Aly, Götz: Das Prachtboot – Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten;
Frankfurt/Main, 2021; S. Fischer Verlag; gebunden, 240 Seiten;
ISBN 978-3-1039-7036-4; Preis 21,00 Euro.
Dieses Buches ist kompromisslos – und mit jeder Seite, die man liest, wächst das politisch-moralische Verständnis für diese Kompromisslosigkeit. Dieses Buch ist wichtig, weil es eine ebenso radikale wie konsequente Antwort auf eine gut 100 Jahre alte Lebenslüge zu geben versucht.
Der Historiker Götz Aly, für seine Forschung und seine Bücher über die Verbrechen des deutschen Faschismus mehrfach ausgezeichnet, hat ein Stück Familiengeschichte zum Anlass genommen, ein in der breiten Öffentlichkeit bislang vergessenes – oder verschwiegenes – Kapitel kaiserlich-deutscher Kolonialverbrechen aufzuschlagen. Es ist das Buch zur soeben vollzogenen Eröffnung des Humboldt Forums in Berlin, denn dort steht jenes titelgebende „Prachtboot“, das vor knapp 120 Jahren von der Insel Luf im Atoll der Eremiteninseln des so genannten Bismarck-Archipels (heute zu Papua-Neuguinea gehörend) entwendet worden ist.
Es soll, da sind sich alle verfügbaren Berichte einig, ein weltweit einmaliges Prachtstück sein – ein hochseetaugliches Doppelend-Auslegerboot mit zwei großen, viereckigen Segeln, konstruiert aus einem ausgehöhlten Einbaum von knapp 16 Metern Länge mit aufgesetzten Planken, geschaffen aus dem „am Feuer gehärteten Holz des Brotfruchtbaums“, und beeindruckend vor allem durch seine aufwändige Bemalung und Verzierung: in seiner Ausstattung das Boot eines Häuptlings, in seiner Bauweise das Zeugnis einer Jahrtausende alten Kultur und ihrer großräumigen, pazifischen Siedlungsgeschichte. Ein Boot, das eigentlich dorthin gehört, woher es geraubt worden ist.
Nur gut 30 Jahre lang, von den frühen 1880ern bis zum Ersten Weltkrieg, hatte die Kolonie Deutsch-Neuguinea Bestand, aber es waren Jahre, in denen skrupellose Plantagenbesitzer und Kaufleute Hand in Hand mit brutalen Militärs und kaiserlichen Beamten die südpazifische Inselwelt ausplünderten und brandschatzten und große Teile der als „minderwertig“ erachteten Bewohner ausbeuteten, versklavten, folterten und teilweise fast ausrotteten. Aufhänger des Buches ist, wie oben angedeutet, die Erkenntnis Alys, dass einer seiner Vorfahren als Militärgeistlicher der kaiserlichen Kriegsmarine an dieser kolonialen Unterwerfung der Inselgruppen des Bismarck-Archipels mitgewirkt hatte.
Systematische Brutalität
Im Mittelpunkt steht zwar das seiner Herkunft wegen so genannte „Luf-Boot“ als Prachtstück der Berliner Museumswelt. Aber Aly beschreibt – eindringlich und quellenmäßig gut belegt – nicht nur Wurzeln, Ablauf und Hintergründe dieses einen Raubes, sondern verknüpft dieses Einzelgeschehen mit vielen parallelen, aufarbeitenden Schilderungen über etliche weitere Kolonialverbrechen im Südpazifik jener Zeit. Und er macht damit deutlich, dass die brutale Vorgehensweise der imperialistischen Besatzer aus Übersee System hatte und es sich nicht um zufällige „Ausrutscher“ gehandelt hat.
Der Stil dieser Kapitel – präzise beschreibend und scharf kritisierend – lässt erkennen, dass Aly von den Details seiner Recherchen nicht unberührt geblieben ist: Immer wieder verlässt der Wissenschaftler die sprachliche Ebene so genannter Objektivität und zeigt, wenngleich verhalten und beherrscht, Betroffenheit und Empörung. Andere mögen sich daran stören, den Rezensenten nimmt genau dies für Aly ein, denn es ist Ausdruck jener Kompromisslosigkeit, die notwendig ist, um die Historie und ihre Folgen angemessen aufzuarbeiten.
Konsequent widmet sich Götz Aly gegen Ende seines Buches der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ – als momentaner Besitzerin nicht nur des Luf-Bootes, sondern rund 65.000 weiterer kolonialer Beutestücke aus der Südsee –, ihrem derzeitigen Präsidenten Hermann Parzinger sowie der Staatsministerin Monika Grütters als amtierender Stiftungsratsvorsitzender. Ihnen und weiteren hochrangigen Vertretern gegenwärtiger so genannter Provenienzforschung attestiert Aly nichts weniger als den wiederholten Versuch, die „Rückgabe der musealisierten Objekte … zu zerreden“. Dagegen stellt Aly die unmissverständliche Forderung, die „Nachfahren der einst beraubten Schöpfer des Luf-Bootes, vertreten durch ihren Staat Papua-Neuguinea, … als Eigentümer“ zu bestätigen.
Eigentlich gehörte eine Übersetzung dieses Buches in den Südpazifik, in die Hände eben jener Nachfahren – um ihnen zu zeigen, dass es auch in Deutschland Stimmen gibt, die die Verbrechen an ihren Vorfahren und den Raub ihres kulturellen Erbes verurteilen. Hierzulande könnte Alys Werk aber auch eine Mahnung sein, denn gut 100 Jahre nach Ende des deutschen Kolonialismus bereiten unter anderem deutsche Akteure neue Vergehen an den Völkern der Südsee vor: Sie gieren nach dortigen Tiefsee-Ressourcen. Es ist ein organisiert geplanter und unter dem Etikett „nachhaltig“ nur mühsam kaschierter, neokolonialistischer Angriff nicht einfach nur auf Rohstoffe, sondern auch auf die in der pazifischen Kultur wurzelnde emotionale Verbundenheit, nach der die Menschen der See auch die Wächter der See sein müssen (siehe dazu auch WATERKANT 02 / 2014).
Burkhard Ilschner