Filhol, Elisabeth: Doggerland – Roman; Hamburg, 2020; Edition Nautilus;
Hardcover, 270 Seiten; ISBN 978-3-9605-4232-2; Preis 22,00 Euro.
Einerseits ist dieser Roman eine Enttäuschung – andererseits ein Lesegenuss. Klingt verwirrend? Nun, ja, es lässt sich leicht auflösen: Inhaltlich ist dies eine weitgehend andere Geschichte als Umschlags- und Klappentext es erwarten lassen. Das enttäuscht. Sprachlich aber wird eine Brillanz geboten, die fasziniert. Das begeistert.
Salopp formuliert, führt der Verlag potenzielle Interessenten mit seiner Ankündigung kräftig in die Irre. „Schmelzende Gletscher, ansteigende Meere und ein dramatischer Erdrutsch haben das Doggerland vor achttausend Jahren verschwinden lassen“, heißt es einleitend, heute sei es „ein Schlüssel zum Verstehen des Klimawandels für die Wissenschaft – und zugleich den Zugriffen der Offshore-Industrie ausgesetzt“.
Das lässt – zumal in Verbindung mit der Titelbild-Illustration – einen maritimen Ökothriller erwarten. Dies umso mehr, da die Handlung im Jahre 2013 spielt, als der Orkan „Xaver“ über die Nordsee zog: „Der Roman folgt dem Weg des Sturms und seiner zunehmenden Stärke voller Faszination; Xaver erweckt die Geister des Doggerlandes zum Leben.“
Ja, wesentliche Teile der Geschichte sind sowohl diesem Wetterereignis als auch der Erforschung der Doggerland-Historie gewidmet. Und weil sich diese Stränge mit der Beschreibung von Klimaentwicklungen oder von Offshore-Energietechniken der fossilen ebenso wie der angeblich ökologischen Wind-Variante mischen und verweben, wird daraus ein ebenso spannender wie lehr-, weil faktenreicher Hintergrund. Der zudem noch eingebettet ist in zeitgeschichtliche und gesellschaftspolitische Betrachtungen. Nur wird daraus leider kein Klima- oder Meeresthriller, sondern all dies hängt irgendwann ziel- und folgenlos in der Luft (beziehungsweise zerstiebt im besagten Sturm). Aber dazu später mehr.
Einerseits und andererseits…
Zuvor bleibt das wirklich Gute an diesem Roman zu betonen: Die Art und Weise, wie Elisabeth Filhol diese Fakten und Zusammenhänge beschreibt – vermutlich auch ein Verdienst ihrer Übersetzerin Cornelia Wend –, die hat es in sich. Satzbau und Ausdruck sind sprachlich von fesselnd hohem Niveau; selbst endlos anmutende Schachtelsätze beeindrucken, wenn man sich auf sie einlässt, mit derart klarem Stil und hoher Präzision, dass manche Schwäche des Gesamtwerks stürmisch hinweg getragen wird: Diese Seiten sind gemacht, um verschlungen zu werden.
Bedauerlicherweise gibt es auch andere. Der eigentliche Plot dieses Romans ist nämlich „nur“ der einer Dreierbeziehung: Doggerland-Forscherin Margaret erlebt das Entstehen und Wachsen von „Xaver“ teils mit, teils neben ihren beiden Studienfreunden – Gatte Stephen und Ex-Lover Marc. Beide sind auf der Nordsee tätig, der Gatte als Offshore-Wind-Ingenieur, der „Ex“ als Macher in der Erdölindustrie. Filhol strickt daraus eine komplexe Geschichte mit vielen Erinnerungs- und etlichen aktuellen Begegnungs-Strängen, die im Zusammentreffen von Margaret und Marc bei einem Symposium im „Xaver“-gepeitschten Esbjerg gipfelt.
Dummerweise hat diese Beziehungsgeschichte zwei krasse Schwächen: Zum einen bleibt ihr Sinn unklar – ja, da war mal was zwischen den Dreien, aber das Hin und Her zwischen Rückblicken und Jetzt-Entwicklungen endet verworren und unfertig im Nichts. Irgendwie bleibt unklar, warum Filhol dies überhaupt erzählt. Zum anderen aber befleißigt sie sich auch bei den Dialogen dieser drei (wie weiterer) Akteure allzu häufig jenes Stils, der die Erklär- und Fakten-Teile ihres Buches so packend lesbar macht, der hier aber als Wiedergabe einer persönlichen, verbalen Kommunikation nur steif und aufgesetzt wirkt: Sollten Menschen, zumal einander nahestehende, je so miteinander sprechen, wäre ihnen eh nicht mehr zu helfen.
Und schließlich: Weil parallel zur Pseudo-Zuspitzung dieser Beziehungs-„Kiste“ in Esbjerg die wirklich spannenden Themen wie Sturm, Nordsee, Doggerland, Energie oder Klima wie nebensächlich fallen gelassen werden, obsiegt am Schluss des Buches die Unzufriedenheit als Gesamteindruck: Um in den Genuss der „guten“ Seiten zu kommen, müssen zu viele schwache hingenommen werden. Sehr schade. Peer Janssen