Latif, Mojib: Das Ende der Ozeane – Warum wir ohne die Meere nicht überleben werden;
Freiburg/Basel/Wien, 2014; Verlag Herder; gebunden, 319 Seiten;
ISBN: 978-3-4513-1237-3; Preis 22,99 Euro.
Mojib Latif ist nicht nur ein angesehener Meteorologe und Ozeanograph – sondern einer, der sich immer wieder und beharrlich in den Medien zu präsentieren weiß. In etlichen Fernsehsendungen, Zeitschriftenbeiträgen und einigen Büchern hat sich der GEOMAR-Forscher (zugleich Vorstandsmitglied des Deutschen Klima-Konsortiums) als Warner vor dem prognostizierten Klimawandel und seinen verheerenden Folgen profiliert und sich dabei auch eloquent gegen etliche Kritiker behauptet. Nun hat Mojib Latif sich der Situation der Ozeane und Meere angenommen und ist in einem handlichen Büchlein der Frage nachgegangen, „warum wir ohne die Meere nicht überleben werden“: Dieser Untertitel seines aktuellen Werkes deutet allerdings bereits an, warum dieses Buch trotz aller beeindruckenden inhaltlichen Kompetenz als – nun, ja: verzichtbar zu bewerten ist: Die „Wir“-Attitüde nervt.
Es ist sicher nicht übertrieben – und schon gar nicht überflüssig –, die Ozeane als Ursprung allen Lebens zu beschreiben, ihre natürliche Schönheit hervorzuheben und ihre Gefährdung durch anthropogene Aktivitäten zu geißeln. Latif leistet das auf anschauliche Weise, verknüpft Fakten zu Zusammenhängen, beschreibt verständlich fundamentale Gegebenheiten. Er erklärt etwa die Bedeutung von Meeresströmungen für das Leben und das Klima, erläutert das 2010 (leider viel zu früh und unvollkommen) beendete Projekt der ozeanischen „Volkszählung“ und rundet dies ab mit einem Blick in die unbekannte Tiefsee. Er skizziert die Prozesse, die zur zunehmenden Versauerung der Meere beitragen, und die daraus sich ergebenden Folgen. Er widmet sich dem Ausmaß und der Konsequenzen von Meeresverschmutzung durch Erdöl oder Radioaktivität oder Unmengen Plastikmülls, streift auch – zu knapp, vielleicht – die wachsende Gier auf die Rohstoffe der Meere. Wenngleich wichtige Aspekte wie Fischerei oder Schifffahrt und Hafenbau samt Folgen für Randmeere oder Küstenstrukturen etwas zu kurz kommen, beeindruckt Latif doch durch eine „Schreibe“, die sich vor allem an Laien richtet – für Engagierte lassen sich Wiederholungen von Bekanntem nicht vermeiden. So weit, so gut.
Als problematisch empfindet man als Rezensent indes Latifs Stil und seine oftmals lästige Eindringlichkeit. Vielleicht glaubt er ja fest daran, dass seine Zeilen gerade für Laien lesenswerter werden, wenn er diese mit erhobenem Zeigefinger und persönlicher Ansprache einzubeziehen versucht – es ist, mit Verlaub, eine oft plumpe Vertraulichkeit, die einen nervt. Dies um so mehr, als Latif mit seiner ebenso penetranten wie betulichen „Wir“-Attitüde so tut, als trügen „wir Menschen“ alle gleichermaßen Schuld an der Misere – kaum ein Wort verliert er indes über Verursacher und Opfer, über vermeintliche Gewinner und tatsächliche Verlierer oder über die engagierten Bemühungen vieler, etwas an den Ursachen und Folgen zu ändern.
„Das Ende der Ozeane“, wie Latif es drohend skizziert, wäre Folge des Agierens globaler Machtstrukturen, von wirtschaftlicher Ausbeutung, von Gier, von anhaltender Missachtung kompetenter Warnungen: Nicht „wir“ überhören die langjährigen Rufe von Latif und vielen seiner KollegInnen, nein, sie werden vorsätzlich politisch ignoriert, weil anderenfalls Verhältnisse geändert werden müssten. „Immense Ungerechtigkeiten werden sich Bahn brechen“, beschreibt Latif etwa die Folgen regionaler Klimaveränderungen. Ja, und? Gibt es die nicht längst? Wer ist verantwortlich, was ist zu tun? – Wer, wie etwa der Rezensent der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, Latif „freudige Emphase“ für die Ozeane bescheinigt, liegt nicht falsch, gräbt aber nicht tief genug. Denn Emphase kann auch Widersprüche verkleistern – und eben das tut Latif, nicht nachweislich bewusst, vermutlich eher im Überschwang. So gesehen, ist sein Buch schlicht unpolitisch. Und das ist nicht nur schade, sondern auch des Themas unwürdig.
Abschließend eine Bemerkung zur Buchgestaltung: Ob ein Verzicht auf eine zweifellos mögliche reichhaltige Bebilderung gerade bei einem an Laien gerichteten Sachbuch sinnvoll ist, darüber kann man diskutieren. Wenn aber auch die Illustration wesentlicher Inhalte – wie etwa die Darstellung von Meeresströmungen oder Temperaturentwicklungen im globalen Maßstab – nur im Miniatur-Schwarzweiß-Format erfolgt, dann ist das optisch schwierig und somit potenziell missverständlich: unnötig und schlecht.
Burkhard Ilschner