Sprachlich genialer Spaß – Rezension

Kehl­mann, Dani­el: Die Ver­mes­sung der Welt; Roman; Rowohlt Ver­lag, Rein­bek bei Ham­burg, 2005; ISBN 3-4980-3528-2; Preis 19,90 Euro.

Es ist ein äußerst skur­ri­ler Roman, die­se fik­ti­ve Geschich­te über Alex­an­der von Hum­boldt und Johann Carl Fried­rich Gauß, und das ist sowohl inhalt­lich als auch sti­lis­tisch gemeint. Weil es sich aber um einen Best­sel­ler han­delt, der in den ver­gan­ge­nen Mona­ten wohl schon hun­dert­fach in ande­ren Medi­en rezen­siert wor­den ist, sei es an die­ser Stel­le erlaubt, den Inhalt hint­an zu stel­len und zunächst über den Stil zu schreiben.

Der näm­lich ist aben­teu­er­lich, lehr­reich und sprach­lich geni­al zugleich: Dani­el Kehl­mann hat es geschafft, ein 300-Seiten-Werk über Men­schen zu schrei­ben (und somit auch über ihre Kom­mu­ni­ka­ti­on mit- und unter­ein­an­der) ohne ein ein­zi­ges An- und Abfüh­rungs­zei­chen, ohne eine ein­zi­ge direk­te Rede zu ver­wen­den. Die­ser Roman ist, so gese­hen, eine lite­ra­ri­sche Ver­beu­gung vor dem Kon­junk­tiv. Selbst Dia­lo­ge, deren Wie­der­ga­be mehr als eine Buch­sei­te ver­langt, kom­men ohne jedes wört­li­che Zitat aus und daher. Auch wenn dies ein sub­jek­ti­ver Ein­druck ist: Die­ses Kehlmann’sche Aus­drucks­mit­tel gibt der Erzäh­lung Druck und Tem­po in einem Maße, dass man – hat man ein­mal mit dem Lesen ange­fan­gen – vor dem Ende nicht mehr auf­hö­ren mag.

Aber für atem­lo­se Span­nung sorgt auch die Geschich­te selbst, nicht im Krimi-Sinne, son­dern wegen ihrer begna­de­ten Ver­schro­ben­heit. Kehl­mann por­trä­tiert, nein, kari­kiert zwei pro­mi­nen­te deut­sche Wis­sen­schaft­ler: Hier der Mathe­ma­ti­ker, Astro­nom, Geo­dät und Phy­si­ker Johann Carl Fried­rich Gauß (1777–1855), dort das Naturforscher-Multitalent Fried­rich Wil­helm Hein­rich Alex­an­der Frei­herr von Hum­boldt (1769–1859). Wer sich die Mühe macht, Kehl­manns Beschrei­bung der Bei­den mit ihren Bio­gra­phien zu ver­glei­chen, wird schnell fest­stel­len, dass der Autor es mit der Wahr­heit nicht all­zu genau nimmt. Macht aber nichts, im Gegen­teil: Es ist die – sie­he oben: sprach­lich bril­lan­te – Mix­tur von Fak­ten und Fik­tio­nen, die die­sem Roman einen wesent­li­chen Teil sei­nes Wit­zes ver­leiht. Die ande­re Pri­se des­sen ent­stammt auch einer Gemenge­la­ge, näm­lich dem bizar­ren Durch­ein­an­der von staub­tro­cken dar­ge­bo­te­ner Beschrei­bung der Wis­sen­schaft­ler Gauß und Hum­boldt sowie par­al­lel der bissig-humoristischen Schil­de­rung der all­zu gewöhn­li­chen Men­schen glei­chen Namens – mit all den Tücken und Macken, Lüs­ten und Frus­ten, die sie tat­säch­lich oder fik­tiv mit sich her­um­ge­tra­gen haben (sol­len).

Und hier schöpft Kehl­mann aus dem Vol­len. Ohne an die­ser Stel­le all­zu vie­le Details ver­ra­ten zu wol­len – aber wie Gauß zwi­schen Zahn­schmer­zen und umge­kipp­tem Nacht­topf sei­ne Siebzehneck-Konstruktion ent­wirft, sich über blö­de Stu­den­ten mokiert oder mit einer rus­si­schen Hure ver­lus­tiert, die­sen Schil­de­run­gen wohnt eine Skur­ri­li­tät inne, die ihres­glei­chen sucht. Aber die fin­det sie noch im sel­ben Buch – näm­lich in der Beschrei­bung Hum­boldts in sei­ner Beses­sen­heit beim Erklim­men fer­ner Gip­fel, beim ris­kan­ten Absei­len in Kra­ter, beim Kopf­läu­se­zäh­len unter Ein­ge­bo­re­nen, beim Mes­sen bis in die fünf­te Nachkommastelle.

Köst­lich: Die­ses Buch muss man ein­fach gele­sen haben. (-bi-)