Böckli, Birgit: Flammenküste – Friesland-Krimi; München, 2015; Knaur Taschenbuch; 304 Seiten;
ISBN: 978-3-4265-1407-8; Preis 8,99 Euro.
Burmann, Hauke: Tief in der Nordsee – Küsten-Krimi; Köln, 2015; emons Verlag; 272 Seiten;
ISBN: 978-3-9545-1501-1; Preis 10,90 Euro.
Koch, Sven: Dünenkiller – Kriminalroman; München, 2015; Knaur Taschenbuch; 432 Seiten;
ISBN: 978-3-4265-1633-1; Preis 8,99 Euro.
Manski, Natascha: Seebestattung – Küstenkrimi; Reinbek, 2015; rororo Taschenbuch; 352 Seiten;
ISBN: 978-3-4992-6870-0; Preis 9,99 Euro.
Winter, Levke: Klabautermord – Ostfriesen-Krimi; München, 2015; Piper Taschenbuch; 336 Seiten;
ISBN: 978-3-4923-0618-8; Preis 9,99 Euro.
Anmerkung zur digitalen Veröffentlichung: Die Original-Überschrift im gedruckten Heft lautet: Wie küsten- oder meeres-nah sind eigentlich Küsten- und Meeres-Krimis? – Ein Etikett macht noch keinen maritimen Roman
Ihre Titel klingen maritim oder sind norddeutschen Begriffen entlehnt; oft sind sie als Küsten- oder Nordsee-Krimis – oder so ähnlich – etikettiert. Regionalisierung um fast jeden Preis ist modern in TV-, Funk- und Print-Unterhaltung: Ist es der Versuch, der Zentralisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu begegnen? Anhand von fünf Romanen, zufällig ausgewählt, soll exemplarisch untersucht werden, wie „maritim“ solche Werke wirklich sind.
Um diese fünf Romane geht es – zur Einführung eine kurze Beschreibung in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen:
Die in Nordrhein-Westfalen geborene und in Baden-Württemberg lebende Birgit Böckli hat sich für ihr Ermittler-Duo Thomas Berg und Freda Althuis die ostfriesische Insel Spiekeroog ausgesucht. In dem als „Friesland Krimi“ untertitelten Taschenbuch „Flammenküste“ dürfen die beiden Hauptkommissare bereits zum zweiten Male „ran“ und müssen sich mit Sachbeschädigungen, grobem Unfug, Handgreiflichkeiten, religiösen Sektierern und Brandstiftungen (eine mit Todesfolge) auseinandersetzen. Neben den beiden Polizisten dreht sich die Handlung vor allem um eine vom Festland zugereiste Schankwirtin mit ihrem verhaltensauffälligen Sohn, einen fanatischen freikirchlichen Prediger und einen künstlerisch mäßig begabten, urlaubenden Popstar.
Hauke Burmann ist ein holsteinischer Journalist – geboren in Wedel, aufgewachsen in Uetersen –, der heute zwar in Hamburg arbeitet, aber immer noch in Holstein lebt. Sein angeblich im Pendlerzug entstandener Debütroman heißt „Tief in der Nordsee“ und spielt als so genannter „Küsten Krimi“ in Dithmarschen – genauer: auf einer Ölbohrinsel namens Flackehörn, in Heide und auf Trischen. Da es vor Dithmarschen nur eine einzige Ölbohrinsel gibt (und selbst die ist bekanntlich zuviel…), fällt es nicht schwer, in dem Plot – Fund einer teilweise skelettierten Frauenleiche führt den Ermittler Christian Ehlers auf die Spur alter Auseinandersetzungen mit und unter radikalisierten Umweltschützern – fiktiv überzogene Anspielungen auf die Realität auszumachen.
Mit einem Leichenfund hält sich Sven Koch nicht auf, der dritte Fall seines Ermittler-Duos Tjark Wolf und Femke Folkmer unter dem Titel „Dünenkiller“ rankt sich um gleich drei Leichen (und eine rätselhafte Überlebende) nach einem Massaker auf einer Segelyacht. Koch ist ebenfalls Journalist, allerdings nicht an der Küste, sondern im Lippisch-Westfälischen, und vergnügt sich neben der Romanschreibe mal mit punklastigem Alternativrock („The Jerks“), mal mit klassischem Rock‘n‘Roll („The Golden Boys“). Aber obwohl die besagten Morde vor der ostfriesischen Küste geschehen, führen sowohl ihre Hintergründe als auch ihre Aufklärung spannungsgeladen sehr viel weiter.
Noch einen „Küstenkrimi“ (dieses Mal zusammen geschrieben) präsentiert Natascha Manski: „Seebestattung“ schildert den zweiten Fall ihrer beiden Ermittler Tomma Petersen und Ulrich Spandorff, die durch eine von Fischfraßverletzungen entstellte Frauenleiche vor der Küste Butjadingens sowie einen weiteren Mord in einen Strudel zwischen Hafenwirtschaft, Waffenschiebungen und Arzneimittelfälschungen gezogen werden. Manski platziert ihr Plot in vertrauter räumlicher Umgebung, denn die heute in Hannover tätige Pressesprecherin – erst im Landwirtschaftsministerium der abgehalfterten McAllister Regierung, seither bei der so genannten „IdeenExpo“ der niedersächsischen Wirtschaft – stammt ursprünglich aus Nordenham.
Bleibt noch zu nennen der „Ostfriesen Krimi“ der Autorin Levke Winter und ihres von Hannover an die Nordwestküste zwangsversetzten Kommissars Elias Schröder, der sich in seinem zweiten Fall, „Klabautermord“, mit der Suche nach einer angeblich auf einer Sandbank ausgesetzten jungen Frau samt Baby befassen muss – und sich dabei nur auf eine einzige, aber dafür umso wirrer anmutende Zeugin stützen kann. Verwirrend endet allerdings auch jeder Versuch, die Autorin zu beschreiben. Denn „Levke Winter“ ist lediglich das Pseudonym der im Landkreis Aurich lebenden Vielschreiberin Helga Glaesener alias Tomke Schriever – unter „Helga“ produziert sie Mittelalterromane, als „Tomke“ hat sie mehrere Krimis abgeliefert wie auch jetzt als „Levke“. Offen bleibt, was diese Pseudonymitis bezwecken soll, wenn die Frau doch öffentlich als Helga Glaesener über „Klabautermord“ referiert (1).
Um an dieser Stelle gleich fortzufahren: „Klabautermord“ ist von allen fünf Romanen das klarste Beispiel für eine – pardon! – verhunzte Geschichte. Möglicherweise sollte Vielschreiberin Glaesener nach dem Motto „weniger ist mehr“ künftig stärker auf Qualität achten. Zum einen nervt als allzu ausufernde Nebensache das Getue des Elias Schröder um seine Verlobte Olly und deren Heirats-Fimmel. Zum anderen aber und vor allem wirkt der Plot konstruiert, ursächlich „maritim“ ist daran – nichts. Der im Bemühen um spannend sein sollende Fehl-Fährten streckenweise verworrene Fall könnte ebenso gut zwischen Alpental und -vorland spielen wie er hier von Winter a.k.a. Glaesener zwischen Küste, Oldenburg und Leverkusen versetzt worden ist. Das so genannte Lokalkolorit wirkt ebenso aufgesetzt wie eingestreute Begrifflichkeiten. Und wenn Glaesener im Interview referiert, der Slogan „Nordsee ist Mordsee“ habe zu tun mit den Touristen, die alljährlich unachtsam in Prielen ersaufen (1), dann wird schnell klar, dass diese Frau trotz ihres Wohnorts vom Leben an der Küste und deren Menschen ziemlich wenig Ahnung hat.
Für Böcklis „Flammenküste“ gilt leider Ähnliches. Insulaner von Spiekeroog (wie solidarisch auch die anderer Inseln) müssten eigentlich stinksauer sein ob der Tatsache, dass sie so ausufernd als intellektuell minderbelichtet dargestellt werden. Die das Geschehen prägende oder begleitende Paarung von Dummheit, Schlichtheit und Verbohrtheit findet man vermutlich in manch abgelegenem Dorf auf dem Festland weitaus eher als auf einer Insel, die durch Touristen und Besucher ständig fremden Einflüssen ausgesetzt ist. Im Übrigen nervt auch hier der (allgemein bei deutschen KrimiautorInnen grassierende) Selbstzwang, wesentlichen Akteuren Beziehungs-, Familien-, Haustier- oder Psycho-Probleme andichten zu müssen, die mit der eigentlichen Kriminalhandlung nichts zu tun haben, aber allzu ausufernd von ihr ablenken.
Völlig frei von derart unnützen Schilderungen individueller Macken ist leider auch Manskis „Seebestattung“ nicht. Aber immerhin erzählt die Frau von der Küste in ihrem Küstenkrimi eine schlüssige Geschichte, die zwischen Seehafen, Hochseeseglern und ozeanographischer Forschung so wie hier nicht ohne weiteres woanders spielen könnte. Zwar entpuppen sich die aufzuklärenden Verbrechen – ohne hier Details verraten zu wollen – letztlich als Fälle, die nicht ausschließlich als „maritim“ zu klassifizieren sind. Ihr gekonnt küsten- und meeresbezogener Rahmen liefert jedoch reichlich Stoff für handlungstreibende Spannungselemente.
Das gilt in vergleichbarem Maße für Sven Kochs „Dünenkiller“, obwohl dieser (außer im Titel selbst) ohne jeden maritimen Anspruch daherkommende Thriller einen weiten Bogen schlägt von ostfriesischen Gefilden und der hiesigen Offshore-Windindustrie zu skrupellosen Machenschaften osteuropäisch-mafiöser Drahtzieher. Wer mäkeln will, mag beanstanden, dass viele der Elemente, aus denen Koch seinen Plot strickt, so oder so ähnlich aus anderen Romanen schon bekannt seien. Na, und? Die aktuelle Mischung macht‘s und die ist ebenso flüssig wie fesselnd zu lesen. Okay, auch Koch kann nicht anders als insbesondere seinen Kriminalisten persönliche Vorlieben und Problemchen anzudichten, deren Thematisierung vermutlich „menscheln“ soll, aber eigentlich nur die Handlung aufhält. Darüber hinaus aber liefert die Verknüpfung von toten Bankern und korrupten Managern in Private Equity Fonds oder Schiffsfinanzierungsgesellschaften mit internationalen, hochkriminellen Akteuren nicht nur im Offshore-Wind-Geschäft sowie beauftragten Berufskillern einen Stoff, der gekonnt illustriert, dass auch an der Küste Geld nicht stinkt und dass Gier nicht nur Hirn, sondern auch Skrupel frisst.
Zuguterletzt: Hauke Burmanns „Küsten Krimi“ über die fiktive Ölbohrplattform vor Dithmarschen bietet eindeutig den von allen vorgestellten Romanen am wenigsten in andere Regionen verpflanzbaren Stoff – einfach deshalb, weil die Plattform im Wattenmeer eben die zentrale Rolle spielt. Aber auch abseits dieses Kriteriums ist „Tief in der Nordsee“ neben „Dünenkiller“ Spitzenreiter der vorliegenden Auswahl: Burmann verknüpft alte Auseinandersetzungen wie etwa die Frage, welche Mittel im Kampf gegen industrielle Gefährdung (oder Vernichtung) der Meeresumwelt vertretbar sind, mit Ansätzen nicht immer völlig abwegiger Verschwörungen zu einem „bodenständigen“ Kriminalfall, den man vor seinem Ende nicht mal eben aus der Hand legt. Allerdings weist auch dieser Plot einige dramaturgische Schwächen auf wie etwa unrealistische Alleingänge des Ermittlers oder ein Finale, dessen knisternde Spannung sich unter anderem aus Details herleitet, die in dieser Form eigentlich undenkbar sind. Schade.
Und die Moral von den Geschicht‘? Eine zusammenfassende Auswertung? Nun, ja – wer sich an der Küste und auf den Meeren auskennt, weiß, dass das Wirtschaften in dieser Region ebenso wie das darauf basierende tägliche Leben dieselben Potenziale und Anlässe bietet für kriminelles Handeln wie anderswo auch. Dennoch bedarf es schon einigen Engagements und einiger Mühe, einen „Küsten-“ oder „Meeres-Krimi“ zu schreiben, der Spezifika bietet, wie sie eben anderswo nicht vorkommen können. Wird diese Sorgfalt aber unterlassen, so entpuppt sich – wie einige der hier vorgestellten Romane es leider beweisen – manchmal auch das hübscheste Etikett lediglich als ein solches: Nur weil „Nordsee“ oder „Küste“ drauf steht, ist nicht immer auch ein maritimer Krimi drin.
Peer Janssen
Anmerkungen:
1. http://kurzlink.de/winter_levke