Mega-Schiffe: Die Folgekosten tragen wir – Rezension

Andrys­zak, Peter: Mega-Schiffe – Zeit­bom­ben auf See?; Nor­der­stedt, 2023;
Books on Demand; Paper­back, 252 Sei­ten; ISBN 978-3-7568-8508-4; Preis 24,99 Euro

Ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund der jüngs­ten Hava­rie auf der Nord­see ist die­ses Buch hoch­ak­tu­ell, span­nend, infor­ma­tiv und bri­sant. Aber es ist auch ein biss­chen ver­wir­rend; Letz­te­res soll­te aber nie­man­den davon abhal­ten, es zu lesen und, sofern mit mari­ti­men The­men befasst, all­täg­lich anzuwenden.

Peter Andrys­zak, der als Foto­graf vor­wie­gend zu mari­nen oder mari­ti­men Moti­ven und The­men unse­re Arbeit – die der Zeit­schrift WATERKANT – seit lan­gem hilfs­be­reit unter­stützt hat, setzt sich hier, gewis­ser­ma­ßen als Resul­tat sei­ner eige­nen Arbeit, mit einem Pro­blem aus­ein­an­der, das ihn und uns seit lan­ger Zeit beschäf­tigt: Der Tat­sa­che näm­lich, dass immer mehr Ree­de­rei­en sich immer grö­ße­re Schif­fe bau­en las­sen, für die immer häu­fi­ger Flüs­se, Kanä­le oder ande­re Fahr­was­ser und oft auch vie­le Häfen gar nicht geeig­net sind. Eine wich­ti­ge Kon­se­quenz dar­aus wird zwar mitt­ler­wei­le häu­fig beschrie­ben und kri­ti­siert, bedau­er­li­cher­wei­se aber immer noch meist igno­riert: Die zuneh­men­den Schiffs­grö­ßen brin­gen den Unter­neh­men mas­si­ve betriebs­wirt­schaft­li­che Vor­tei­le – die teil­wei­se immensen Fol­ge­kos­ten etwa für den immer lau­ter ein­ge­for­der­ten Aus­bau von Infra­struk­tur (Fluss­ver­tie­fun­gen, Hafenaus- und -neu­bau etc.) indes trägt die All­ge­mein­heit. Wir alle.

Die­se eben­so pla­ka­ti­ve wie zugleich ver­ein­fach­te Sicht­wei­se ergänzt Andrys­zak, indem er sein Haupt­au­gen­merk auf die öko­lo­gi­schen und öko­no­mi­schen Risi­ken die­ser Ent­wick­lung rich­tet. In acht Kapi­teln skiz­ziert er bei­spiels­wei­se Kon­struk­ti­on, Fahr­ei­gen­schaf­ten oder Betrieb ver­schie­de­ner Schiffs­ty­pen, befasst sich mit Sta­bi­li­tät, Hand­ha­bung oder Sicher­heits­aspek­ten von Con­tai­nern und ande­rer Ladungs­ar­ten, unter­sucht wich­ti­ge Fak­to­ren des Fah­rens bela­de­ner Schif­fe von Geschwin­dig­keit bis Brems­weg, von Wet­ter­ab­hän­gig­keit bis Ver­kehrs­len­kung. Er beschreibt die Situa­ti­on der Men­schen an Bord – Besat­zungs­stär­ken, Qua­li­fi­ka­tio­nen, Arbeitsplatz-Anforderungen oder Unfall­ge­fah­ren – eben­so wie Ent­wick­lung, Wett­be­werb oder Leis­tungs­gren­zen von Häfen. All dies wird schließ­lich zuge­spitzt durch den Blick auf Ursa­chen, Manage­ment und (Umwelt-)Folgen von Hava­rien sowie Mög­lich­kei­ten für Prophylaxe.

Eine Flut viel­fäl­ti­ger Quellen

Bei allen acht Kapi­teln fällt die unge­wöhn­li­che Struk­tur auf: Sei­ten­wei­se zitiert Andrys­zak – mal weni­ge Sät­ze, mal gan­ze Absät­ze – aus unter­schied­lichs­ten, kom­pe­ten­ten Quel­len; aus Büchern, Zeit­schrif­ten, Regel­wer­ken, Behör­den­ak­ten, Stu­di­en, For­schungs­be­rich­ten und ande­ren Doku­men­ten. Zur ein­fa­chen Unter­schei­dung sind die­se Zita­te kur­siv gesetzt, ver­bin­den­de Erläu­te­run­gen oder Über­lei­tun­gen des Autors erschei­nen in Nor­mal­schrift. Das trägt zwar im Schrift­bild wie viel­fach auch inhalt­lich bei zu der ein­gangs erwähn­ten ver­wir­ren­den Dar­stel­lung, führt aber – wenn man sich dar­auf ein­lässt – zu einer eben­so viel­sei­ti­gen wie lehr­rei­chen Fak­ten­flut. Wer sich indes der­art inten­siv nicht mit ein­zel­nen Aspek­ten aus­ein­an­der­set­zen möch­te, dem bie­tet Andrys­zak die Opti­on einer Art „Schnell­durch­gang“: Jedes die­ser Kapi­tel ent­hält am Schluss einen in der Regel mehr­sei­ti­gen Abschnitt „Autoren-Sicht“, in dem er kom­pri­miert die zuvor behan­del­ten Infor­ma­tio­nen wer­tend zusammenfasst.

Das kul­mi­niert abschlie­ßend zum einen in dem Ver­such, „einen Groß­teil der Fol­gen … zu benen­nen, die die aktu­el­le Aus­rich­tung zum Gigan­tis­mus in der Schiff­fahrt“ mit sich brin­gen, zum ande­ren in einer – her­vor­ra­gen­den, jedoch ange­sichts der Kom­ple­xi­tät des The­mas zwangs­läu­fig unvoll­stän­di­gen – Samm­lung von „Lösungs­ideen“. Ergänzt wird dies neben aus­führ­li­cher Auf­lis­tung aller Quel­len samt ihrer (Web-)Fundorte und aller Abkür­zun­gen durch tabel­la­ri­sche Erfas­sung von Hava­rien in Nord- und Ost­see sowie Nord­at­lan­tik seit Brand und Stran­dung des Holz­frach­ters „Pal­las“ 1998 sowie durch eine (den even­tu­el­len „Schnell­durch­gang“ unter­stüt­zen­den) „Check­lis­te“ mög­li­cher Risi­ken in der und durch die Schifffahrt.

Prä­ven­ti­on statt Reak­ti­on“ lau­tet sein wie­der­holt beton­tes Leit­mot­to. Ange­sichts der Bedeu­tung der See­schiff­fahrt im glo­ba­len Han­del bei gleich­zei­ti­ger Gigantismus-Sucht der Ree­de­rei­en gerie­ten die Risi­ken für Öko­no­mie wie Öko­lo­gie „zuneh­mend aus dem Blick“. Also gel­te es, „prä­ven­tiv zu über­le­gen“, wie die damit ver­bun­de­nen Gefah­ren „wenn schon nicht ver­hin­dert, so doch zumin­dest redu­ziert“ wer­den könn­ten. Ganz zwei­fel­los leis­tet sein Buch dazu einen wich­ti­gen Bei­trag, auch wenn es nicht ganz ein­fach zu lesen ist. Trotz die­ser Bedeu­tung sei lei­se Kri­tik gestat­tet: Ein Stich­wort­ver­zeich­nis hät­te die Hand­ha­bung deut­lich erleich­tert. Zudem hät­te die Kom­pe­tenz eines gestal­ten­den und lek­to­rie­ren­den Ver­lags die Les­bar­keit merk­lich ver­bes­sern können.

Burk­hard Ilschner