Zierul, Sarah: Der Kampf um die Tiefsee – Wettlauf um die Rohstoffe der Erde;
Hoffmann & Campe, Hamburg 2010; 352 Seiten mit 17 Abbildungen auf vier Tafeln;
ISBN 978-3-4555-0169-8; Preis 22,00 Euro
Es mag ungewöhnlich erscheinen, wurde aber im vorigen Heft bereits angekündigt: Noch einmal soll – nach der kurzen Erwähnung in unserer Herbstausgabe – hier ein im Sommer erschienenes Buch vorgestellt werden. Sarah Zieruls Werk verdient es – nicht nur der Sache wegen, sondern auch, weil es in seiner Form besonders für Laien lesbar und damit zur Weitergabe und Empfehlung geeignet ist.
Trotz IPCC-Klimabericht und vieler anderer Warnungen ist die Dramatik und sind die möglichen Folgen unseres Umgangs mit dem Meer noch lange nicht in angemessener Weise ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Zierul hat mit zwei Fernsehbeiträgen und diesem Buch einen wichtigen Beitrag dazu geliefert, dass sich das ändert.
Als Mitreisende an Bord des deutschen Forschungsschiffs „Sonne“ beschreibt sie die Faszination, die Wissenschaftler erfasst, wenn sie entdecken, dass die Umgebung der so genannten „Schwarzen Raucher“ nicht wie angenommen tot, sondern voll bislang unbekannten Lebens ist. In Interviews mit beteiligten Forschern wird dabei der Konflikt deutlich, einerseits im Umfeld der unterseeischen heißen Quellen reiche Vorräte an Edelmetallen entdeckt zu haben und andererseits, sollten diese ausgebeutet werden, das gerade entdeckte Leben zu vernichten. Derartige Skrupel sind von großen internationalen Bergbauunternehmen wie „Nautilus Minerals“ nicht zu erwarten, die Gewehr bei Fuß stehen, um schleunigst mit dem Abbau von Kupfer, Zink und anderen Edelmetallen zu beginnen.
Zierul besuchte vor der Küste von Angola die riesigen schwimmenden Förderanlagen, die Öl aus tausenden Metern Tiefe fördern. Durch ein Interview mit einem verantwortlichen Manager der französischen Firma TOTAL verdeutlicht sie, dass dies erst der Anfang ist: „Wir können auch aus 4000 Metern Tiefe Öl fördern und wir werden es tun“. Was dabei zerstört wird und welche ökologischen Folgen derartige Eingriffe haben können, ist weder ausreichend erforscht noch spielt es wirklich eine Rolle. Die Exploration von Ölvorkommen in der Tiefsee durch alle großen Energieunternehmen läuft weltweit auf vollen Touren.
Das zumeist in Festlandshängen vorkommende Methanhydrat ist eine Energiequelle der Zukunft, die größte auf unserem Globus. Mit der schwierigen Hebung dieses Schatzes beschäftigt sich das internationale Forschungsprojekt SUGAR unter Beteiligung auch des bremischen Instituts MARUM. Weil die Vorkommen nicht immer rechtlich einem Anliegerland zuzuordnen sind, können hier kriegerische Konflikte nicht ausgeschlossen werden; eine bereits aus diesem Grund resultierende Auseinandersetzung zwischen Japan und Korea konnte gerade noch verhindert wurde. Zierul berichtet weiter über sehr konkrete deutsche Pläne zur „Ernte“ von Manganknollen im Pazifik, wo sich die Bundesrepublik 75.000 Quadratkilometer – eine Art siebzehntes Bundesland – zur Exploration und Ausbeutung dieser wertvollen, in Millionen Jahren gewachsenen Knollen gesichert hat.
Neben der möglichen Gewinnung von Rohstoffen wie Edelmetallen, Gas, Öl oder Methanhydrat wird auch die Nutzung biologischer Rohstoffe aus der Tiefsee immer interessanter. Große Pharmaunternehmen sind ins Geschäft eingestiegen, aus marinen Organismen werden verschiedenste Arzneimittel produziert, auch dies ist ein „Wachstumsmarkt“, der massive Nutzungskonflikte mit sich bringen kann und wird. Sarah Zierul zitiert einen französischen Wissenschaftler mit den Worten: „Wir müssen uns beeilen, denn die Verwüstung der Meere hat längst begonnen.“
Alle diese Aktivitäten sind ohne Vor- und Mitarbeit von Wissenschaft und Forschung nicht denkbar. Besorgte Forscher haben sich deshalb einen Verhaltenskodex gegeben. Das wird Unternehmen aber kaum von ihren Aktivitäten abhalten. Zudem: Meeresforschung ist extrem teuer und aufwendig. Öffentliche Finanzquellen sickern mehr als dass sie sprudeln (zwar hat das Forschungsministerium gerade in seinem „Nachhaltigkeitsprogramm“ 650 Millionen Euro zur Ertüchtigung der deutschen Meeresforschungsschiffe bereit gestellt – aber sicher nicht nur, um weitere unbekannte Arten zu entdecken). Also wird private Forschungsfinanzierung aus der Wirtschaft natürlich gerne angenommen. Ob der Verhaltenskodex dann mehr ist als ein Versuch, das Gewissen zu beruhigen, darf bezweifelt werden.
In den vergangenen Jahren hat eine internationale nichtstaatliche Meereskonferenz nach der anderen stattgefunden. Zweck ist in der Regel das „Come together“ von Wirtschaft, Meerestechnik und Forschung. Da finden sich unter den „Panel Members“ Vertreter bekannter Unternehmen von der staatlich-norwegischen Statoil bis zum US-amerikanischen Konzern Halliburton – bestens bekannt durch seine Beteiligung am „Deepwater-Horizon“-Desaster oder seine fragwürdige Rolle im jüngsten Irakkrieg. Irgendeine Rücksichtnahme mit dem Ziel, die Tiefsee als „Erbe der Menschheit“ (UN-Seerechtskonvention) zu bewahren, darf man da wohl nicht erwarten, zumal die USA bekanntlich dieser Konvention bis heute nicht beigetreten sind. Und die UN-Seebodenbehörde, zuständig für Lizenzen zur Exploration und Ausbeutung des Meeresbodens außerhalb der Außerordentlichen Wirtschaftszonen, ist finanziell wie personell völlig überfordert.
Natürlich gibt es Warnungen, die letzten und größten ökologischen Schätze dieser Erde leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Aber viele Kenntnisse über Dramatik und Ausmaß der wirtschaftlichen Gier nach ungehobenen Rohstoffen sind selbst bei manchen noch nicht angekommen, die sich täglich mit der Materie befassen. Bekanntlich haben sich im Meeres-„Volks„zählungsprojekt „Census of Marine Life“ mehr als 2000 Wissenschaftler weltweit zehn Jahre lang versucht, einen Überblick über das Leben im Meer zu bekommen. Sie haben tausende neue Arten entdeckt und registriert. Ihre wichtigste Erkenntnis aber war, dass vermutlich noch hunderttausende weitere Arten unentdeckt sind. Dennoch ist die wirtschaftliche Ausplünderung ohne Rücksicht auf Verluste bereits in vollem Gange.
Es ist höchste Zeit, dass sich Wissenschaftler und Politiker über ihre Funktion in diesem großen Spiel klar werden und eindeutig äußern. Vor kurzem erschien als neuestes deutsches Werk das vom „mare“-Verlag mitfinanzierte „World Ocean Review“ (siehe nebenstehenden Bericht): Statt eindeutiger Stellungnahmen verbreitet das Werk „Hiobsbotschaften im Flüsterton“, wie der SPIEGEL anmerkte. „mare“-Verleger Nikolaus Gelpke rechtfertigte das mit dem Hinweis, es sei extrem schwierig, mit dem Bericht politische Lobbyarbeit zu betreiben. Aber genau darauf kommt es an: Die Tiefseenutzung gehört öffentlich und politisch diskutiert, bevor es zu spät ist. Sarah Zieruls Buch kann das anstoßen und vorantreiben, das macht es wertvoll.
Autor: Peter Willers