Gut gemeint, aber flapsig – Rezension

Var­gas, Fred: Kli­ma­wan­del – ein Appell; Mün­chen, 2021; Limes Verlag;
Hard­co­ver, 251 Sei­ten; ISBN 978-3-8090-2725-6; Preis 14,00 Euro.

Es ist wirk­lich scha­de: War­um nur wird ein tol­ler Inhalt so schlecht prä­sen­tiert? Fred Var­gas ist bekannt­lich eine der meist gele­se­nen fran­zö­si­schen Krimi-Autorinnen, aber sie ist von ihrem Wer­de­gang her auch pro­mo­vier­te Archäo­zoo­lo­gin und hat lan­ge Jah­re wis­sen­schaft­lich gear­bei­tet. Da über­rascht es nicht, dass sie sich beru­fen fühlt, sich zum The­ma „Kli­ma­wan­del“ zu äußern. Die Fra­ge ist nur, war­um sie es sti­lis­tisch auf eine Art und Wei­se tut, die das Lesen zur Stra­pa­ze macht.

Das Posi­ti­ve zuerst. Var­gas nimmt ihre Leser­schaft mit auf einen Parforce-Ritt durch das viel­fäl­ti­ge Spek­trum der Ursa­chen von Kli­ma­wan­del und ande­rem Miss­brauch natür­li­cher Lebens- und Umwelt­be­din­gun­gen. Dabei legt sie von vorn­her­ein Wert dar­auf, sich getreu dem Ver­ur­sa­cher­prin­zip ein­deu­tig zu posi­tio­nie­ren: „Ich tren­ne klar zwi­schen ihnen, … schein­bar macht­lo­sen Regie­ren­den und … mil­li­ar­den­schwe­ren Indus­tri­el­len an der Spit­ze der Lob­bys, die sie unter ihrer Fuch­tel haben, und … uns, den Leu­ten, … Sum­me von Mil­li­ar­den ver­schie­de­ner und den­ken­der Individuen.“

Zwar stam­men von ihr ver­wen­de­te Zah­len und Daten häu­fig aus fran­zö­si­schen Quel­len, aber weil sie über­wie­gend nicht nur ein­dring­lich, son­dern auch ver­ständ­lich begrün­det und argu­men­tiert, erschlie­ßen sich ihre Ent­hül­lun­gen auch allen nicht in Frank­reich Leben­den – eben­so wie ihre Auf­for­de­rung, die Ver­hält­nis­se zu ändern. Die Dring­lich­keit des­sen unter­streicht der fran­zö­si­sche Ori­gi­nal­ti­tel des Buches übri­gens bes­ser als der deut­sche: „L‘humanité en péril“ – die Mensch­heit in Gefahr.

Kapitalismus-Kritik

Wir müs­sen jetzt han­deln, um unser Kli­ma zu ret­ten“, lau­tet der mah­nen­de Appell auf dem Buch­um­schlag – und schnell wird deut­lich, dass Var­gas mit ihrer Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen „ihnen“ und „uns“ unmiss­ver­ständ­lich eine schar­fe, basis­de­mo­kra­ti­sche Kri­tik an der Herr­schaft des „welt­ka­pi­ta­lis­ti­schen Sys­tems“ ver­bin­det. Wobei sie die Gefähr­dung von Welt und Umwelt an den sys­te­mi­schen Wur­zeln fest­macht: Am Geld, am Wachs­tum, an der Gier, den Macht­ver­hält­nis­sen. Und, ja, hier und da auch an einer „wil­lent­li­chen oder pas­si­ven“ Des­in­for­ma­ti­on, die sie staat­li­chen Insti­tu­tio­nen unter­stellt (gele­gent­lich auch nach­weist), weil die näm­lich zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment behin­de­re und so oft Ansät­ze von Gegen­wehr blockiere.

Tat­säch­lich gel­te es zu begrei­fen, „dass der Umbau unse­rer gesam­ten Pro­duk­ti­ons­sys­te­me in der ers­ten Hälf­te die­ses Jahr­hun­derts unver­meid­lich gewor­den ist“, mahnt Var­gas. Und prä­sen­tiert in einer „Lawi­ne von The­men“ einen Über­blick, der bei der Bio­di­ver­si­tät und der Erschöpf­lich­keit von Stof­fen und Roh­stof­fen ansetzt. Von der Kri­tik bis­he­ri­ger Kohlendioxid-Politik geht es über Elek­tro­mo­bi­li­tät und Land­wirt­schaft, über Regen­wäl­der und Lebens­mit­tel – ein­schließ­lich deren par­ti­el­ler Ver­gif­tung durch Pes­ti­zi­de, Fun­gi­zi­de und ande­re indus­tri­el­le „Zuta­ten“ – zum Was­ser. Von des­sen zuneh­men­der Ver­seu­chung schlägt sie den Bogen zur Fische­rei und von dort zurück zu Lebens­mit­teln, Hun­ger und Was­ser­ver­knap­pung, zu Plas­tik­müll und Oze­an­ver­saue­rung, und endet schließ­lich bei den ver­schie­de­nen For­men der Ener­gie­er­zeu­gung. Zu allen Punk­ten die­ser „Themen-Lawine“ bie­tet Var­gas nicht nur Beschrei­bung und Ent­hül­lung von Zusam­men­hän­gen, son­dern beschreibt und kri­ti­siert – gut, wenn­gleich knapp – auch bis­he­ri­ge Schrit­te der Veränderung.

Ner­vi­ges „Biep!“

Es könn­te ein tol­les Buch sein, wenn es nicht von Anfang bis Ende (ein­schließ­lich der teil­wei­se sehr intel­li­gen­ten Handlungs-Tipps) in einer Schreib­wei­se prä­sen­tiert wür­de, die über­wie­gend ner­vig ist: Ohne Glie­de­rung und Kapi­tel, vor allem aber in einer kum­pel­haf­ten Ich-Form (Tage­buch oder Poe­sie­al­bum las­sen grü­ßen) wen­det Var­gas sich all­zu häu­fig flap­sig an die Lesen­den – „glaubt mir“, „könnt Euch drauf gefasst machen“, „könnt Ihr sicher sein“. Ein­ge­streu­te „Dia­lo­ge“ mit einem fik­ti­ven „Schreib-Zensor“, der sie gele­gent­lich – „Biep!“ – abmahnt ob ihrer Flap­sig­keit oder Abschwei­fun­gen kri­ti­siert, tra­gen nicht etwa zur Auf­lo­cke­rung bei, son­dern machen das Lesen eher ner­vig, manch­mal gar ätzend. Schade.

Burk­hard Ilschner