In Heft 3 / 1995, Seite 10-12 der (damaligen) AKN-Zeitschrift WATERKANT erschienen Ende September im Rahmen der Konferenz-Nachbetrachtung von Joachim Dullin und Ute Meyer folgende Arbeitsgruppen-Berichte:
Arbeitsgruppe 1 – Wissenschaft: Was sie nützt und wer sie nutzt
Wissenschaft wird immer mehr zum Mittel für die herrschende Politik. Es zeichnet sich ab, dass zwar Forschungsgelder für Umweltforschung bereitgestellt werden. Andererseits werden damit die Fragen vorgegeben, wird die angebliche Objektivität der Wissenschaft benutzt, um die Formulierung von klaren politischen Aussagen und Handlungsanweisungen zu verhindern.
Ausgehend von der Fragestellung, was Wissenschaft nützt und wer sie nutzt, entwickelte die Arbeitsgruppe eine Reihe von Forderungen und Vorschlägen zum künftigen Selbstverständnis der Wissenschaft:
WissenschaftlerInnen müssen zwar die Möglichkeit haben, auch in einem „Elfenbeinturm“ Grundlagenforschung zu betreiben. Die Bedeutung ihrer Arbeit und ihre Erkenntnisse müssen die ForscherInnen jedoch vermitteln können. Wissenschaft muss sich selbst verantworten, Grundlagenforschung darf nicht von möglichen negativen Anwendungen getrennt werden. Die Erkenntnisse der angewandten Forschungsbereiche erfordern von den WissenschaftlerInnen öffentliche Stellungnahme.
WissenschaftlerInnen müssen die Grenzen ihrer Herangehensweise darlegen. Dazu gehört aufzuzeigen, welche Fragen im Rahmen ihrer Wissenschaft beantwortbar sind und welche nicht.
Es müssen neue Fragen in der Wissenschaft zugelassen werden. Insbesondere muss sich die strenge Aufteilung der Disziplinen auflösen und echtes interdisziplinäres Arbeiten angestrebt werden. Erst dann können ökologische und gesellschaftsrelevante Fragestellungen, die sich nicht innerhalb einer Wissenschaftdisziplin bearbeiten lassen, Inhalt der Forschung werden. Die Forschenden selber sind aufgerufen, solche neuen Fragestellungen zu entwickeln. Die Aufgabe der Wissenschaft muss es sein, die Erkenntnisse für eine mögliche Umgestaltung der Gesellschaft zu gewinnen.
Die Wissenschaftlerinnen müssen über die modellhafte Naturbetrachtung hinaus die „Ehrfurcht“ über ihr Forschungsobjekt und ihre Ergebnisse wiedergewinnen und vermitteln können. Nur so können sie unter Umständen fordern, wissenschaftliche und technische Möglichkeiten nicht zu nutzen, wenn sie ökologisch, sozial oder ethisch nicht vertretbar sind.
Arbeitsgruppe 2 – Die Nordsee: Spiegel der Gefräßigkeit
Die Industriegesellschaft baut ihren Reichtum auf den stetig wachsenden Umsatz von Stoffen. Die Abfälle, die aus diesem Prozess resultieren und die Schuld sind am Zustand der Nordsee, behindern aber auch die immer weitere Ausbeutung von Ressourcen. Die Unersättlichkeit der Industriegesellschaft nach immer neuen nutzbaren Ressourcen geht auf Kosten der Natur und der unterpriviligierten Staaten der sogenannten „Dritten Welt“.
Das Prinzip der Ausbeutung von Mensch und Natur und der Zusammenhang mit der Verschmutzung der Nordsee war Thema dieser Arbeitsgruppe. Sie konzentrierte sich beispielhaft auf das Problem „industrielle Landwirtschaft“, an dem sich sowohl die Verschmutzung der Nordsee durch Düngemittel- und Pestizideinträge wie auch die Einbindung in den Weltmarkt verdeutlichen lässt.
Angesichts der Beschreibung der bestehenden bedrückenden Ausbeutungsstrukturen setzten die TeilnehmerInnen der AG vor allem auf die Entwicklung eines selbstbewussteren, selbstkritischeren und kooperativen Verbraucherverhaltens. Statt sich als KonsumentIn zwischen einem mehr und einem weniger umweltverträglichen Produkt zu entscheiden, wurde ein grundsätzlicher Wertewandel gefordert.
Unter dem Blickwinkel „weniger – einfacher – langsamer“ richtete sich die Kritik insbesondere gegen Reizüberflutung, Konsum, Verschwendung und Überfluss. Der Blick für das Wesentliche, die Transparenz von (politischen) Strukturen wie auch bewussteres Leben wurden ebenso eingefordert wie reparable, langlebige Produkte und die Hinterfragung der Umweltverträglichkeit unserer Freizeitaktivitäten.
Transportsubventionen sollten zugunsten dezentraler lokaler Produktionen abgebaut, die Subventionen für die industrialisierte Landwirtschaft zugunsten dezentraler Produktions- und Vermarktungsstrukturen gestrichen werden. Eine Umverteilung von Arbeit und Zeit sowie eine Verkürzung von Arbeitswegen wurden für notwendig erachtet. Die nötigen Veränderungen im Lebensstil werden sich in angemessener Zeit entwicklen müssen, so dass es auch den sogenannten „Dritte Welt“-Ländern möglich sein wird, sich darauf einzustellen.
Arbeitsgruppe 3 – Mehr Technik, weniger Arbeit. Und dann?
Eigentlich sollte es in dieser AG um den Einfluss von Technik sowohl auf Bedingungen von Arbeit als auch auf den Zustand von Natur gehen. Die Diskussion bewegte sich dann jedoch eher im Bereich der Schnittstelle Technik und Arbeit. Es kristallisierten sich folgende Kernpunkte heraus:
In vielen Köpfen existiert aus verschiedensten Gründen immer noch ein Idealbild von Technik, die in Zukunft alles kann, alles möglich macht, während die Menschen in Muße ihr Leben geniessen können. Gegenteilige Effekte von Technik sind allerdings mehr als offensichtlich.
Da Technik zunehmend menschliche Arbeit ersetzt, muss der Wert von menschlicher Arbeit neu definiert werden. Ist mehr Technik und Effizienz wichtiger als Arbeitsplätze? Welche Arbeit wird in unserer Gesellschaft anerkannt, welche nicht? Technik bestimmt Arbeitsstrukturen und behindert – als „Sachzwang“ – die Entwicklung und Nutzung neuer Strukturen, durch die Probleme einfacher oder ökologisch verträglicher gelöst werden können (beispielsweise im Verkehrsbereich). Im Umweltschutz hat Technik im wesentlichen die Funktion der Reparatur von Technikfolgen.
In der technischen Effizienzsteigerung steckt ein großes Potential zur Einsparung von Ressourcen. Als Basis für ein ökologisches Wirtschaften reicht die Effizienzrevolution nicht aus, sie kann nur durch eine Änderung des Lebensstils geschaffen werden.
Bei vielen technischen Produkten stellt sich die Bedarfsfrage. Wer hat im übrigen ein Interesse daran, dass es bestimmte Produkte noch gibt? Welche nichttechnischen Bedarfslösungen oder Bedürfnisbefriedigungen sind denkbar?
Technischer Umweltschutz, wie etwa produktionsintegrierter Umweltschutz, kann helfen, ökologische Einzelprobleme zu verkleinern. Aber nur mit Hilfe von Technik lässt sich die „ökologische Krise“ auf dem Planeten nicht lösen. Schon gar nicht stellt Technik eine Lösung für die „soziale Krise“ dar.
Arbeitsgruppe 4 – Gesetzgebung und Vollzug
Ansatz der Arbeitsgruppe war die Frage, ob die Forderung nach mehr Gesetzen der Umwelt hilft und inwieweit bestehende Gesetze umgesetzt werden (Vollzugsdefizit). Das Thema wurde anhand verschiedener Beispiele diskutiert: So wurde etwa am Falle Lettland die mögliche Rolle des Staates in einer im Aufbau befindlichen Umweltwirtschaft aufgezeigt. Anhand der deutschen Verwaltung wurde diskutiert, inwieweit eine Verminderung von Vollzugsdefiziten möglich ist und welche Rahmenbedingungen dabei angestrebt werden müssen. Schließlich wurde dargelegt, welche Bedeutung der Offenlegung von Umweltdaten bei der Beteiligung von Öffentlichkeit zukommt.
Das Resumée und die Forderungen, die sich daraus ergaben, lauten:
– Für das Vollzugsdefizit gibt es strukturelle Ursachen: Gesetze und Verordnungen reagieren auf bestehende Probleme, indem sie die technischen Möglichkeiten nachzeichnen. Sie arbeiten nach dem Prinzip des nachsorgenden Umweltschutzes.
– Die Wachstumsideologie arbeitet Umweltinteressen entgegen und verstärkt die Verschleppung von Umweltschutzgesetzen. Die Grundthese unserer Industriegesellschaft lautet, dass mit dem Wachstum der Wirtschaft das Allgemeinwohl gesichert werde. Angesichts der daraus entstandenen ökologischen Probleme einerseits und der sozialen Probleme, wie Arbeitslosigkeit trotz steigenden Wachstums, andererseits stimmt diese These nicht mehr.
– Ein Ausweg daraus kann nur ein grundsätzlicher Wertewandel sein. Der vorsorgende Umweltschutz muss dem Wachstumsprinzip entgegengestellt werden. Es muss deutlich gemacht werden, dass die angebliche Sicherung des Allgemeinwohls durch Wachstum eine Fehleinschätzung ist. Langfristige soziale, ökonomische und ökologische Sicherheit und Lebensqualität der Gesellschaft können nur durch vorsorgenden Umgang mit Ressourcen und Energien und durch die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, wie zum Beispiel saubere Gewässer, erreicht werden.
– Eine Einbeziehung von Öffentlichkeit in Planungen bleibt erfolglos, wenn die Umweltressorts der Verwaltungen zu deren Ansprechpartnern gemacht werden. Ökologische Kompetenz muss in allen Ressorts institutionell verankert sein. Gleichzeitig muss eine Kontrolle der Verwaltung wie auch der Politik durch die Öffentlichkeit möglich sein (Transparenz).
Arbeitsgruppe 5 – Was nützt uns das Umweltrisiko?
Durch die Steigerung des Konsums geht immer mehr Umwelt verloren. Dies wird trotz besseren Wissens in Kauf genommen, in der Annahme, dass der Nutzen dieser Lebensweise den Verlust bzw. das Risiko übersteigt. Es galt also zu fragen, ob dieser Nutzen wirklich besteht und wie die Gesellschaft mit dem „Umweltrisko“, das heißt mit nicht vorhersehbaren Wirkungen der Umweltzerstörung, umgeht.
In der Diskussion wurde versucht zu klären, warum das „Umweltrisko“ für gering gehalten oder warum trotz der Wahrnehmung des Risikos an der bestehenden Lebensweise festgehalten wird: Mögliche Schäden und Katastrophen werden für quantifizierbar und technisch beherrschbar gehalten, menschliche Fehler werden ausgeklammert. Viele Risiken sind nur intellektuell zu erfassen und daher leicht verdrängbar (z.B. Radioaktivität).
Oftmals wird als Entschuldigung für die fehlende Beschäftigung mit den Umweltproblemen der Mangel an Zeit angeführt. Andererseits besteht bei vielen BürgerInnen die Angst vor einem gesellschaftlichen Wandel, weil sie eine ungewisse Zukunft mit persönlichen Einschränkungen fürchten, etwa den Verlust von Absicherungen (Altersversorgung usw.).
Die AG formulierte Forderungen und Lösungsmöglichkeiten, die einerseits auf die Produkte und andererseits auf das Verhalten der KonsumentInnen abzielten:
– Auf den Produktbereich bezogen sollten weniger, dafür aber qualitativ hochwertige, ökologisch vertretbare Produkte angeboten werden. Kriterien dafür sind die Überschaubarkeit von Produktionskette und Produktzusammensetzung, eine Reduktion der Vielfalt sowie die Reparierbarkeit der Produkte.
– Orientierung am Vorsorgeprinzip. Politik darf sich nicht länger an eingetretenen Schäden orientieren (Krisenmanagement), sondern muss nach dem Vorsorgeprinzip handeln. Politik muss die Bevölkerung über verfügbare Verbrauchskontingente an Energie, Ressourcen etc. informieren.
Die AG betonte zugleich die Notwendigkeit gesellschaftlicher „Freiräume“, in denen Alternativen in demokratischen Strukturen entwickelt und gelebt werden:
– Die Schaffung von Strukturen zwischen Politik und Verbrauchern (z.B. Zukunftswerkstätten, Car-sharing, autofreie Siedlungen).
– Vorsorgender Erhalt und Neuschaffung kollektiver Räume zur Vermeidung der forschreitenden menschlichen Isolation.
Arbeitsgruppe 6 – Kreativität gegen Macht und Medien
Die Arbeitsgruppe war als selbstkritisches Forum über die Rolle und das Selbstverständnis der Umweltgruppen geplant. In der Umweltbewegung, deren Sympathisanten oft kreativ und charismatisch andere Lebensstile selbst ausprobierten, ist durch Professionalisierung Umweltarbeit vielfach zum Job geworden. Dabei haben die Umweltgruppen viel von ihrer Austrahlung und damit von ihrer Überzeugungskraft verloren.
In der Arbeitsgruppe kristallisierte sich aber auch heraus, dass die Medienlandschaft und die Machtstrukturen, insbesondere Leistungsdruck und Geschwindigkeit unserer Gesellschaft, „Bewegung“ im kreativen Sinne allgemein hemmen.
Die AG versuchte, konkrete Projekte zu entwerfen, mit denen sich die TeilnehmerInnen selbst auch identifizieren wollten. Zu verschiedenen Themenbereichen wie
– Bildung / Ausbildung / Motivation von Jugendlichen
– Medien und Macht
– Prinzipien und Handlungsbedingungen
entwickelten sich spontane und kreative Vorschläge zur Einmischung in die herrschenden Medien- und Machtstrukturen (z.B. Bürgerradio, Offene Kanäle, Internet) und die Lust, diese Vorschläge auch auszuprobieren. Es wurde dafür plädiert, dass die Medien von den Umwelt- und Verbrauchergruppen sowie BürgerInnen zur Bewußtseinsbildung und Artikulierung genutzt werden.
Träume, Wünsche und Ziele von Kindern und Jugendlichen als Wegweiser für die Zukunft müssen in der Gesellschaft Beachtung und Ausdruck finden. Bildung muss vorrangiges gesellschaftliches Ziel sein. Als strukturelle Fehler des Schul-Bildungssystems wurden die Art der Vermittlung, die Anhäufung von Wissen als vorwiegendes Lernziel und der Leistungsdruck gesehen. Gefordert wurden mehr Projektarbeit in allen Schulen mit relevanten, interdisziplinären Inhalten sowie ein wesentlich stärkeres Engagement der Nicht-Regierungsorganisationen an den Schulen. Lernen muss neu und von allen Beteiligten organisiert werden.
Diese AG formulierte den Begriff der notwendigen „Freiräume und Freizeiten“.
– Ende –