Sie stahlen unser aller Geld – Rezension

Schröm, Oli­ver: Die Cum-Ex-Files. Der Raub­zug der Ban­ker, Anwäl­te und Superreichen –
und wie ich ihnen auf die Spur kam; Ber­lin, 2021; Ch. Links Verlag;
Paper­back, 366 Sei­ten; ISBN 978-3-9628-9123-7; Preis 18,00 Euro.

Die­ses Werk beschreibt zwar – Buch­ti­tel und Arti­kel­über­schrift deu­ten es an – einen Kri­mi­nal­fall kaum über­schau­ba­rer Reich­wei­te, den­noch ist es vom Stil her kein Kri­mi­nal­ro­man im her­kömm­li­chen Sin­ne. Oli­ver Schröm, der sich bereits mit Ent­hül­lun­gen über Alt- und Neo­na­zis, Gesund­heits­skan­da­le, Kor­rup­ti­ons­af­fä­ren oder Ter­ro­ris­mus einen Namen gemacht hat, lie­fert hier in einer Kom­bi­na­ti­on aus Pro­to­koll und Tage­buch einen mit Details gespick­ten Bericht über eine acht Jah­re wäh­ren­de Recher­che – von Sep­tem­ber 2013 bis Herbst 2021.

Es ist ein Buch über die Raff­gier und Skru­pel­lo­sig­keit von Män­nern, die ihre Gel­tungs­sucht und die eige­ne Berei­che­rung über alles stel­len, die rück­sichts­los Bezie­hun­gen aus­nut­zen, Wider­stän­de aus­trick­sen oder auch mit Hil­fe besag­ter Bezie­hun­gen zu eini­gen Mäch­ti­gen der Welt bra­chi­al unter­drü­cken (las­sen). Es ist ein Buch über eine sehr spe­zi­fi­sche Form von Staats­ver­dros­sen­heit, denn Gegen­stand des geschil­der­ten Vor­ge­hens ist ja – kurz gesagt – die Plün­de­rung von Staats­kas­sen. Schröm bezif­fert den der All­ge­mein­heit zuge­füg­ten Scha­den auf welt­weit rund 150 Mil­li­ar­den Euro, davon allein 32 Mil­li­ar­den in Deutschland.

Zur Erin­ne­rung, aber ohne Ver­such, die kom­ple­xe Mate­rie hier zusam­men­zu­fas­sen und dabei mög­li­cher­wei­se – als finanz­po­li­ti­scher Laie – Ein­zel­hei­ten falsch dar­zu­stel­len: „Über Jah­re lie­ßen sich Ban­ker und rei­che Anle­ger mit­hil­fe skru­pel­lo­ser Anwäl­te Steu­ern vom Finanz­amt erstat­ten, die sie nie gezahlt hat­ten“, so beschreibt es der Umschlag­text des Buches. Die Rede ist von so genann­ten „Cum-Ex-“, „Cum-Cum-“ und neu­er­dings „Cum-Fake-„Geschäften. Wäh­rend die einen – Cum-Cum – nach Jahr­zehn­ten eben­so unver­fro­re­nen wie unge­scho­re­nen Prak­ti­zie­rens im ver­gan­ge­nen Som­mer zumin­dest in Deutsch­land für ille­gal erklärt wur­den (in ande­ren Staa­ten geht’s aber nach wie vor wei­ter), hat für ande­re „Ver­sio­nen“ eine straf- und steu­er­recht­li­che Auf­ar­bei­tung bes­ten­falls gera­de begon­nen. „Gemein­sam“, erklärt Schröms Co-Autor Manu­el Dau­ben­ber­ger, „haben sie alle eines: Es wer­den Akti­en oder ähn­li­che Finanz­pro­duk­te … gehan­delt mit einem ein­zi­gen Ziel: Steu­er­gel­der abzu­grei­fen“. Wie sagt’s doch der Umschlag­text? „Sie stah­len unser aller Geld.“

Mehr als preis­wür­di­ge Leistung

Noch­mals: Es kann nicht The­ma die­ser Rezen­si­on sein, die kom­ple­xen Details hier in Kurz­form noch ein­mal kom­pri­miert dar­zu­stel­len – es wäre ein fata­ler Ver­such mit hohem Risi­ko. Schröm ist für die­ses Buch (sie­he Cover) mit dem „Deut­schen Jour­na­lis­ten­preis 2021“ aus­ge­zeich­net wor­den. Und es ist sei­ne mehr als preis­wür­di­ge Leis­tung, die Recher­chen auf­ge­nom­men, zu ihrer Kom­plet­tie­rung ein inter­na­tio­na­les Investigativ-Recherche-Team auf­ge­baut und meh­re­re Jah­re gelei­tet sowie die mehr als 200.000 Sei­ten ein­schlä­gi­ger Akten in die­sem Buch les­bar und ver­ständ­lich zusam­men­ge­fasst zu haben. Des­halb kann und muss es an die­ser Stel­le genü­gen zu beto­nen: Die­ses Werk gehört in die Hand jedes steu­er­zah­len­den Bürgers.

Wobei drei Din­ge gar nicht laut und nach­drück­lich genug betont wer­den können.

  • Zum einen: Der Skan­dal ist bis heu­te nicht wirk­lich been­det, Schröms Buch ist nicht mehr als eine Zwi­schen­bi­lanz. Es soll­te die drin­gen­de Auf­ga­be aller zivil­ge­sell­schaft­li­chen Kräf­te sein, dar­auf zu ach­ten und zu drän­gen, dass Ermitt­lun­gen, Ent­hül­lun­gen und Ahn­dung mit Macht und Offen­heit fort­ge­setzt werden.
  • Zum ande­ren: Der Cum-Ex-Skandal ist nicht ein­fach nur ein gigan­ti­scher Steu­er­be­trug, er ist auch ein nicht weni­ger skan­da­lö­ser Angriff auf Presse- und Mei­nungs­frei­heit. Und dies geht ein­her mit teil­wei­se schänd­li­chen Prak­ti­ken eini­ger Medi­en zum Scha­den nicht nur ihrer öffent­li­chen Auf­ga­be, son­dern auch – wie Schröm und Kol­le­gen es am eige­nen Leib erfah­ren muss­ten – der eige­nen Zunft.
  • Und schließ­lich: Es ist ein unsäg­li­cher Bestand­teil die­ses Skan­dals, dass – selbst wenn die begon­ne­ne Auf­ar­bei­tung den einen oder ande­ren Akteur gerech­ter­wei­se hin­ter Git­ter bringt – vie­le ande­re Betei­lig­te nicht nur unge­scho­ren davon kom­men dürf­ten, son­dern sogar wei­te­re Kar­rie­ren machen kön­nen. Prä­gnan­tes­tes Bei­spiel sind die krum­men Geschäf­te der Ham­bur­ger Warburg-Bank und die Rol­le jenes Bür­ger­meis­ters, der es – ohne sich in Aus­schuss­be­fra­gun­gen an irgend­et­was zu erin­nern – via Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­ri­um ins Bun­des­kanz­ler­amt schaff­te: Olaf Scholz.

Armes Deutsch­land – im steu­er­lich geplün­der­ten wie im mora­li­schen Sinne.

Peer Jans­sen