Geschichten über eine wundersame Gattung – Rezension

Hein, Till: Cra­zy Hor­se – Lau­ni­sche Faul­pel­ze, gefrä­ßi­ge Tän­zer und
schwan­ge­re Männ­chen: Die schil­lern­de Welt der Seepferdchen;
Ham­burg, 2021; mare­ver­lag; Hard­co­ver, 240 Seiten;
ISBN 978-3-8664-8643-0; Preis 22,00 EUR.

Das ist mal wie­der so’n rich­ti­ger „erzählte-Wissenschaft-Schmöker“, eines von die­sen lei­der nicht sehr häu­fi­gen Büchern, die einem geball­tes Wis­sen über ein bestimm­tes The­ma im Plau­der­stil ein­trich­tern: Man kommt, ein­mal ein­ge­stie­gen, nur schwer wie­der davon los, man nimmt auf, schmun­zelt, staunt – und eh man sich’s ver­sieht, hat man unge­heu­er viel gelernt und ist dabei noch pri­ma unter­hal­ten wor­den. Danke.

Okay, eigent­lich wäre damit schon fast alles gesagt. Oder? – Der Buch­ti­tel gibt die Rich­tung vor, in die Autor Till Hein die Lese­rin­nen und Leser ent­führt: Lau­nisch und schil­lernd und „cra­zy“ sind sie, die so genann­ten See­pferd­chen, die bio­lo­gisch eigent­lich Fische sind, Kno­chen­fi­sche. Nied­lich sehen sie aus, wes­halb sie auch bei Kin­dern beliebt sind (und das nicht nur wegen des Schwimm­ab­zei­chens). Dabei sind sie, wie Hein aus­gie­big erläu­tert, in Wahr­heit gefrä­ßi­ge Raub­tie­re, die (unter ande­rem „dank“ ihrer natür­li­chen Schwer­hö­rig­keit) der­art lär­mend, kna­ckend und brum­mend durchs Meer zie­hen, dass sie sich häu­fig selbst gefähr­den, indem sie Fress­fein­de auf sich auf­merk­sam machen. Was wie­der­um von der Natur aus­ge­gli­chen wird durch eine unge­wöhn­lich hohe Frucht­bar­keit – wobei es die Männ­chen sind, die schwan­ger wer­den und den Nach­wuchs ver­sor­gen: „Die Papa­rol­le“, schreibt Hein, „ist ein Hochleistungsjob“.

Es gibt meh­re­re Dut­zend Arten die­ser Gat­tung und stän­dig wer­den wei­te­re ent­deckt, in unter­schied­li­chen Grö­ßen. Aller­dings wer­den auch frü­he­re Zäh­lun­gen heut­zu­ta­ge lau­fend kor­ri­giert, so dass es der­zeit kaum mög­lich scheint, exak­te Schät­zun­gen vor­zu­le­gen. Hein beschreibt die Tie­re zudem als „Meis­ter der Tar­nung“, was die Taxo­no­mie nicht gera­de ver­ein­facht. Er ver­folgt und prä­sen­tiert die Spu­ren die­ser Tie­re in ihrer Viel­falt durch Mytho­lo­gie und Geschich­te, durch Bio­nik und Medi­zin, durch Lite­ra­tur und Kunst: Es ist ein lehr­rei­cher und oft ver­gnüg­li­cher Streif­zug, in dem abwechs­lungs­reich neben Tau­chern, Foto­gra­fen oder Aqua­ris­ti­kern auch Bio­lo­gen, Tier­me­di­zi­ner oder Robo­ti­ker zu Wort kom­men. Aber Till Hein macht bei aller Locker­heit im Stil kei­nen Hehl aus sei­ner eigent­li­chen Absicht: die Gat­tung zu schüt­zen und zu bewah­ren. Ab Sei­te 207 ist „Schluss mit lus­tig“, denn da geht es um Bedro­hung und Gefah­ren vor allem durch anthro­po­ge­ne Ein­flüs­se – und um die wie­der­um viel­fäl­ti­gen Ver­su­che Ein­zel­ner, dem Ein­halt zu gebieten.

Eines nur – Stich­wort: beliebt bei Kin­dern – schmä­lert den Wert des Buches ganz unge­mein: Es ent­hält nicht ein ein­zi­ges Foto, ja, nicht ein­mal eine Zeich­nung oder Skiz­ze eines See­pferd­chens (vom Umschlag­bild ein­mal abge­se­hen). Und damit ist die­ses Buch bei aller Leich­tig­keit der Schrei­be wei­test­ge­hend unge­eig­net, Kin­dern (in Aus­zü­gen) vor­ge­le­sen oder lese­kun­di­gen jun­gen Men­schen in die Hand gege­ben zu wer­den, um sie viel­leicht früh­zei­tig für den Schutz die­ser oft als pos­sier­lich emp­fun­de­nen Tie­re zu sen­si­bi­li­sie­ren. War­um Autor und/oder Ver­lag sich auch immer so ent­schie­den haben – gera­de beim mare­ver­lag soll­te doch die Wir­kung von Bil­dern bekannt sein. Sehr, sehr schade.

Peer Jans­sen