Nur blaue Strände gibt es nicht. Punkt. – Rezension

Rei­se, Kars­ten, und Kem­per, Hel­la: Strand – Band 3 der Serie „Euro­pean Essays
on Natu­re and Land­scape“; Ham­burg 2023, KJM-Buchverlag;
Hard­co­ver, 120 Sei­ten; ISBN 978-3-96194-205-3; Preis 20,00 Euro.

An einer Stel­le die­ses Buches heißt es über Strän­de, teil­wei­se in schwel­gen­dem Ton, sie sei­en „nicht nur bleich oder weiß, son­dern öfter noch grau oder braun“, manch­mal „sogar raben­schwarz“ oder „leicht grün­lich“, hät­ten gele­gent­lich „sogar einen Hauch von Rosa“, gefolgt von der ulti­ma­ti­ven Fest­stel­lung: „Nur blaue Strän­de gibt es nicht.“ – Es ist die­se Art von Beschrei­bung, die­se Mix­tur von Schwär­me­rei und Fak­ten, die die­sem Büch­lein sei­ne beson­de­re Note ver­leiht und zugleich die Viel­falt offen­bart, die einen beim Lesen erwar­tet. Der Mee­res­bio­lo­ge Kars­ten Rei­se ist den Lese­rin­nen und Lesern der WATERKANT seit lan­gem bekannt – als ehe­ma­li­ger Lei­ter der Wat­ten­meer­sta­ti­on Sylt, als Sach- und Fach­buch­au­tor (die hier wie­der­holt vor­ge­stellt wur­den) und nicht zuletzt auch als gele­gent­li­cher Autor unse­rer eins­ti­gen Zeit­schrift. Hel­la Kem­per ist Feuilleton- und Wis­sen­schafts­re­dak­teu­rin in Ham­burg, der­zeit bei der Wochen­zei­tung DIE ZEIT. Das Buch lässt offen, wer oder was die bei­den wann, wie oder war­um zusam­men­ge­bracht hat, aber das Ergeb­nis ihres Zusam­men­wir­kens ist ein­fach ein Lesegenuss.

An die­ser Stel­le ist ein Ein­schub nötig: Es gilt, zunächst eine bril­lan­te Idee vor­zu­stel­len und zu erläu­tern – näm­lich die der Rei­he Euro­pean Essays on Natu­re and Land­scape, zu der die­ses Bänd­chen gehört. Dem Anspruch nach, so for­mu­liert es der Ver­lag, sol­len in die­se Serie (bis zum Zeit­punkt die­ser Rezen­si­on sind bereits sie­ben Fol­gen erschie­nen) Land­schaf­ten „in ihrer Eigen­tüm­lich­keit beschrie­ben wer­den“, wobei die Autorin­nen und Autoren „frei­es Spiel“ haben in ihrer Schwer­punkt­set­zung zwi­schen Wis­sen­schaft, Poe­sie oder Poli­tik. Ein gran­dio­ses Kon­zept, zumin­dest wenn man es exem­pla­risch nach dem vor­lie­gen­den Ergeb­nis von Rei­se und Kem­per beurteilt.

Zuge­ge­ben: Die­ses Büch­lein unter der Dach­über­schrift „Syl­ter Geschich­ten“ vor­zu­stel­len, ist ein ganz klei­nes biss­chen unfair. Tat­säch­lich wird defi­ni­tiv nicht nur Syl­ter Strand vor­ge­stellt, son­dern vie­le unter­schied­li­che Strän­de sind das The­ma, von Nord- und Ost­fries­land über Skan­di­na­vi­en oder Polen samt mul­ti­pler Ver­glei­che mit Strän­den ande­rer Kon­ti­nen­te her­an­ge­zo­gen – aber irgend­wie bil­det Sylt, kein Wun­der bei Co-Autor Rei­se, durch­aus einen Anker-,  ja, einen Schwer­punkt. Inso­fern sei die­se „Schub­la­di­sie­rung“ bit­te verziehen.

Gewis­sen­haft und emotional

Tat­sa­che ist näm­lich auch, dass Rei­se und Kem­per uns Strän­de in ihrer natür­li­chen Viel­falt, in ihren Funk­tio­nen für Meer und Küs­te erklä­ren. Mal sprach­lich fes­selnd, mal pro­sa­isch berüh­rend erle­ben und erfah­ren wir, wie Wel­len, Wind und Wet­ter, wie Ebbe, Flut und Sturm­flut die unter­schied­lichs­ten Arten von Strän­den for­men, schmü­cken oder ver­än­dern. Wir ler­nen eben­so gewis­sen­haft wie emo­tio­nal, wel­cher Sand, wel­che Strö­mung wel­che Wir­kung zei­tigt, gegen- oder mit­ein­an­der, wel­cher Vogel, wel­che Muschel, wel­che Pflan­ze typisch ist für wel­che Art von Strand – oder von fer­nen Strän­den ein­ge­tra­gen wur­de. Wir wer­den kon­fron­tiert mit anthro­po­ge­nen Ein­flüs­sen, müs­sen uns aus­ein­an­der­set­zen mit Schiff­fahrt, Tou­ris­mus, Küs­ten­schutz oder Dünen­ge­stal­tung und vie­len wei­te­ren Fra­gen, wie Strän­de von Men­schen wie benutzt, miss­braucht oder geschützt wer­den. Aber Rei­se und Kem­per beschrei­ben auch, wo wel­che Art von Strand (oder Strand­um­ge­bung) wel­chen Künst­ler oder Den­ker wie beein­flusst oder moti­viert hat – das reicht von Malern wie Max Beck­mann, Peder Seve­rin Krøy­er oder Cas­par David Fried­rich bis zu Grö­ßen wie Leo­nar­do da Vin­ci, Jean-Jacques Rous­se­au oder Alfred Hitchcock.

Es ist die­se Kom­bi­na­ti­on von wis­sen­schaft­li­cher Gründ­lich­keit mit per­sön­li­cher Betrof­fen­heit und Begeis­te­rung, die, in eben­so exak­ter wie flüssig-verständlicher Schrei­be ver­mit­telt, das bereits erwähn­te Prä­di­kat „Lese­ge­nuss“ zwin­gend macht. Danke.

Peer Jans­sen