Begeisternde Krebse – Rezension

Fran­ke, Heinz-Dieter: Klei­ne rote Fische, die rück­wärts gehen –
Eine Kul­tur­ge­schich­te der Kreb­se; Ham­burg, 2024; mareverlag;
Hard­co­ver, 336 Sei­ten; ISBN 978-3-8664-8713-0; Preis 28,00 Euro.

Am Anfang steht ein Geständ­nis: „Eine popu­lä­re deutsch­spra­chi­ge Dar­stel­lung der Bio­lo­gie der Kreb­se in ihrer Gesamt­heit fehlt bis heu­te“, kon­sta­tiert der Bio­lo­ge Heinz-Dieter Fran­ke – um sogleich zu beto­nen, dass er selbst nicht vor­hat, die­se Lücke hier und jetzt zu fül­len. Was er statt­des­sen lie­fert, ist dafür bei aller Sach­lich­keit und Ernst­haf­tig­keit umso unter­halt­sa­mer. Es sei unmög­lich, „Kreb­se“ mit weni­gen Wor­ten zu cha­rak­te­ri­sie­ren, ent­schul­digt er sich, denn kei­ne ver­gleich­ba­re Tier­grup­pe umfas­se eine sol­che Fül­le unter­schied­li­cher Bau- und Lebensformtypen.

Krill, Krab­be, Gra­nat, Assel, Gar­ne­le – all die­se und vie­le wei­te­re Arten haben eines gemein­sam: Sie gehö­ren zum Unter­stamm „Krebs­tie­re“ der Glie­der­fü­ßer. Rund 67.000 Arten sei­en bis­lang beschrie­ben, meint Fran­ke, „und vie­le ver­mut­lich noch unbe­kannt“. Genau­so viel­fäl­tig wie die­se Fest­stel­lung ent­wi­ckelt er dann aber sei­ne „Kul­tur­ge­schich­te“. Gemeint ist nichts ande­res als eine sehr infor­ma­ti­ve, aber auch äußerst abwechs­lungs­reich zu lesen­de, mit vie­len Epi­so­den und tol­len Illus­tra­tio­nen gespick­te Beschrei­bung, was Kreb­se in der natür­li­chen Nah­rungs­ket­te bedeu­ten – von den klei­nen und kleins­ten, die als Zoo­plank­ton im Meer für die Lebens­grund­la­ge der so genann­ten höhe­ren Arten sor­gen, bis zu den gro­ßen und größ­ten, die vom Men­schen ent­we­der genüss­lich ver­speist oder sonst­wie wirt­schaft­lich genutzt werden.

Heinz-Dieter Fran­ke war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung in der Bio­lo­gi­schen Anstalt Hel­go­land (BAH) tätig, die vor knapp 30 Jah­ren dem Bre­mer­ha­ve­ner Alfred-Wegener-Institut (AWI) ein­ver­leibt wur­de. Kreb­se, so beschreibt er es am Schluss des Buches, bil­de­ten einen sei­ner For­schungs­schwer­punk­te; und aus allem, was er in die­ser Zeit über die „Fül­le von Bezü­gen zwi­schen Kreb­sen und Men­schen“ an Fak­ten und Anek­do­ten gesam­melt hat, ist die­ses begeis­tern­de Buch ent­stan­den. Ohne an die­ser Stel­le zu vie­le Details zu ver­ra­ten – sel­ber lesen macht schlau! –, sei hier nur fest­ge­stellt: Es ist ein bun­tes Wech­sel­spiel zwi­schen ernst zu neh­men­den Ergeb­nis­sen und Erkennt­nis­sen und teil­wei­se skur­ri­len Geschich­ten und Über­lie­fe­run­gen. Und Fran­kes par­ti­ell abgrün­di­ger Humor trägt maß­geb­lich zur Lese­lust bei.

Der absurd anmu­ten­de Buch­ti­tel erklärt sich bereits auf den ers­ten Sei­ten, so viel sei hier ver­ra­ten. Aber was der anti­ken Grie­chen Chef­gott Zeus mit Kreb­sen zu schaf­fen hat­te, liest sich min­des­tens eben­so amü­sant. Kreb­se als Pio­nie­re der Schöp­fung sind indi­ge­ne Legen­de, als Namens­ge­ber eines exis­tie­ren­den Staa­tes eine his­to­ri­sche Tat­sa­che. Fran­ke räumt der Schil­de­rung ihrer Rol­le in den Mythen ver­gan­ge­ner und Über­lie­fe­run­gen heu­ti­ger Völ­ker viel Platz ein, erläu­tert aber auch, war­um etwa  Hum­mer­fleisch hier als Schwei­ne­mast­fut­ter und Arme-Leute-Kost über­lie­fert, dort als Luxus­gut für Finanz­mi­nis­ter von Inter­es­se ist. Er beschreibt die Nutz­bar­ma­chung des Panzer-Chitins von Kreb­sen, er erör­tert ihren mög­li­chen Nut­zen für die mensch­li­che Ernäh­rung – unter deut­li­cher Kri­tik übri­gens an der sich ver­brei­ten­den Aqua­kul­tur. Er folgt den Spu­ren des Kreb­ses vom Him­mel – in Astro­lo­gie und Astro­no­mie – bis in die Tief­see, er nimmt sei­ne Leser mit auf einen Par­force­ritt durch Natur­mu­se­en und Kunst­hal­len, ver­gleicht, wie For­scher und Künst­ler ver­schie­de­ner Epo­chen Kreb­se beschrie­ben, gemalt, geprie­sen haben.

Fran­kes Buch ist ein kalei­do­sko­pi­sches Lese-Erlebnis.

Peer Jans­sen