Stiglitz, Joseph: Die Schatten der Globalisierung; Siedler Verlag; Berlin 2002; Hardcover, 304 Seiten; ISBN 3-8868-0753-3; Preis 19,90 Euro
Der »stern« veröffentlichte einen auszugsweisen Vorabdruck seines Buches, selbst konservative Blätter wie das »Hamburger Abendblatt« widmeten dem Autor lange und ganz überwiegend positive Betrachtungen – und vielen Engagierten etwa des »attac!«-Netzwerkes gilt er als einer der Ihren: Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat mit seinem aktuellen Buch Furore gemacht in einer Zeit, da kein Weltbank-, IWF-, WTO- oder EU-Gipfel mehr stattfindet ohne die massiven Proteste der Globalisierungs-GegnerInnen. Stiglitz war Professor in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, ersten Adressen also für die Ausbildung des Nachwuchses jenes Systems, gegen das er heute seine Stimme erhebt; er war Wirtschaftsberater von US-Präsident Bill Clinton und von 1997 bis 2000 Chefökonom der Weltbank. Und nun also ein Werk gegen die Globalisierer, wie passt das zusammen?
Kein Problem: Stiglitz ist nicht wirklich ein Gegner des mit dem Begriff »Globalisierung« bezeichneten Ausbeutungssystems der armen Länder durch die Reichen. Wer in das vorliegende Werk solche Tendenzen hineininterpretiert, hat es entweder nicht richtig gelesen – oder nicht verstanden, obwohl es sehr flüssig und sehr anschaulich geschrieben und eigentlich auch für Nicht-Ökonomen geeignet ist.
Stiglitz konzentriert seine Kritik vor allem auf den Internationalen Währungsfonds, auf die Politik des IWF in Südostasien, Lateinamerika und Russland. Die 1944 im legendären Bretton Woods gegründete Organisation verfolge heute einzig die Interessen der Finanzmärkte und der westlichen Industrienationen. »Was die Finanzwelt als gut für die Weltwirtschaft erachtet, ist auch gut für die Weltwirtschaft und sollte unbedingt getan werden«, fasst Stiglitz das Glaubensbekenntnis des IWF zusammen. Zwar bekommen auch die Welthandelsorganisation WTO und die Weltbank mehr oder weniger deftig ihr Fett ab, aber eigentlich sind die Leute vom IWF die schlimmsten…
Die Kritik des Wirtschaftsprofessors (heute an der Columbia University in New York) ist trotz aller Komplexität in der Sache in ihrer Tendenz relativ einfach gestrickt: Wer immer nur die wirtschaftliche Prosperität auf die Tagesordnung setzt, sich aber weder um Arbeitsplätze noch Arbeitsbedingungen noch soziale Verhältnisse, Bildung oder Bodenreform kümmert, könne – selbst wenn er es wollte – Armut und Elend nicht beseitigen. Wohlgemerkt: Stiglitz verlangt nicht ein einziges Mal das Ende der Ausbeutung; ihm geht es darum, die allzu drastischen Folgen der Ausbeutung zu mildern. Unausgesprochen steht dahinter die Sorge, dass anhaltende Verelendung irgendwann für das kapitalistische System zum Rohrkrepierer werden könne: »Nicht die Globalisierung ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie sie umgesetzt wurde.« Der Titel »Die Schatten der Globalisierung« ist offensichtlich mit Bedacht gewählt: Wo Schatten ist, ist auch Licht…
Wenn trotzdem an dieser Stelle die klare Empfehlung steht, dieses Buch zu lesen, dann deshalb, weil hier ein Insider an einer Reihe plakativer Beispiele eindringlich beschreibt, wie Globalisierung heute funktioniert. Das geschieht zudem in teilweise so drastischer Sprache oder anhand so abstruser Anekdoten, dass dieses Werk streckenweise richtig Spaß macht. Die »Süddeutsche Zeitung« hat das Buch von Joseph Stiglitz in ihrer Besprechung zum »Kanon der neuen Internationale« der Globalisierungs-GegnerInnen hochstilisiert.
Hoffen wir, dass genau das nicht passiert: Die breite und bunte Bewegung gegen WTO, IWF, Weltbank und andere braucht keinen Kanon (und keine Bibel), und schon gar nicht diesen. Stiglitz als eine von vielen Informationsquellen zu benutzen, das geht in Ordnung. Seine Ideen aber zum Leitfaden oder gar zum Vorbild zu erheben hieße, die Kritik an der Globalisierung zu reduzieren auf den Versuch, Ausbeutung zu vermenschlichen. Und das ist ein unauflöslicher Widerspruch… (-bi-)