Schwere Havarie auf der Nordsee

Fünf Todes­op­fer, ein Ver­letz­ter, ein gesun­ke­nes Schiff, des­sen Die­sel­treib­stoff die Mee­res­um­welt gefähr­det – das unter ande­rem sind die Fol­gen der Hava­rie, bei der am Diens­tag in der Deut­schen Bucht zwei Frach­ter mit­ein­an­der kol­li­diert waren. 

Es geschah in den frü­hen Mor­gen­stun­den des 24. Okto­ber 2023: Der 91 Meter lan­ge bri­ti­sche Frach­ter „Veri­ty“ (IMO 9229178, 3360 dwt) war unter­wegs von Bre­men zum eng­li­schen Ost­küs­ten­ha­fen Imming­ham und fuhr aus der Weser kom­mend gera­de in Rich­tung des unge­fähr nord­west­lich ver­lau­fen­den Ver­kehrs­tren­nungs­ge­biets (VTG) Jade Approach. Von Ham­burg kam der 190 Meter lan­ge pol­ni­sche Mas­sen­gut­frach­ter „Pole­sie“ (IMO 9488097, 38056 dwt) unter Bahamas-Billigflagge und steu­er­te das VTG Terschelling-German Bight an mit Kurs aufs spa­ni­sche La Coru­ña. Die Kol­li­si­on geschah rund zwölf See­mei­len süd­west­lich von Hel­go­land – das See­ge­biet ist eine der am stärks­ten befah­re­nen Zonen der süd­li­chen Nordsee.

Die „Pole­sie“ blieb trotz Beschä­di­gung manö­vrier­fä­hig, alle 22 Mann an Bord unver­letzt. Die „Veri­ty“ indes sank kurz dar­auf, nur zwei Mann der sie­ben­köp­fi­gen Besat­zung konn­ten lebend, der Kapi­tän des Schif­fes tot gebor­gen wer­den. Nach den vier Wei­te­ren wur­de bis Mitt­woch früh groß­flä­chig gesucht – auf See, mit Hub­schrau­bern, Tau­cher ver­such­ten zudem, das Wrack zu errei­chen: Alle Mühe blieb ver­ge­bens, die Suche wur­de ein­ge­stellt, als ein Über­le­ben der vier See­leu­te im kal­ten Was­ser aus­ge­schlos­sen schien; kei­ner der drei Gebor­ge­nen hat­te eine Ret­tungs­wes­te getra­gen, die „Veri­ty“ muss inner­halb weni­ger  Minu­ten gesun­ken sein. Mitt­woch früh gelei­te­ten Schlep­per die „Pole­sie“ nach Cux­ha­ven, dort lag das Schiff bis zum Wochen­en­de, damit die Besat­zungs­mit­glie­der zum Unfall­her­gang befragt wer­den konnten.

Wie bei sol­chen Gele­gen­hei­ten üblich, ist in Deutsch­land die Bun­des­stel­le für See­un­fall­un­ter­su­chung (BSU) zustän­dig für die Unter­su­chung die­ser Hava­rie, aller­dings geschieht das laut Seerechts-Vorschriften gemein­sam mit den zustän­di­gen Behör­den der Flag­gen­staa­ten der betei­lig­ten Schif­fe – also Groß­bri­tan­ni­en und Baha­mas; mehr noch: Die Lei­tung die­ser Unter­su­chung obliegt der bri­ti­schen Behör­de als Flag­gen­staat der gesun­ke­nen „Veri­ty“. Allein die­se Umstän­de, aber auch schwie­ri­ge Daten­la­gen füh­ren oft dazu, dass sol­che Unter­su­chun­gen Mona­te, manch­mal auch län­ger dau­ern, bis Ergeb­nis­se vor­lie­gen. Ers­ten Spe­ku­la­tio­nen zufol­ge könn­te die „Pole­sie“ nach der im Prin­zip auch auf See gel­ten­den Regel „rechts vor links“ Vor­fahrt gehabt haben, denn sie befand sich, ver­ein­facht aus­ge­drückt, auf Ost-West-, die „Veri­ty“ auf Süd-Nord-Kurs (sie­he auch Nach­trag am Ende die­ses Tex­tes). Zudem ermit­telt die Ham­bur­ger Staats­an­walt­schaft wegen Gefähr­dung des Schiffs­ver­kehrs und fahr­läs­si­ger Tötung.

Wrack muss gebor­gen werden

Unmit­tel­bar nach Abbruch der Such­ar­bei­ten erließ das Wasserstraßen- und Schiff­fahrts­amt (WSA) Weser-Jade-Nordsee mit Amts­sit­zen in Bre­men und Wil­helms­ha­ven) eine so genann­te Ber­gungs­ver­fü­gung: Die­se ver­pflich­tet den Schiffs­eig­ner, kurz­fris­tig den Treibstoff-Ausstoß zu stop­pen – aus dem Rumpf der in rund 30 Metern Tie­fe lie­gen­den „Veri­ty“ waren ers­te gerin­ge Men­gen Die­sel­treib­stoffs aus­ge­tre­ten – sowie umge­hend das Wrack ber­gen zu las­sen, bis spä­tes­tens Jah­res­en­de. Details der Vor­ge­hens­wei­se (zum Bei­spiel erst Kap­pen der Auf­bau­ten, etwas spä­ter dann Rumpf­ber­gung) wer­den aber der­zeit noch geprüft. Denk­bar ist übri­gens, dass die Behör­de in Vor­leis­tung tritt, kon­kre­te Maß­nah­men ergreift und die­se dann dem Eig­ner in Rech­nung stellt.

Zustän­dig für die­se Ange­le­gen­hei­ten ist fort­an das WSA, das noch am Mitt­woch nach Abbruch der Suche die wei­te­re Ein­satz­lei­tung über­nahm: Zuvor war dies Sache des in Cux­ha­ven ansäs­si­gen Hava­rie­kom­man­dos (HK) gewe­sen – bekannt­lich eine gemein­sa­me Ein­rich­tung des Bun­des und der fünf Küs­ten­län­der, die die Auf­ga­be hat, bei Hava­rien ein koor­di­nier­tes Unfall­ma­nage­ment zu gewähr­leis­ten. Fol­ge­rich­tig hat­te das HK am Diens­tag unmit­tel­bar nach Bekannt­wer­den der Kol­li­si­on vor Ort die Orga­ni­sa­ti­on der Hilfs­ein­sät­ze von Bundes- und Wasserschutzpolizei-, Marine-, Zoll- und ande­ren Behörden-Einheiten mit den DGzRS-Lebensrettern sowie wei­te­ren zu Hil­fe geeil­ten Schif­fen – dar­un­ter auch ein bri­ti­scher Kreuz­fah­rer – übernommen.

Es war, auch wenn das im Kon­text mit den Todes­op­fern maka­ber klin­gen mag, ein fast skur­ri­ler Zufall: Die­se aktu­el­le Hava­rie ereig­ne­te sich fast auf den Tag genau nach jener der „Pal­las“: Am 25. Okto­ber 1998 war auf dem Holz­frach­ter vor Jüt­land ein Feu­er aus­ge­bro­chen, das ihn dann vor der Insel Amrum stran­den ließ – dort am Ran­de des Watts liegt das Wrack noch heu­te. Es war die­ser Unfall, der eini­ge Jah­re spä­ter dann zur Grün­dung eben jenes Hava­rie­kom­man­dos geführt hat. Für die Schutz­ge­mein­schaft Deut­sche Nord­see­küs­te (SDN) war das „Pallas“-Jubiläum übri­gens Anlass für eine ein­dring­li­che War­nung – sie erging unmit­tel­bar vor Bekannt­wer­den der jüngs­ten Kol­li­si­on, gab die­ser aber eine uner­war­te­te Aktua­li­tät: „Die Nord­see wird in unse­ren Tagen der­ma­ßen indus­tria­li­siert, wie man sich das vor 25 Jah­ren noch gar nicht vor­stel­len konn­te. Und damit erhöht sich glei­cher­ma­ßen auch die Gefahr von Schiffs­un­fäl­len auf See mit unüber­seh­ba­ren Auswirkungen.“

Nach­trag vom 3. Novem­ber 2023: Den unge­fäh­ren Her­gang der Hava­rie zeigt die­ses Video des NDR (Zeit­mar­ke 01:12-01:21).

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WATERKANT-Redaktion