Steingässer, Jana (Text), und Ty, Manolo (Fotos); herausgegeben vom Klimahaus Bremerhaven:
Nordsee / Südsee – zwei Welten im Wandel; Bremerhaven/München, 2020;
Knesebeck Verlag; Hardcover, 190 Seiten; ISBN 978-3-95728381-8; Preis 30,00 Euro
Winzig und riesig und doch verbunden: Die Nordsee ist ein kleines Randmeer des Atlantischen Ozeans, als Südsee bezeichnet man umgangssprachlich einen nur ungenau definierten Abschnitt des südlichen Pazifischen Ozeans. Beide Meere beziehungsweise Meeresteile einander gegenüberzustellen, mutet allerdings nur auf den ersten Blick abenteuerlich an. Denn bei genauerem Hinschauen offenbart sich schnell, warum das in diesem Buch genauso geschieht.
Es ist ein Reisebericht der ganz besonderen Art, der hier auf 190 Seiten entfaltet wird, und zwar gleichermaßen empathisch in Text und Bild. Aber um ihn begreifbar vorzustellen, bedarf es einer einleitenden Erklärung: Im Jahre 2009 ist in Bremerhaven mit dem so genannten „Klimahaus“ ein Ausstellungshaus eröffnet worden, das es sich zum Ziel gesetzt hat, ebenso anschaulich wie engagiert, ebenso wissenschaftlich begründet wie allgemein-verständlich darüber zu informieren, was „Klimawandel“ verursacht und was er bedeutet – für die Menschen, für ihre Lebenswelten, für Flora und Fauna und für den Planeten. Es ist ein Haus, als dessen Hauptbestandteil eine erlebbar-fiktive „Weltreise“ inszeniert worden ist entlang des Längenkreises 8 Grad 34 Ost/171 Grad 26 West. Besucher werden von Bremerhaven zunächst in die Schweiz, dann über Sardinien nach Afrika (Niger und weiter nach Kamerun) geleitet. Es folgt ein großer Sprung in die Antarktis, anschließend „reist“ man auf der anderen Seite des Globus weiter über Samoa und Alaska, um dann – zurück auf „unserer“ Seite – nach einer Stippvisite auf der Hallig Langeneß wieder in Bremerhaven zu landen. Buchstäblich hautnah und fühlbar erlebt man mediterranes Klima ebenso wie tropische Gluthitze und polare Kälte unmittelbar, man schwitzt und friert abwechselnd ganz real, watet durch staubigen Sand, glitscht über blankes Eis. Videopräsentationen zeigen, wie ausgewählte Familien ihr Land sehen und welche Sorgen sie mit dem Stichwort „Klimawandel“ verbinden. Es gibt Anschauungsmaterial und interaktive Exponate, um das Gelernte vor Ort zu vertiefen kann, sowie Informationstafeln über Daten, Fakten und Zusammenhänge.
Jubiläumsbuch
Anlässlich des zehnjährigen Bestehens hat 2019 ein Team des Klimahauses, das nach eigenen Angaben mittlerweile von mehr als 5,3 Millionen Menschen besucht worden ist, zwei Weltgegenden, die einander fast gegenüber liegen, besucht – und schildert nun in diesem Buch, wie sich die Menschen auf der Nordseehallig Langeneß sowie auf den Pazifikinseln Samoa und Tokelau heute mit dem ihre Lebenswelt bedrohenden Klimawandel auseinandersetzen. Das Besondere daran ist, dass es sich um Menschen und Familien handelt, die bereits 2009 (und zuvor) am Entstehen des Klimahauses aktiv beteiligt waren insofern, als ihre damalige Situation in die dortigen Präsentationen eingebaut worden ist: Alle, die das Bremerhavener Ausstellungshaus besuchen, „kennen“ Fiede Nissen von Langeneß ebenso wie die Familie Toloa aus Samoa, denn ihre Geschichten sind Teil dessen, was in Bremerhaven gezeigt wird.
Im Buch selbst werden in eindrucksvoll bebilderten Reportagen Lebensumstände, Probleme und Projekte von beziehungsweise auf Langeneß und Samoa/Tokelau, Erlebnisse der genannten Menschen und ihrer Nachbarn und Freunde, Erwartungen und Befürchtungen und Hoffnungen beschrieben. Das geschieht in ständigem geographischen Wechsel, beim Lesen dieses Buches „reist“ man mehrere Male zwischen Nordsee und Südpazifik hin und her. Es werden Unterschiede ebenso plastisch dargestellt wie Gemeinsamkeiten. Man taucht ein in den Alltag der Menschen, lebt mit ihnen – auch deshalb, weil (siehe oben) Schilderung und Bebilderung so empathisch präsentiert werden. Es ist, so gesehen, ein Buch, das Verständnis weckt und verstehen hilft, ohne belehrend daher zu kommen. Es könnte ein tolles Buch über Nordsee und Südsee sein…
Ausstellungskatalog
Salopp formuliert, müsste dieses Buch eigentlich als kommerzielle Werbung eingestuft werden. Denn bei aller Empathie der Darstellung hat es doch eine leider zentrale Schwäche: Es ist nicht irgendein Buch über ein inhaltliches Thema, sondern „das Buch zur Ausstellung“. Das Klimahaus zeigt noch bis Ende Oktober dieses Jahres eine Sonderschau der beschriebenen Jubiläumsreise – und dies ist der gedruckte Extrakt. Weder über die Autorin der Texte, die Journalistin Jana Steingässer, noch über den Fotografen Manolo Ty, der für die beeindruckenden Illustrationen sorgte, gibt es nähere Angaben. Und obwohl das Impressum beide als verantwortlich für das Konzept dieses Buches ausweist, darf vermutet werden, dass das Klimahaus selbst als Herausgeber nicht ganz unbeteiligt gewesen ist. Und so bleibt beispielsweise unklar, wessen Entscheidung es denn war, dass kritische Fragen, die die beschriebenen Regionen unmittelbar betreffen, so gar nicht vorkommen – weder die Übernutzung der Nordsee etwa durch Schifffahrts- und Offshore-Industrie zu Lasten ihrer natürlichen Umwelt noch die Bedrohung des südpazifischen „Paradieses“ beispielsweise durch auch von deutscher und europäischer Seite forcierter Tiefseebergbaupläne werden irgendwo erwähnt.
Es ist nicht zu bestreiten, dass „Klimawandel“ eine bedeutende Gefahr für den gesamten Planeten darstellt. Aber „Klimawandel“ ist ganz wesentlich eine Entwicklung, die ursächlich der kapitalistischen Wirtschaftsweise und ihrer Ausbeutung von Mensch, Umwelt und Ressourcen zuzuschreiben ist. Das Bremerhavener Klimahaus ist eine herausragende Ausstellung (und dieses Buch eine prima Werbung dafür). Aber wer hinfährt oder das Buch liest, sollte wissen, dass auch dieses Klimahaus nicht unumstritten ist – als ein Projekt privater Ideengeber, dessen Realisierung von der öffentlichen Hand mit dreistelligen Millionenbeträgen finanziert wurde (und wird), während der Betrieb nach wie vor und ausdrücklich in den Händen der Initiatoren liegt, sozusagen eine PPP der besonderen Art.
Peer Janssen