Holler, Christian; Gaukel, Joachim; Lesch, Harald und Florian:
Erneuerbare Energien – zum Verstehen und Mitreden; München 2021; C. Bertelsmann Verlag;
Paperback, 175 Seiten; ISBN 978-3-5701-0458-3; Preis 18,00 Euro.
Auch wenn er in der Aufzählung nicht an erster Stelle genannt wird, dürfte Harald Lesch vermutlich der prominenteste unter den Autoren dieses Büchleins sein: Der Münchner Astrophysiker ist dank der ZDF-Serie „Leschs Kosmos“ längst einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Holler und Gaukel sind Mathematiker und Energiespezialisten aus München beziehungsweise Esslingen, Leschs Sohn Florian ist selbstständiger Energie- und Klimaschutzberater.
Alles in allem haben sich hier vier Experten zusammengetan, um – unterstützt von kreativen Designerinnen und Designern – die so genannten Erneuerbaren Energien und die angestrebte Energiewende ein Stückchen verständlich(er) und begreifbar(er) zu machen. Herausgekommen ist ein reichlich (gelegentlich aber gewöhnungsbedürftig) illustriertes Werk, das gut und verständlich Fakten, Hintergründe und Zusammenhänge erklärt. Allerdings bleibt es im Bemühen um straffe Behandlung des sehr breiten Themenspektrums hier und da in Ansätzen stecken: Manche Fragen werden gar nicht angerissen, andere zu knapp „abgetan“. Zudem wurde auf ein Stichwort-Verzeichnis verzichtet, was den Gebrauchswert des Buchs im Alltag leider einschränkt.
Worum es in diesem Buch geht, ist ebenso kurz wie einfach mit einem aus dem Vorwort stammenden allgemeinen Satz zu beschreiben: „Raus aus allem, was Kohlenstoff in die Atmosphäre treibt.“ Im Bemühen um Allgemeinverständlichkeit erläutern die Autoren zunächst, was „Energie“ eigentlich ist und in unser aller Alltag bedeutet. Dabei erklären sie – eine ebenso griffige wie phantasievolle Idee! – einen fiktiven Radfahrer zur Hauptperson. Man trifft ihn später immer wieder, in allen Kapiteln des Buches, denn er soll helfen, Energiebedarf und Energieverbrauch vorstellbar zu machen. Indem er täglich zehn Stunden lang in die Pedale tritt, so die Annahme, produziert er eine Kilowattstunde Energie – und das wird zur wiederkehrenden Rechengröße im gesamten Buch.
Es folgen die Einzelbeschreibungen verschiedener möglicher Energiequellen – aus Sonne, Biomasse und Wind, aus Wasserkraft, Wellen und Gezeiten, aus Geothermie, Meereswärme, Osmose und anderen mehr. Die wesentlichen Quellen werden jeweils erläutert und abschließend bilanziert: Wie entsteht die fragliche Energie, wie kann man sie nutzen, wie wird sie derzeit genutzt, welches Potenzial ist „abrufbar“? Auch auf mögliche Auswirkungen wird jeweils kurz (manchmal zu kurz) eingegangen. Ergänzt wird das alles noch durch einen Blick auf Energiespeicher, bevor die Autoren nach einer Philippika gegen die Kernkraftnutzung zur abschließenden Mahnung zur künftigen Energieversorgung ausholen: Verbrauchsreduktion, Elektrifizierung, Infrastrukturausbau, internationale Zusammenarbeit.
Enge Fokussierung
Obwohl, wie erwähnt, sehr verständlich erläutert wird, ist dieses Buch alles andere als leicht lesbare Kost. Zwar hilft die Rechengröße „Radfahrer“ deutlich beim Verstehen, dennoch erfordern die vielen notwendigen Zahlenfolgen, Gleichungen und Vergleiche ein manchmal beträchtliches Maß an Konzentration. Aber im Großen und Ganzen macht es Spaß und ist lehrreich, sich darauf einzulassen. Etwas störend ist es halt nur, siehe oben, dass alltägliche Eindrücke, Erfahrungen, Nachrichten – sofern sie den behandelten Horizont des Messens und Berechnens von Energieverbrauch und -erzeugung überschreiten – oftmals nicht berücksichtigt oder erwähnt werden. Auch wenn dies dem attestierten Bemühen um straffe Behandlung geschuldet sein mag, erzeugt diese Fokussierung doch ein manchmal schiefes Bild. Denn zur Nachhaltigkeit gehört mehr, gehören auch gesamtökologische strukturelle und soziale Betrachtungen; die aber fehlen fast immer.
Zwei – zugegeben: fragmentarische – Beispiele dazu:
- Wenn im Kapitel zur Sonnenenergie Rohstoffbedarf und Transportaufwand für Photovoltaik-Module nur bezüglich des Energieaufwands (in „2-3 Jahren … eingespielt“) und guter Recycling-Optionen betrachtet werden, erscheint das als eine unzulässige Verkürzung. Denn es gibt vielfältige Berichte etwa über Menschenrechtsverletzungen und schwere Umweltschäden beim Abbau manch benötigter Rohstoffe – aber beides bleibt unerwähnt.
- Wenn zum Thema Windkraftnutzung ein Ausbau der auf Nord- und Ostsee existierenden Offshore-Anlagen von derzeit 1500 auf bis zu 20.000 prognostiziert wird, dann ist es mindestens fahrlässig, die begleitenden Belastungen nicht einmal zu erwähnen. Die Tatsache, dass dies bisher auch sonst nirgends qualifiziert berechnet wurde, entschuldigt das nicht. Aber anlagenbezogener Baulärm, Installations-, Wartungs- und Recyclingaufwand gehörten ebenso zwingend in eine gesamtökologische Betrachtung wie Bau, Betrieb und Unterhalt von Spezialschiffen oder -hafenanlagen. Auch bei Fragen wie Gezeiten- oder Meeresströmungsenergie wird kein Wort über Rahmenbedingungen oder Folgen verloren.
Bilanzierend bleibt daher festzuhalten: Dieses Buch ist es wert, sich darauf einzulassen – aber man sollte es nicht nur mit Konzentration tun, sondern zugleich in dem Bewusstsein, dass jede Verkürzung immer auch zu einem unvollständigen Bild beiträgt. Energiepolitik ist kein Selbstzweck – sollte es zumindest nicht sein –, sondern muss sich immer dem Mit- und Nebeneinander des Natur- und Umweltschutzes stellen.
Peer Janssen