Deutschland verspielt maritimes Knowhow“

Mehr als fünf Jah­re ist es her, dass nach lan­gem Streit EU-weit eine Ver­ord­nung zur Libe­ra­li­sie­rung von Hafen­diens­ten in Kraft getre­ten ist, die es unter ande­rem erlaubt, dass Mit­glieds­staa­ten in ihren Häfen für Schlep­per­dienst­leis­tun­gen die natio­na­le Flag­ge vor­schrei­ben dür­fen. – In Deutsch­land indes hapert’s bis heu­te mit der Umset­zung, kri­ti­sier­te jüngst die Gewerk­schaft ver.di.

Eigent­lich galt die Ver­ord­nung als klei­ner, aber nicht zu unter­schät­zen­der Schritt im zähen Kampf nicht nur für den Erhalt von Seeleute-Arbeitsplätzen, son­dern vor allem für eine qua­li­fi­zier­te Aus­bil­dung, die dazu bei­trägt, see­män­ni­schen Nach­wuchs zu gewin­nen. Ange­hen­de Schiffs­me­cha­ni­ker, Nau­ti­ker oder Maschi­nen­in­ge­nieu­re müs­sen nun mal in akti­ver Fah­rens­zeit an Bord aus­bil­dungs­be­fä­hig­ter Schif­fe Erfah­run­gen sam­meln, die sie für ihren spä­te­ren Beruf zwin­gend benö­ti­gen. Meh­re­re EU-Staaten, unter ande­rem Spa­ni­en, Frank­reich oder Polen, haben seit­her ent­spre­chen­de Maß­nah­men umge­setzt, so dass auf dor­ti­gen Schlep­pern unter natio­na­ler Flag­ge im wesent­li­chen See­leu­te aus dem eige­nen Land ein­ge­setzt werden.

Zum wie­der­hol­ten Male kri­ti­sier­te Ende ver­gan­ge­ner Woche die ver.di-Fachgruppe Mari­ti­me Wirt­schaft, dass Deutsch­land hier deut­lich hin­ter­her hinkt. Erst jetzt, fünf­ein­halb Jah­re nach Inkraft­tre­ten der EU-Verordnung im März 2017, zeich­net sich ab, dass sich das mög­li­cher­wei­se ändern könn­te. Laut ver.di hat der Haus­halts­aus­schuss des Bun­des­ta­ges die Bun­des­re­gie­rung per Beschluss auf­ge­for­dert, bis März 2023 eine Ver­ord­nung vor­zu­le­gen, die für Schlep­per auf Bun­des­was­ser­stra­ßen sowie auf den see­wär­ti­gen Zufahr­ten der Häfen das Füh­ren der deut­schen Flag­ge vor­schreibt. Wobei noch offen ist, ob das dann nur für rei­ne Hafen­schlep­per oder – was durch­aus EU-konform wäre – auch für Schif­fe ande­rer Hafen­dienst­leis­ter wie etwa Ver­sor­ger gel­ten soll.

Schiff­fahrt braucht Nachwuchs

Die Gewerk­schaft hält den Beschluss der Bun­des­haus­häl­ter zunächst für einen Licht­blick: Es gebe viel zu wenig deut­sche See­leu­te, die Bun­des­re­pu­blik sei dabei, ihr „mari­ti­mes Know­how zu ver­spie­len“, stellt Bun­des­fach­grup­pen­lei­te­rin Maya Schwiegershausen-Güth fest. See­leu­te sei­en wich­ti­ge Beschäf­tig­te in der inter­na­tio­na­len Lie­fer­ket­te und wür­den dar­über hin­aus auch im land­ge­bun­de­nen mari­ti­men Bereich – Schiff­bau, Lot­sen, Hafen­ver­wal­tung, Logis­tik – hän­de­rin­gend gesucht: „Wir kön­nen und dür­fen uns nicht kom­plett von ande­ren Akteu­ren im glo­ba­len Ver­kehr abhän­gig machen.“

Deutsch­lands größ­te Schleppree­de­rei, das Ham­bur­ger Unter­neh­men Fairplay/Bugsier, beschäf­tigt auf ihren der­zeit 40 Schlep­pern, die alle die deut­sche Flag­ge füh­ren, neben 360 deut­schen See­leu­ten auch 33 Schiffsmechaniker-Auszubildende (SM-Azubi): Fairplay/Bugsier sei damit der zweit­größ­te Aus­bil­der in der Schiff­fahrt, erläu­tert ver.di-Schifffahrtssekretär Peter Geit­mann. Anders der schärfs­te Kon­kur­rent in natio­na­len Gewäs­sern, der spa­ni­sche Bolu­da-Kon­zern, der sowohl inter­na­tio­nal als auch hier­zu­lan­de meh­re­re ande­re Schleppree­de­rei­en (wie die tra­di­ti­ons­rei­che Bre­mer URAG) geschluckt hat: Des­sen aktu­ell rund 30 in Deutsch­land ope­rie­ren­den Schif­fe füh­ren nur „über­wie­gend“, so Geit­mann, die deut­sche Flag­ge, ande­re lau­fen noch unter der Bil­lig­flag­ge von Mal­ta – und gera­de eben erst hat Bolu­da mit einem ein­zi­gen Azu­bi mit see­män­ni­scher Aus­bil­dung begonnen.

Pro­ble­ma­tisch aber ist laut Geit­mann die Situa­ti­on vie­ler klei­ne­rer, oft nur lokal akti­ver Hafen­dienst­leis­ter, die in ihren jewei­li­gen Häfen unter Druck ste­hen ins­be­son­de­re durch das zum Mærsk-Konzern gehö­ren­de Unter­neh­men Svit­zer oder die MSC-Tochter Med­Tug: Die­se „Töch­ter“ der bei­den welt­größ­ten Con­tai­ner­ree­de­rei­en hol­ten sich mit nied­ri­gen Raten die lukra­tivs­ten Auf­trä­ge – was in den Häfen übrig bleibt und sich für sie nicht „lohnt“, reicht jedoch den Klei­ne­ren nicht zum Über­le­ben. So habe etwa das Emder Unter­neh­men Wes­sels wegen der Svitzer-Konkurrenz schon eige­ne Schif­fe auf­le­gen müs­sen. Funk­tio­nie­ren­de Häfen sei­en aber auch auf Diens­te wie das Ponton-Schleppen oder Werft-Zuarbeiten angewiesen.

Laut ver.di ist die Zahl deut­scher See­leu­te auf unter 5000 gefal­len – und auch die Aus­zu­bil­den­den­zahl sei wei­ter rück­läu­fig, 2021 habe es ledig­lich 90 Neu­an­fän­ger gege­ben. „Hin­ten und vorn fehlt es an Fach­kräf­ten mit See­fahrt­er­fah­rung“, so Geitmann.

 

Eine ähn­li­che Ver­si­on die­ses Arti­kels ist auch
in der Tages­zei­tung „jun­ge Welt“ vom 28. Novem­ber 2022 zu finden.

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WATERKANT-Redaktion