Hickel, Rudolf; König, Johann-Günther; Pfeiffer, Hermannus: Gewinn ist nicht genug –
21 Mythen über die Wirtschaft, die uns teuer zu stehen kommen;
Hamburg, 2021; Rowohlt Taschenbuch Verlag; Paperback, 312 Seiten;
ISBN 978-3-4990-0533-6; Preis 14,00 Euro
Thema dieses Buches sind so genannte „Mythen“ des gesellschaftlichen Alltags – ständig wiederkehrende, unwahre Behauptungen, die, so heißt es, eine ökonomische Praxis zum Schaden aller produzierten: „Schluss mit Mythen, wir haben Besseres verdient.“ Das erinnert zwar ein bisschen an die Fabel von den Bremer Stadtmusikanten – „Besseres als den Tod finden wir überall“ –, es wäre aber grob unfair, den drei Autoren (zwei von ihnen sind Bremer…) nun zu unterstellen, sie wollten Mythen durch Märchen ersetzen. In 21 Kapiteln rechnen sie mit „Fake News“ ab über die Umwelt-, Verbraucher- oder Arbeitsmarktpolitik, Globalisierung oder Freihandel, Schulden, Steuern oder Finanzmärkte, Mindestlöhne und vieles andere. Der Anspruch der Drei lautet „Aufklärungsarbeit“, ergänzt durch „wahrheitsgemäße alternative Vorschläge“. Leider werden sie dieser hehren Zielsetzung in ihrem Buch nur teilweise gerecht; herausgekommen ist ein zwar gut lesbares, aber in seinen unfertigen und nicht immer nachvollziehbaren Alternativen auch verstörendes Buch.
Die Autoren richten sich erkennbar an ein Publikum ohne Expertenwissen über ökonomische Lehren und Zusammenhänge; das verdient Anerkennung. Sie bemühen sich um verständliche Erklärungen; auch das ist lobenswert, wenngleich es ihnen nicht immer auch gelingt. Das Spektrum ihrer Alternativ-Vorschläge reicht von einleuchtend über schwer nachvollziehbar bis gelegentlich abstrus: „Ein naiver Markt-Dogmatismus herrscht seit dem Aufkommen des Neoliberalismus … in allen – selbst den rot-grünen – Bundesregierungen“, kritisieren sie etwa in ihrem Vorwort und merken offensichtlich nicht, dass ihr Einschub (kursiv hervorgehoben vom Verf.) seinerseits hochgradig naiv ist.
Die Liste der diskutierten Mythen liest sich wie ein Querschnitt durch Schlagzeilen aktueller Medienberichte. – „Umweltpolitik vernichtet Arbeitsplätze“, „Freihandel nützt allen“, „Globalisierung produziert Reichtum“, „Arbeitslos? Selbst schuld!“, „Gewerkschaften sind überholt“, „Profite sichern Wohlstand für alle“, „Finanzmärkte retten den Kapitalismus“ und 14 weitere Schlagworte haben die Autoren unter die Lupe genommen. Sie erklären Herkunft und Bedeutung, sie kritisieren – teilweise auch scharf – systemische Zusammenhänge. Nur leider bleiben sie mit den von ihnen vorgestellten Alternativen im Detail immer wieder in den Grenzen eines bestenfalls reformierten Kapitalismus stecken.
Systemimmanent
Der Mythos „Umweltpolitik vernichtet Arbeitsplätze“ etwa ist einerseits ein seit Jahrzehnten benutztes, verbales Totschlagsargument gegen aufmüpfige Bürgerinitiativen, andererseits ein erfolgreicher Spaltpilz, um Arbeiter und Angestellte gegen selbige aufzubringen. Die Entkräftung gelingt zwar schlüssig, die Alternativen kommen aber über Systemimmanenz nicht hinaus, wenn sie lediglich die „einzelwirtschaftliche Gewinnmaximierung“ als „umweltblind“ ablehnen, dann aber – neben Ge- und Verboten – nur einem Umbau mittels sozial-ökologischer Marktwirtschaft das Wort reden. Kleine Sachfehler wie ein angeblich bestehendes Verbot von carbonfaserverstärktem Kunststoff (gerade die Öko-Industrie würde sich schön bedanken!) oder unkritische Lobeshymnen etwa über die aktuelle Wasserstoff-Strategie lassen das Ganze nicht glaubwürdiger erscheinen.
Der Beitrag zum Mythos „Das Bruttoinlandsprodukt ist das Maß aller Dinge“ zielt zwar zu Recht auf eine Kritik der Wachstumsideologie als Allheilmittel gegen alle ökonomischen Krisen und Verteilungskämpfe. Die im Prinzip richtige Argumentation disqualifiziert sich aber selbst, wenn sie einerseits mit der sozialen Kluft zwischen Arm und Reich daher kommt, andererseits aber nicht scharf zwischen „Bruttoinlandsprodukt“ und „Bruttosozialprodukt“ differenziert, was bekanntlich gerade den Blick auf die Entwicklung jeweiliger Erwerbs- und Vermögenseinkommen stark trüben kann.
Skurril
Skurril wird es – drittes Beispiel – beim Kapitel über den Mythos „Die Niedrigzinspolitik dient der schleichenden Enteignung der kleinen Sparer“: Arbeiter und Angestellte, die ihre Not- und Rentenoptimierungs-Groschen dahin schwinden sehen, dürften sich bedanken, wenn eingeräumt wird, die „realen Vermögensverluste für die von … Ersparnissen Abhängigen“ schafften zwar „viele bittere Einzelschicksale“, um dann allerdings professoral erklärt zu bekommen: „Aber die Ursachen liegen nicht in einer auf Enteignung zielenden Geldpolitik“, sie resultierten aus dem „profitwirtschaftlichen Kapitalismus mit vermachteten Finanzmärkten“, und den versuche die Europäische Zentralbank (EZB) ja schließlich nur zu „bändigen“. Merke: „Da gibt es auch keine Sonderstellung für Sparerinnen und Sparer.“
Und die Moral von der Geschicht‘? – Du lebst in einem System namens Kapitalismus? Selbst schuld: Mitgefangen, mitgehangen…!
Burkhard Ilschner