Maritimes Netzwerken… – Rezension

Wix­forth, Harald: Ver­netzt – Ver­floch­ten – Ver­traut; Das per­so­nel­le Netzwerk
der mari­ti­men Wirt­schaft in Bre­men (1908-1968); Bre­men, 2020; Staats­ar­chiv Bremen;
Paper­back, 172 Sei­ten; ISBN 978-3-9257-2988-1; Preis 19,50 Euro

Es ist in der brei­ten Öffent­lich­keit wenig bekannt, dass die See­schiff­fahrt und die mit ihr ver­bun­de­ne mari­ti­me Wirt­schaft in Deutsch­land zu den meist sub­ven­tio­nier­ten Bran­chen gehö­ren. Im Prin­zip hel­fen staat­li­che För­de­run­gen und Ver­güns­ti­gun­gen (ohne nen­nens­wer­te Gegen­leis­tung) den Unter­neh­men, ihre Umsät­ze und Erlö­se dau­er­haft zu sichern – selbst in Kri­sen­zei­ten wie der gegen­wär­ti­gen Corona-Pandemie. Das funk­tio­niert aber nur vor dem Hin­ter­grund einer inten­si­ven Ver­net­zung. Was zu der Fra­ge führt, wie die­ses Netz­werk eigent­lich ent­stan­den ist. Der Wirt­schafts­his­to­ri­ker Harald Wix­forth hat mit sei­ner aktu­el­len Stu­die hier­zu einen wich­ti­gen Bei­trag geleistet.

Bedau­er­li­cher­wei­se muss aber Kri­tik am Beginn die­ser Bespre­chung ste­hen: Das Rezen­si­ons­exem­plar ist aus druck­tech­ni­schen Grün­den nur sehr schwer les­bar – und auf tele­fo­ni­sche Nach­fra­ge beim her­aus­ge­ben­den Staats­ar­chiv Bre­men erfährt man, dass die gesam­te Auf­la­ge lei­der der­ar­ti­ge Ver­ar­bei­tungs­män­gel auf­wei­se. Satz- und Druck­qua­li­tät for­dern beim Lesen aller­höchs­te Kon­zen­tra­ti­on, denn die nur blass­graue, klei­ne Serifen-Schrift und ins­be­son­de­re die noch klei­ner gesetz­ten, manch­mal aber aus­führ­li­chen Fuß­no­ten stra­pa­zie­ren jedes Auge.

Glück­li­cher­wei­se ent­schä­digt der Inhalt für die­se Mühe. Für fünf aus­ge­wähl­te Stich­pro­ben­jah­re stellt Wix­forth, zur Zeit „Seni­or Expert“ am Deut­schen Schiff­fahrts­mu­se­um (DSM) in Bre­mer­ha­ven, in einer so genann­ten Längs­schnitt­ana­ly­se die per­so­nel­len Netz­wer­ke mari­ti­mer Ent­schei­der vor, und zwar exem­pla­risch für den Stand­ort Bre­men. Aus­ge­wählt hat er die Jah­re 1908, 1928, 1938, 1958 und 1968 – das sei­en jeweils Jah­re ohne gro­ße wirt­schaft­li­che Stö­run­gen gewe­sen, so die Begrün­dung. Nicht erfasst sind dabei all jene Unter­neh­men, die „kei­ne Akti­en­ge­sell­schaf­ten und daher nicht publi­zi­täts­pflich­tig waren“. Das tue „dem Aus­sa­ge­wert der Unter­su­chung kei­nen Abbruch“, schreibt Wix­forth, belegt die­se Behaup­tung aber nicht – lei­der. Denn wenn man sich heu­te bei­spiels­wei­se die Mit­glie­der­lis­te der Ver­bands Deut­scher Ree­der (VDR) anschaut, so fällt auf, dass nur ein Bruch­teil der Unter­neh­men publi­zi­täts­pflich­tig orga­ni­siert ist; und es bleibt bei Wix­forth offen, ob das in den Stich­pro­ben­jah­ren auch schon galt oder damals noch nicht.

Für die Bei­spiels­jah­re lie­fert das Buch dann jedoch detail­lier­te Über­bli­cke über per­so­nel­le Ver­flech­tun­gen und Bezie­hun­gen der mari­ti­men Wirt­schaft in Bre­men, wobei davon aus­zu­ge­hen ist, dass die Struk­tu­ren an der Weser sich von denen ande­rer Städ­te nicht nen­nens­wert unter­schie­den. Wel­cher Ent­schei­der hat­te wel­che Funk­tio­nen in wie vie­len Fir­men, zusätz­lich viel­leicht poli­ti­sche Ämter? Wel­che Bezie­hun­gen gab es zwi­schen mari­ti­men Unter­neh­men und finan­zie­ren­den Ban­ken? Wie ver­än­der­ten sich die­se Struk­tu­ren im zeit­li­chen Umfeld eines Unter­su­chungs­zeit­raums oder zwi­schen auf­ein­an­der fol­gen­den Stich­pro­ben­jah­ren? Das stellt sich oft ver­wir­rend und kom­pli­ziert dar, ist jedoch, wenn man sich dar­auf ein­lässt, äußerst aufschlussreich.

Jam­mern gehört(e) zum Handwerk…

Aber es erge­ben sich auch etli­che wirk­mäch­ti­ge Zusam­men­hän­ge. Bei­spiels­wei­se wird schnell klar, dass es schon früh­zei­tig zum All­tag der Branchen-Entscheider gehör­te, etwa nach Sub­ven­tio­nen zu rufen oder in der Öffent­lich­keit über Arbeits­kämp­fe und die dar­aus ent­ste­hen­den Kos­ten­be­las­tun­gen zu jam­mern. Ange­ris­sen wird auch, wie sich in den 1930ern die Ver­net­zung mit den Mäch­ti­gen des Nazi-Regimes ent­wi­ckel­te – und was davon nach dem Krieg zunächst fort­be­stand bezie­hungs­wei­se sich erst lang­sam neu for­mier­te; aller­dings betont Wix­forth hier nach­drück­lich wei­te­ren Forschungsbedarf.

Das dürf­te übri­gens, obwohl der Autor dies nicht expli­zit anregt, auch für ande­re The­men­be­rei­che gel­ten: So betrach­tet er etwa in der Nach­kriegs­zeit die Ent­wick­lung beim Schiff­bau – erst als Boom­bran­che, dann im Zuge sich abzeich­nen­der Glo­ba­li­sie­rung als Kri­sen­herd –, lässt dabei aber den sub­ven­tio­nier­ten Knowhow-Export als poten­zi­el­le Kri­sen­ur­sa­che, sozu­sa­gen als Initi­al­zün­dung für ein Stück Glo­ba­li­sie­rung, völ­lig uner­wähnt. Oder er ver­weist auf die sich for­mie­ren­de so genann­te Sozi­al­part­ner­schaft: „Aus­for­mung eines spe­zi­fi­schen Bezie­hungs­ge­flechts zwi­schen Arbeit­ge­bern und Arbeit­neh­mern auf der einen sowie mit poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern auf der ande­ren Sei­te“ – ohne Blick auf die Rol­le der gera­de in Bre­men über Jahr­zehn­te domi­nan­ten Sozi­al­de­mo­kra­tie kann das eigent­lich nicht betrach­tet werden.

Äußerst wert­voll ist schließ­lich der Anhang, der neben Quellen- und Per­so­nen­ver­zeich­nis auf 40 Sei­ten die Vor­stän­de und Auf­sichts­rä­te der unter­such­ten Unter­neh­men aus Schiff­fahrt, mari­ti­mer Logis­tik, Schiff­bau, Fische­rei und Ban­ken auf­lis­tet – ein regel­rech­tes Who‘s who der mari­ti­men Bran­che an der Weser.

Burk­hard Ilschner

www.jungewelt.de