Wöbse, Anna-Katharina: Sylt – die fragile Schönheit; 100 Jahre Naturschutz – eine Inselgeschichte; Hamburg, 2023; KJM Buchverlag; Hardcover, 260 Seiten; ISBN 978-3-96194-207-7; Preis 22,00 Euro
Einerseits ist es schwierig, ein Buch wie dieses – nicht irgendeines von ach, so vielen Werken über Sylt – zu besprechen: Fokussiert es sich doch sehr speziell auf die Entwicklung des Naturschutzdenkens und -handelns auf dieser Insel, die seit langem und aktuell nicht nur zwischen unterschiedlichsten Nutzungsansprüchen „binnen un buten“, sondern zunehmend auch von den Folgen anthropogenen Klimawandels zerrissen zu werden droht. Die Tatsache, dass dieses Buch der Bremer Umwelt-Historikerin Anna Katharina Wöbse in enger Kooperation mit – oder im Auftrag? – der traditionsreichen Naturschutzgemeinschaft Sylt entstanden ist, macht das Verstehen zusätzlich anspruchsvoller, weil es sich in weiten Teilen auf die Geschichte dieses Vereins und seines konkreten Handelns auf der Insel konzentriert.
Andererseits ist es aber zugleich auch ungeheuer spannend und lehrreich, sich mit einem derartigen Werk auseinanderzusetzen: Denn es wird sehr schnell deutlich, dass Wöbse nicht nur mit mutmaßlich erheblichem Aufwand etliche Meter (oder waren es Kilometer?) Akten und Aufzeichnungen diverser privater und staatlicher Archive durchforstet hat, sondern dass es ihr zudem auch noch gelungen ist, die dabei gewonnenen Erkenntnisse lebendig zu präsentieren: Es gibt wenige vergleichbar angenehme Beispiele für eine flüssig lesbare Wiedergabe und Analyse von teilweise so sprödem Material aus diversen Amtsstuben.
Der Untertitel des Buches ist eigentlich irreführend: Zwar sind die Ausweisung der ersten Naturschutzgebiete und die Gründung des ersten Vereins, aus dem die heutige Naturschutzgemeinschaft Sylt hervor gegangen ist, vor rund einhundert Jahren der unmittelbare Anlass – aber beides war in gewisser Weise schon das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung. Anschaulich wird erklärt, dass etwa das Interesse für Seevögel im 19. Jahrhundert eher auf Sammeln oder Jagen als aufs selbstlose Bewahren ausgerichtet war – und das vermutlich nicht nur auf Sylt. Dabei wird deutlich, dass diese frühen Ornithologen bereits auch Landschaftsschutz betrieben, um „ihren“ Vögeln die notwendige Umgebung zu sichern – und dass sie schon damals in dem bis heute typischen Konflikt von Naturschützern steckten, sich mit Nutzungsinteressen konfrontiert zu sehen: Viele Landbesitzer auf Sylt interessierten sich für die heimischen Vogelpopulationen eher aus ökonomischem Interesse – wegen der lukrativen Eierernte.
Ermutigend – und auch frustrierend
Wöbses Ritt durch die Inselgeschichte mag für die einen ermutigend, für andere aber vielleicht auch ein bisschen frustrierend sein. Zum einen hat erwartungsgemäß die Schienenanbindung der Insel an das Festland den damals bereits entwickelten Tourismus stark beschleunigt – und damit die Widersprüche zwischen lockenden Profiten und einhergehenden Gefährdungen sowohl vieler natürlicher Landschaftsteile als auch des gewohnten insularen Alltags verschärft. Zum anderen offenbart gerade diese Schilderung eines sich mal zäh, mal rasant entwickelnden Konflikts immer wieder Parallelen zum Heute: Motive fürs engagierte Handeln von Naturschützern, punktuelle kleine Erfolge, sich wiederholende Enttäuschungen – all das und mehr kennt man aus der Gegenwart und bei Weitem nicht nur von dieser einen Insel.
In 14 eingestreuten Kapiteln erfährt man zudem – ebenso aufschlussreich wie auflockernd – Details über einzelne Landschaftsteile, Pflanzen und Tiere und ihre Funktion im Ökosystem Insel. Ebenfalls angenehm auflockernd sind die (oft leider nur kleinen) Wiedergaben von Kunstwerken, das Buch beschreibt Entwicklungen und Schaffen etlicher Künstler, die über Jahrzehnte aus multiplen Insellandschaften und Meeresansichten ästhetische Motive schufen.
Die Kapitel über die späteren Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts bis in die Jetztzeit weisen bedauerlicherweise einige Schwächen auf. Mindestens stilistisch wirkt es etwas aufdringlich, sich sehr auffällig auf die Person Klara Enss (1922-2001), langjährige Vorsitzende der Naturschutzgemeinschaft Sylt, zu fokussieren; angesichts der Tatsache, dass Wöbse dieser Frau schon vor Jahren eine eigene Biografie gewidmet hat (und diese mehrfach referenziert), bleibt oft unklar, ob diese Hervorhebung immer auch inhaltlich begründet oder nur der erkennbaren Verehrung geschuldet ist. Auch sachlich gibt es leider kleinere Schwächen: Das reicht – beispielsweise – von der Erwähnung des Botanikers Konrad Buchwald ohne jeden Hinweis auf dessen durchgängig rechtslastiges politisches Engagement bis zur unkritischen Würdigung von OSPAR-Konvention oder EU-Meeresstrategie; und auch die jüngeren Auseinandersetzungen etwa um die Ausrichtung des Nationalparks Wattenmeer oder um die ausufernde Offshore-Windindustrie, oft kollidierend gerade mit Natur- und Meeresschutzambitionen, kommen deutlich zu kurz. Schade.
Burkhard Ilschner