachverhalte zu vernebeln oder auch Beschlüsse als Erfolg zu „verkaufen“, die in Wahrheit keine sind. Der seit Anbeginn aller INKs geführte Streit etwa um das „Vorsorgeprinzip“ gehört dazu: Auch in Esbjerg wird wieder gestritten werden um „Emissionsprinzip“ (vereinfacht: Messen von Schadstoffwirkungen bei Austritt an der Quelle) und „Immissionsprinzip“ (Messen von Schadstoffwirkungen nach Eintritt ins Meer). Der Streit hat sei eh das Format eines Glaubenskrieges (beispielsweise „gutes Bonn“ gegen „böses London“) – und ist doch nur Maßstab für unterschiedliches wirtschaftspolitisches Denken.
Durch Wirtschaftlichkeits-Vorbehalte wie oben beschrieben geben die INK-Minister nicht einfach das Heft des Handelns aus der Hand, es gilt vielmehr das Prinzip „vorauseilender Gehorsam“. Bei Verhandlungen um gefährliche Chemikalien sitzt seit INK-Beginn 1984 die Industrie-Lobby mit am Tisch und legt zu gegebener Zeit ihr Veto ein. Die Kapitel über Nährstoffe sind im Vorfeld von den jeweiligen Agrarministerien mit geschrieben worden, im Fischereiteil reden die Berufsverbände mit, bei Schiffahrtsfragen die Verkehrsressorts ebenso wie die IMO, die UN-Schifffahrtsorganisation. Und oft schiebt die INK die Verantwortung ab an die OSPARCOM, an die Kommission der Konventionen von Oslo und Paris, die fernab jeder Öffentlichkeit schon seit 1972 mit Meeresverschmutzungs-Fragen befasst ist.
Aber das Instrument INK ist auch blind gegenüber realen Zusammenhängen und Vernetzungen. Man redet über Emissionen etwa des Straßenverkehrs oder gewisser Industrien als Ursache „nordsee-relevanter“ Luftverschmutzung, aber nicht über verkehrspolitische Konzepte oder Eingriffe in bestimmte Produktionsweisen. Man diskutiert über Offshore-Technik, Öl- und Gasförderung aus dem Meer, über radioaktiv verseuchte Meeresteile, aber nicht über Energie- und Atompolitik. Man redet über Nährstoffe, aber Agrarpolitik ist tabu. Tourismus oder Küstenstrukturpolitik, die unbestreitbar unmittelbare Auswirkung auf die Nordsee haben, sind ebenfalls keine INK-Themen.
Hehre Ansprüche, Aufweichung, Abschiebung, Ausklammerung – wem also nützt der INK-„Zirkus“, wie Umweltschützer seit je spotten? Dass die Einrichtung INK sich mittlerweile einen eigenen internationalen Apparat geschaffen hat, mag den legendären Herrn Parkinson beruhigen, nützt aber dem Meer herzlich wenig. Somit bleibt unterm Strich nur ein Vorteil: Durch das ministerielle Gehabe um die INKs ist alle paar Jahre die Nordsee ein öffentliches Thema – auch ohne Robben‑, Algen‑, Giftbeutel- und Öl-Pestilenzen als traurigem Anlass.
Teil 3 – Weniger. Einfacher. Langsamer.
Bremen. (um Vorspann gekürzt)
„Wir haben nicht nur einige Fehler des Systems zu beheben. Das System selbst ist der Fehler.“ – Die „Leitideen“ für die AKN-Konferenz „Nordsee ist mehr als Meer!“ sprechen eine deutliche Sprache: Der Zustand der Meere, heißt es, sei ein Spiegel unserer gesamten Wirtschafts- und Lebensweise, „die Nordsee ist die Sickergrube der Überflussgesellschaften Nordeuropas.
Die vierte INK ist nach Ansicht der alternativen Nordsee-Experten „nicht mehr als ein aufwendiges Polit-Ritual“. Umweltschutz sei derzeit abgeschoben „aufs Abstellgleis“, damit die Entwicklung der Standorte Deutschland und Europa „im Geiste des alten Molochs Wachstum“ nicht gestört werde: „Längerfristige Sicherung von Überlebens-Grundlagen hier und anderswo in der Welt scheint den Herrschenden nur etwas für wirtschaftliche Schönwetterperioden zu sein“.
Politische Ökologie, fordert die AKN, muss mehr sein als traditioneller Umweltschutz: „Es reicht nicht mehr, an Symptomen herumzukurieren.“ Die Bremer Tagung soll nicht wieder Schadstoff-Belastungen aufzählen oder „Reparatürchen“ diskutieren, Gutachten gebe es mittlerweile mehr als genug. Jeder bisherigen INK seien Analysen und Forderungen auf den Tisch gelegt worden, „Papiere, die dann doch nur wieder im Lobby-Gemauschel untergehen“.
Diesmal will die AKN andere Wege versuchen. Die diesjährige Nordsee-Konferenz soll Ausdruck sein der Erkenntnis, dass die Menschen in den hochindustrialisierten Ländern eine besondere Verpflichtung haben: „Wir tragen soziale, politische, ökologische und kulturelle Verantwortung nicht nur für eine lebenswerte Zukunft hierzulande. Wir tragen sie noch viel mehr für eine global gerechtere Verteilung sowohl natürlicher als auch von Menschen erarbeiteter Reichtümer“. Deshalb „wollen wir der gesellschaftlichen Unlogik des ‘satter, schicker, schneller’ die Forderung und Mahnung ‘weniger, einfacher, langsamer’ entgegensetzen.“
Vor allem das Wirtschaftssystem haben die Umweltschützer im Rahmen ihrer Konferenzvorbereitung als Ursache vielen Übels ausgemacht: Eine Ökonomie, die „ungebrochen dem ‘immer mehr’, dem Wachstum ‘auf Deubel komm’ raus’ verpflichtet ist, läuft zwangsläufig allen Prinzipien von Natur und Ökologie zuwider.“ Schärfer noch: „Auch wenn alle Parteien einschließlich der Grünen anderes behaupten: Diese Ökonomie lässt sich mit der Ökologie nicht versöhnen.“
Das Motto „Weniger. Einfacher. Langsamer.“ soll, so wird betont, demgegenüber keine Rückwärtsentwicklung bedeuten, sondern vielmehr den kreativen, den mutigen Verzicht auf zerstörerische Formen gesellschaftlicher Lebensorganisation einfordern. Die wirtschaftlichen, die politischen, die technischen Strukturen verstellen in ihrer wachsenden Unüberschaubarkeit den Weg zu einfachen Lösungen, heißt es. „Was derart komplex und kompliziert gemacht und gehalten wird, ist für den Bürger nicht mehr begreifbar und schon gar nicht kontrollierbar.“ Diese Entwicklung scheine gewollt: „Die Angst vor Veränderung wird geschürt im Interesse von Herrschaft, Parolen von ‘weiter so’ und ‘Sicherheit’ würgen die Kreativität ab, die wir brauchen. Natur heißt nun mal Veränderung – auch mit dem Risiko, Fehler zu machen.“
In Referaten und Arbeitsgruppen wird der Kongress sich mit den derzeitigen Formen unseres Lebens und Wirtschaftens auseinandersetzen. Was leistet Wissenschaft in wessen Auftrag derzeit auf dem Felde des „Natur-Managements“ – und was könnte sie leisten? Was bedeutet die „Gefräßigkeit“ unserer Gesellschaft für die Umwelt und die Menschen in anderen Ecken dieses Globus’? Was kann Technik beitragen zur ökologischen Entwicklung? Oder ist unser Umgang mit Technik eine der Ursachen nicht nur für Massenarbeitslosigkeit, sondern auch für Umweltzerstörung? Was kann, was soll der Staat leisten im Umweltschutz, wie handlungsfähig sind Politik und Verwaltung noch gegenüber den Interessen der Wirtschaft? Welche Bedürfnisse gilt es hier und anderswo zu befriedigen – und welche sind künstlich gemacht, um die „Moloch-Geschwister Konsum und Wachstum“ zufriedenzustellen? Und welche Rolle spielen Werbung und Medien in diesem Spiel? Was bedeutet Zeit: Unterwerfung des Menschen unter Maschine und Geld — oder lieber Anpassung an natürliche und soziale Rhythmen, die sich dann die Ökonomie im Interesse von Natur und Mensch unterwerfen?
Die Bremer Nordsee-Konferenz der AKN kann und will keine fertigen Antworten oder Rezepte anbieten. Die Veranstalter haben, die Aufzählung von eben deutet es an, teilweise bewusst provokative Fragen formuliert. Der Kongress „Nordsee ist mehr als Meer!“ soll diesen Fragenkatalog ergänzen, diskutieren, vielleicht auch abändern – „mit ehrlichen Analysen fängt die Suche nach den richtigen Antworten erst an. Es ist aber wichtig, dass diese Suche jetzt beginnt.“
Die AKN ist ausrichtender Veranstalter des Treffens, getragen aber, unterstützt, wird dieses Treffen von einem breiten Bündnis fast aller namhaften deutschen Umwelt- und Naturschutzorganisationen. Von BUND bis WWF, von den Bürgerinitiativen bis zu den „Aktionisten“ von Greenpeace und Robin Wood, alle sind dabei. Es ist ein Spektrum, das typisch ist für die mittlerweile schon zehnjährige Geschichte des alternativen Nordseeschutzes. Aus dem ersten derartigen Bündnis 1984 beziehungsweise aus seinen Überresten nach der ersten „Aktionskonferenz Nordsee“ war bekanntlich der gleichnamige Verein entstanden, der seither entsprechende Aktivitäten koordiniert. Was aber keinen der anderen Verbände hindert, einerseits eigenständig Nordseeschutz-Projekte in vielfältigster Form und teils auch in gegenseitiger Konkurrenz zu betreiben, andererseits sich immer wieder zu Bündnissen wie diesem bereitzufinden, auch wenn dessen politische Aussagen nicht unbedingt „auf Linie“ des jeweiligen Verbandes liegen. Eine verrückte Situation? Bei der AKN sieht man das anders: „Aus der Vielfalt wächst die Kraft.“
– Ende –