Das Lieferkettengesetz muss den Transport umfassen –
und die Seeleute und das Meer auch!
Policy Briefing des Bündnisses „Fair übers Meer“ zum Lieferkettengesetz
Am 3. März 2021 hat die Bundesregierung den Entwurf für ein Lieferkettengesetz verabschiedet („Sorgfaltspflichtengesetz“). Das Gesetz soll unternehmerische
Verantwortung, vor allem von Leitunternehmen in globalen Lieferketten, für menschenrechtliche und umweltbezogene Standards entlang der gesamten Lieferkette
verankern.
Dafür sind Transport, Logistik, insbesondere auch der Seetransport von entscheidender Bedeutung. Hier ereignen sich viele der im Gesetz (§ 2 Absatz 2) genannten Menschenrechtsverletzungen (Arbeitszeiten, Lohn, Unfälle, Gewerkschaftsfreiheit) und wesentliche Umweltvergehen (Entsorgung, Schadstoffeinleitung). Transport, Logistik und Seehandel sind hoch globalisiert und für Transparenz und Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette von entscheidender Bedeutung. Gerade hier liegt ein großer Teil der Informationen und der potenziellen Kompetenz, um für Verantwortung entlang der Lieferkette zu sorgen.
Der Gesetzentwurf adressiert diesen Bereich jedoch nicht. In seiner vorliegenden Form klammert das Lieferkettengesetz den Transport, die Logistik und insbesondere den Seetransport, die Seeleute und das Meer faktisch aus.
1. Akteure der Lieferkette sind nicht nur Zulieferer
Zwar heißt es, die Lieferkette „umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden“ (§ 2 Absatz 5). Die konkrete Zuständigkeit von Unternehmen bezieht sich im Gesetz aber nur auf das Handeln von „Zulieferern“ – also um andere Unternehmen, die Vorprodukte herstellen.
In der Praxis würde das so aussehen: Ein Unternehmen bezieht von einem anderen Unternehmen in Übersee Vorprodukte. Gleichzeitig beauftragt es ein Transportunternehmen, z.B. eine Reederei oder einen Logistiker, diese Vorprodukte zu transportieren. Nur das herstellende Unternehmen ist „unmittelbarer Zulieferer“ – hier ist das auftraggebende Unternehmen laut Lieferkettengesetz verpflichtet, abzuschätzen, ob der Lieferant Menschenrechte einhält. Das Transportunternehmen ist kein „Zulieferer“ – hier entsteht keine durch das Gesetz vorgesehene Verpflichtung für das auftraggebende Unternehmen.
Es geht auch anders. Die „Konfliktmineralienverordnung“, d.h. die Verordnung der EU über den Handel mit mineralischen Rohstoffen aus Kriegs- und Konfliktgebieten (EU 2017/821), definiert als Akteure nicht nur „Zulieferer“, sondern alle „Wirtschaftsbeteiligten, in deren Gewahrsam (custody) sich die Minerale und Metalle auf ihrem Weg durch die Lieferkette befinden“.
⇒ Wir fordern daher eine Klarstellung im Gesetz, dass sich die Verantwortung des
auftraggebenden Unternehmens auf alle Unternehmen bezieht, die durch Produktion, Dienstleistung oder Transport an der Entstehung des Endprodukts beteiligt sind.
2. Verantwortung erfordert Transparenz der Lieferkette
Der Gesetzentwurf enthält keine Verpflichtung des auftraggebenden Unternehmens, seine Lieferkette vollständig zu dokumentieren. Die Verpflichtung zur Risikoanalyse“ ist demgegenüber äußerst vage. Gerade beim Transport werden Aufträge häufig flexibel und kurzfristig entlang der Lieferkette vergeben. Ohne eine konsequente Dokumentationspflicht wird daher keine Transparenz über die tatsächliche Lieferkette erreicht. Die entsprechenden Daten müssen beim auftraggebenden Unternehmen vorliegen. Sonst laufen die Auskunfts- und Herausgabepflichten (§17) ins Leere.
⇒ Wir fordern, dass auftraggebende Unternehmen ausdrücklich zu einem „System zur Rückverfolgbarkeit der Gewahrsams- oder Lieferkette“ verpflichtet werden – so wie es auch die Konfliktmineralienverordnung vorsieht.
3. Größe ist nicht entscheidend
Der Gesetzentwurf definiert den Kreis der Unternehmen, die unter das Gesetz fallen, nach der Beschäftigtenzahl. Unabhängig davon, dass der vorgesehene chwellenwert den Kreis der vom Gesetz erfassten Unternehmen viel zu klein zieht, gilt aber: Ein alleiniges Abstellen auf die Beschäftigtenzahl kann nicht ausreichen.
Gerade im Bereich von Transport, Logistik, Seehandel sind Unternehmen aktiv, die nicht unbedingt viele eigene Beschäftigte haben, deren wesentliches Geschäftsmodell aber das Bedienen und die Organisation von globalen Lieferketten ist. Diese Unternehmen müssen unbedingt einbezogen werden. Hier macht auch das Argument keinen Sinn, kleineren und mittleren Unternehmen könne der erforderliche Umsetzungsaufwand nicht zugemutet werden – denn solche Unternehmen beschäftigen sich ohnehin schwerpunktmäßig mit Lieferketten.
In der Schifffahrt, aber nicht nur dort, werden Unternehmen häufig im Ausland registriert, um nationale Auflagen zu umgehen oder Steuern zu sparen. Dies ist im Anwendungsbereich (§ 1) nicht berücksichtigt, obwohl gerade hier die Anwendung besonders wichtig wäre.
⇒ Wir fordern, den Kreis der erfassten Unternehmen nicht nur nach Beschäftigtenzahl zu definieren, sondern ebenso nach Umsatz, Wertschöpfungsanteil im Ausland und Geschäftsmodell.
⇒ Der Anwendungsbereich (§ 1) muss auch auf Unternehmen ausgedehnt werden, die sich ganz oder mehrheitlich im Besitz deutscher Eigentümer befinden (Prinzip des Endbegünstigten), unabhängig vom Ort des formalen Firmensitzes.
4. Seeleute und das Meer müssen adressiert werden
Im Lieferkettengesetz müssen Seeleute, Seehandel und das Meer konsequent mit einbezogen werden. Das ist im Entwurf nicht der Fall.
Kern des Gesetzes ist die Anlage der internationalen Übereinkommen, deren Einhaltung entlang der Lieferkette gefordert ist. Hier fehlen die einschlägigen Übereinkommen, durch die Menschenrechte von Seeleuten geschützt werden. Unbedingt aufzunehmen sind das Seearbeitsübereinkommen (Maritime Labour Convention, MLC) und das Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (International Convention for the Safety of Life at Sea, SOLAS).
Für umweltbezogene Pflichten enthält die Anlage lediglich das Quecksilber-Abkommen und das POPs-Abkommen über persistente organische Schadstoffe (Nr. 12 und 13 der Liste). Dies ist zu ergänzen um das Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships, MARPOL 73/78).
In der Auflistung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken in den Begriffsbestimmungen (§2 Absatz 2 bzw. Absatz 4) fehlen einige typische Risiken, die
maßgeblich beim Transport, insbesondere im Seehandel, auftreten. Das sind insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Repatriierung, die Ausübung oder Duldung von Gewalt am Arbeits- oder Unterbringungsort, sowie die Einleitung von gefährlichen Stoffen ins Meer.
Für den Seehandel wurde der erste internationale Tarifvertrag abgeschlossen. Verantwortliche Auftraggeber verpflichten bereits heute Transportunternehmen und
Logistikunternehmen, ihre Waren nur auf Schiffen zu transportieren, die den internationalen Tarifvertrag der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) einhalten. Daran muss das Lieferkettengesetz anknüpfen und diese Tarifbindung zum Standard erklären.
⇒ Wir fordern, dass die Liste der einzuhaltenden internationalen Abkommen und die Auflistung der wichtigsten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken entsprechend ergänzt wird.
⇒ Wir fordern, dass in § 2 der Absatz eingefügt wird: „Ein menschenrechtliches Risiko im Sinne dieses Gesetzes ist auch die Nichteinhaltung internationaler Tarifverträge, namentlich des ITF-Tarifvertrags auf See.“
Ansonsten schließen wir uns der Kritik der Initiative Lieferkettengesetz und den von ihr erhobenen Forderungen an:
- Einführung einer tatsächlichen Haftungsverantwortung;
- Erweiterung des Kreises der erfassten Unternehmen;
- Ausdehnung der Sorgfaltspflichten gerade auf den Beginn der Lieferkette.
Version dieses Textes: 9. April 2021