Kästner, Angélique und Andreas: Tatort Hafen – Tod im Schatten der
Elbflut; Kriminalroman; München, 2024; Knaur Verlag;
Taschenbuch, 370 Seiten; ISBN 978-3-4265-3067-2; Preis 12,99 Euro
Dies ist einer jener seltenen Fälle, da der zweite Teil einer Serie den ersten ganz beachtlich „toppt“. Respekt.
Vor wenigen Monaten erst wurde hier der Startband der Romanreihe „Tatort Hafen“ vorgestellt, in der sich das Autoren-Ehepaar Angélique und Andreas Kästner – sie Psychotherapeutin mit Erfahrungen in der Krisenintervention, er pensionierter Wasserschutzpolizist – bemüht, die komplexe und oft auch sich verschlossen gebende Welt eines großen Seehafens anhand einer Krimi-Handlung einem breiten Publikum darzubieten. Im Mittelpunkt des aktuellen Romans stehen wieder der erfahrene Wasserschutzpolizist Tom Bendixen und die Kriminalkommissarin Jonna Jacobi, die es dieses Mal mit einer doppelten Herausforderung und einem regelrechten Ausnahmezustand im Hafen zu tun haben.
Der eine Strang der Geschichte hat eigentlich mit der Krimi-Handlung nichts zu tun, trägt aber maßgeblich dazu bei, deren Geschehnis-Druck und die daraus sich ergebende Spannung zuspitzend zu steigern: Hamburg wird wieder einmal von einer Sturmflut bedroht, was der Hansestadt ja dank Klimawandels und der Folgen ständiger Flussvertiefungen immer häufiger passiert. Das hier geschilderte Hochwasser ist denn auch ein besonders wuchtiges, mit massiven Überschwemmungen, drohenden Deichbrüchen und einer unabwendbaren Evakuierung ganzer Stadtteile. Entsprechend stark ist der Stress, dem sich nicht nur die Stadt insgesamt, sondern vor allem die Akteure im und um den Hafen ausgesetzt sehen – es geht um dramatische 25 Stunden.
Fesselnde Verwirrung
Der andere Strang besteht, wie bei ordentlichem Tauwerk üblich, aus mehreren Kardeelen: Ein Afrikaner wird tot aus der Elbe geborgen, die Ermittlungen führen zu einem kurz vor Sturmflut-Höhepunkt eingelaufenen Containerschiff – so weit, so einfach. Aber hier spleißt sich das Tau auf, plötzlich geht es um blinde Passagiere, um undurchsichtige Praktiken und Verhaltensweisen an Bord dieses Schiffs unter der Billigflagge Zyperns, um eine ermordete Offiziersanwärterin aus dessen Besatzung, um heftige Animositäten in der übrigen multinationalen Crew, um Flucht und Zeugengefährdung, um weitere Afrikaner, darunter eine Mutter mit Kleinkind und um die entscheidende Frage, was die mit dem Bordgeschehen zu tun haben. Mehr sei hier nicht verraten – so spannend der Roman auch ist, so sehr muss man sich auf ihn konzentrieren, um den multiplen „Kardeelen“ der Handlung folgen zu können. Denn indem das Autorenpaar diese komplexe Handlung in den Kontext der Sturmflut und ihres hektischen Managements stellt, schaffen sie nicht nur ständige Abwechslung, sondern vorsätzlich, etwa durch eingestreute Radiomeldungen und Funksprüche, auch erhebliche Verwirrung.
Und das sehr gekonnt. Wie im ersten Band, wird das Hafengeschehen wieder auf eine Art und Weise eingebunden, die zugleich auch informativ und lehrreich ist. Zwar enthalten sich die Kästners dabei kritischer Betrachtungen etwa zur Hafen- oder Schifffahrtspolitik. Sie fördern aber mit sachlich-detaillierter Beschreibung bei ihren Lesern möglicherweise eine Motivation, sich über den einen oder anderen Aspekt eigenständig eingehender zu informieren. Das gilt für das Sturmflutgeschehen ebenso wie für Regeln und Praktiken im Hafenalltag oder des Lebens und Arbeitens an Bord eines Handelsschiffs. Angenehm, das sei als persönliche Anmerkung gestattet, ist übrigens auch dieses: Tempo und Dichte der Handlung sind so fesselnd getaktet, dass das beim Startband kritisierte „Getue um die privaten Probleme der Ermittler“ dieses Mal deutlich weniger Raum in Anspruch nimmt.
Laut Verlagsankündigung ist der dritte Band bereits in Arbeit und für den Herbst dieses Jahres angekündigt: Man darf gespannt sein!
Peer Janssen