Kästner, Angélique und Andreas: Tatort Hafen – Tod an den
Landungsbrücken; Kriminalroman; München, 2024; Knaur Verlag;
Taschenbuch, 305 Seiten; ISBN 978-3-4265-3066-5; Preis 12,99 Euro
Auf einer der vielen Ausflugs-Barkassen an den St.-Pauli-Landungsbrücken wird deren Kapitän erschlagen aufgefunden. Aus diesem für einen Krimi an sich schnöde wirkenden Sachverhalt entwickelt das kompetente Autoren-Ehepaar Kästner eine ebenso packende wie informative und weitgehend auch unterhaltsame Geschichte. Andreas Kästner war aktiver Seefahrer in der ehemaligen DDR und späterer Wasserschutzpolizist in Hamburg. Ehefrau Angélique hat als promovierte Psychotherapeutin in einem Kriseninterventionsteam gearbeitet – es heißt, sie habe bei dieser Tätigkeit ihren späteren Gatten kennengelernt, somit dürfte mindestens ein Teil ihrer Arbeit sich im Hafenmilieu abgespielt haben.
Es ist dessen Alltag, der eigentlich im Mittelpunkt dieses Romans steht. Laut Cover-Aufdruck ist dies der erste Teil einer Serie unter dem Titel Tatort Hafen (Band 2 folgt demnächst) – und das ist eine eindeutige Festlegung: Hier liegt nicht irgendein weiterer Regionalkrimi aus und über Hamburg auf dem Tisch, hier geht es dem Anspruch nach spezifisch um den Hafen als Mittelpunkt der Elbmetropole. Kompetent und fesselnd, aber in Details auch einfühlsam wird diese Welt, die eine besondere ist, neben und mit der eigentlichen Krimi-Handlung beschrieben. Am Ende weiß man – wenn man sich für diese sehr eigenen Gegebenheiten interessiert – nicht genau, was einem wichtiger erscheint, der Krimi oder der Hafen, obwohl beides hier untrennbar zusammen gehört.
Der sofort als Verbrechen identifizierte Todesfall ruft zwei Akteure auf den Plan, eine kurz vor ihrer Pensionierung stehende Kriminalhauptkommissarin und einen leitenden Wasserschutzpolizisten vom Hafenrevier. Die eine ist dienstlich zuständig für die Ermittlungen, der andere fühlt sich zuständig, weil es um „seinen“ Hafen geht. Klar, dass so etwas einerseits zu aufschlussreicher Zusammenarbeit und andererseits auch zu punktuellen Reibereien führt.
Ein Mord und viele Spuren
Der Mord an dem Barkassenkapitän löst, wie es im Krimi-Latein immer so schön heißt, „Ermittlungen in alle Richtungen“ aus: Eine Spur deutet auf mögliche Geschäfte mit Waffenhandel und Schmuggel im Hafen, eine andere auf private Motive des Toten, weitere auf Auseinandersetzungen mit einem mächtigen Konkurrenten im Barkassengeschäft – und so weiter: Das Autorenduo erweist sich als durchaus einfallsreich und sorgt mit überraschenden Wendungen und verzögernden Sackgassen für abwechslungsreiche Spannung, .
Die Welt des Hamburger Hafens wird mal sachlich, mal populär erklärt, das Spektrum reicht von den Finessen des Hafentourismus über, siehe oben, dunkle Geschäfte bis zum alltäglichen Umschlag an den Terminals, spart zudem Historisches ebenso wenig aus wie „Hafensprech“ und alltägliche Besonderheiten. Allerdings haben die Kästners das aktuelle Hafengeschehen – und der Hafen Hamburg hat bekanntlich eine ganze Reihe von Problemen – fast völlig ausgeklammert; da ist noch sehr viel Luft nach oben.
Trotzdem (oder gerade deshalb) freut man sich schon heute auf die weiteren Serienfolgen – sie dürfen aber (aus Sicht des Rezensenten) gerne deutlich weniger Getue um die privaten Probleme der Ermittler mit sich bringen: Auch hier wird leider die ach, so hippe Krimischreibermacke gepflegt, persönliche Dilemmata der Akteure so aus-, pardon: abschweifend zu schildern, dass man Krimihandlung oder Hafenkolorit fast aus dem Auge verliert. Wenn individuelle Sorgen wie Schwierigkeiten bei der Nachwuchszeugung oder gewalttätig stalkende Ex-Partner in der Konsequenz nichts oder wenig mit dem Fall zu tun haben, gehören sie nicht ins Buch. Wer menschelnd-emotionale Feinheiten wünscht, sollte Pilcher lesen. Oder?
Peer Janssen