François, Bill: Die Eloquenz der Sardine – Unglaubliche Geschichten
aus der Welt der Flüsse und Meere; München, 2021; Verlag C. H. Beck;
Hardcover, 235 Seiten; ISBN 978-3-4067-6690-9; Preis 22,70 Euro.
Wenn ein Physiker sich einerseits mit der Hydrodynamik aquatischer Organismen befasst und andererseits den Rednerwettbewerb eines Rundfunksenders gewinnt – und dann anfängt, ein Sachbuch über das Leben in Flüssen und Meeren zu schreiben, kann eigentlich nur so etwas dabei herauskommen: eine sprachlich brillante, dabei aber ebenso unterhaltsame wie informative Erzählung, sehr persönlich und dennoch äußerst beschwingt. Das liest sich so weg…
Eigentlich ist der Titel falsch gewählt, eigentlich müsste er in etwa so lauten: „Die Eloquenz des Bill François über sein Leben mit Sardinen und anderem Meeresgetier“. Und eigentlich ist „Eloquenz“ ein noch viel zu zahmer Begriff…
Das Büchlein von François ist eine Mischung aus Autobiographie, Tagebuch, Anekdotensammlung, Sachbuch und poetisch schwelgender Prosa. Wenn er das Meer beschreibt, dann ist im Kontext von Gezeiten und damit zusammenhängenden Wellenbewegungen die Rede vom Ein- und Ausatmen des Meeres. Fischschwärme vergleicht er anschaulich mit der Ballung von Passagiermassen im ÖPNV zur Hauptverkehrszeit, aber nicht ohne auf den Unterschied zwischen einer – pardon! – tumben Menschenmasse auf Kollisionskurs und einem gemeinschaftlich agierenden Schwarm nachdrücklich und natürlich eloquent hinzuweisen. Wenn er sich mit dem Schicksal des Kabeljaus als Speisefisch und als Meereslebewesen auseinandersetzt, dann springt er von den Wikingern und den frühmittelalterlichen baskischen Fischern bis in die Jetztzeit zu chinesischen Arbeiterinnen, die Kabeljaufilets zwecks angeblicher Verkaufsförderung „impfen“ müssen, vergisst dabei aber nicht, die heutige Ausbeutung der Bestände bis zu ihrer Fastvernichtung anzuprangern. Und was die anthropogene Überfischung der Heringsbestände zu tun hat mit der Pädagogik in den Kindheitsstuben der Buckelwale, das erläutert er in einer gekonnten Mischung aus Unterhaltung, biologischem Wissen und persönlichen Eindrücken.
Ja, dieses Buch ist ein Lesebuch, dessen Lektüre als gleichermaßen vergnüglich, lehrreich und packend beschrieben werden darf. Aber dieses Buch ist in seiner Vielfalt aus beschriebenem Meeresleben und erzählten Eindrücken auch ein Manifest, dessen Botschaft allein eine unbedingte Leseempfehlung rechtfertigt: „Der Ozean gehört allen und keinem“, mahnt François in seinem Schlussplädoyer und attackiert hochaktuell Fakenews-Verbreiter ebenso wie Meeresausbeuter: „Die Welt der Worte ist wie die Welt des Meeres: ein Raum der Freiheit. … Wer die Worte zügeln will, … ist wie die Menschen, die im Meer Barrieren bauen wollen.“ Vielleicht trägt dieses Buch ein kleines Stück dazu bei, das freie Wort, ob eloquent oder nicht, zu verteidigen und dabei zugleich Barrieren zu schleifen beziehungsweise zu verhindern: physische wie geistige, und nicht nur in, auf, an den Meeren!
Peer Janssen