Schorlau, Wolfgang, und Caiolo, Claudio: Der freie Hund – Commissario Morello ermittelt in Venedig;
Köln, 2020; Verlag Kiepenheuer & Witsch; Paperback, 320 Seiten;
ISBN 978-3-4620-5245-9; Preis 16,00 Euro
Schon der Titel signalisiert, dass die Unterhaltung, die dieser Krimi bietet, eine politische ist. „Der freie Hund“ – das klingt merkwürdig, entpuppt sich aber als klug: Gemeint ist die italienische Redewendung „cane senza padrone“, wörtlich übersetzt „der herrenlose Hund“. „Herrenlos“ dabei durch „frei“ zu ersetzen, ist Vorsatz und Bekenntnis zugleich, und zwar über den engen Begriff hinaus. Der „freie Hund“, das ist der Spitzname des sizilianischen Kriminalpolizisten Antonio Morello, Hauptfigur und vielleicht neuer Serienheld zweier Autoren, die erstmals zusammen „auftreten“.
Wolfgang Schorlau ist bekannter Schreiber politischer Unterhaltung, sein fiktiver Ermittler Georg Dengler hat bereits zu diversen Kriminalfällen bundesdeutscher Geschichte neue und bei weitem nicht immer amüsante Details enthüllt und überraschende Akzente gesetzt – vom Mord am ehemaligen Treuhand-Präsidenten Detlef Rohwedder über das Münchener Oktoberfest-Attentat bis zu den NSU-Morden oder der jüngsten Griechenland-Euro-Affäre. Claudio Caiolo ist zwar geborener Sizilianer, der Schauspieler und Autor vieler Theaterstücke und Drehbücher lebt und arbeitet aber seit knapp 25 Jahren in Stuttgart. Gemeinsam haben die beiden nun die Figur des Commissario Morello erschaffen – allerdings nicht als Akteur in seiner angestammten Heimat: Morello hat sich vor Ort mit der lokalen Mafia angelegt und wurde deshalb zum persönlichen Schutz nach Venedig versetzt.
Es ist müßig, hier in den Streit professioneller wie selbst ernannter Rezensenten einzusteigen, ob „noch ein“ Venedig-Krimi nun eigentlich nötig gewesen sei: Der Roman liegt auf dem Tisch, er verkauft sich gut und, um es kurz zu sagen, das hat er auch verdient. Ob alle lokalen Details immer korrekt beschrieben wurden – wen außer Besserwissern juckt‘s? „Der freie Hund“ ist flüssig lesbar, ist spannende und unterhaltsame Lektüre; und eben engagiert.
Venedig-Neuankömmling Morello landet in einem Wespennest persönlicher Eitelkeiten und lokalen Filzes. Sein erster Fall ist der Mord am führenden Kopf einer venezianischen Aktivistengruppe gegen den Stadt und Lagune zerstörenden Kreuzfahrt-Massentourismus. Der junge Mann entstammte einer der einflussreichsten Familien der Stadt und so greift Morello alsbald tief in den Mustopf von Beziehungen und Konflikten zwischen den Reichen, den „einfachen“ Menschen, die sich Wohnen in Venedig längst nicht mehr leisten können, der maritimen Branche, der lokalen Hafenbehörde – und, wen wundert‘s? – der auch im Norden des Landes aktiven Mafia.
Korruption, Massentourismus, Bauskandale setzen in dem Roman, historisch verflochten, politische Akzente. Schorlau und Caiolo reißen diese Konflikte an, verzichten aber immer auf langatmige Belehrungen, sondern verweisen nur alle, die es interessiert, am Schluss auf vertiefende Quellen. Bleibt zu ergänzen: Morello bleibt Etappensieger, behält aber Rechnungen offen – Fortsetzung folgt?
Zu hoffen ist, dass dies nicht den Ruhestand von Georg Dengler bedeutet, denn auch hierzulande gibt es noch genügend Kriminelles (nicht nur) in der Politik…
Peer Janssen