Die Informationsfahrt auf dem 140 Jahre alten Ausflugsdampfer „Friedrich“ fand zwar nur auf der Weser im Stadtgebiet von Bremen statt, hatte aber ein global bedeutendes Thema: „Wem gehört das Meer?“ Referent Christoph Spehr vom Projekt Fair Oceans befasste sich mit den Chancen und Risiken der so genannten blue economy und der lange vernachlässigten entwicklungspolitischen Dimension von Meerespolitik.
Die Ausbeutung an Land verfügbarer Ressourcen stößt an Grenzen, erläutert Spehr, der auch Vorstandssprecher des bremischen Landesverbands DIE LINKE ist; das Risiko daraus erwachsender Konflikte wird alltäglich. Daraus folgende multiple Begehrlichkeiten nach weiteren Ressourcen der Ozeane nehmen zu; das wiederum gefährdet die Meere in ihren ökologischen wie sozialen Funktionen: „Die Auswirkungen menschlicher Aktivität sind auf dem Land sehr viel schneller spürbar als auf dem Meer.“ Spehr nennt Beispiele: Abfälle in der Umgebung menschlicher Siedlungen fallen auf und lösen Streit aus – auf dem Meer vergehen Jahrzehnte, bis Schäden durch Verseuchung sichtbar werden. An Land meldet sich der Klimawandel fühlbar mit Stürmen, Hitzewellen oder Sturzregen – der einhergehende Meeresspiegelanstieg entwickelt sich ebenso wie etwa die Versauerung der Meere deutlich langsamer, nichtsdestotrotz radikal.
Damit nicht genug. Die wachsende Gier nach den Schätzen der Meere wird verbrämt mit Hoffnungen: Unter dem Etikett blue economy (in Anlehnung an die viel beschworene, angeblich „nachhaltige“ green economy) versprechen vorwiegend die Verantwortlichen der Industrienationen auf der Nordhalbkugel den Menschen im globalen Süden Wachstum und die Lösung von Versorgungskrisen. Deren Regierungen verkaufen oder verpachten Lizenzen zur Ausbeutung der Ressourcen in ihren Gewässern; aber während dabei oft die heimische Küstenwirtschaft – und das betrifft nicht nur die Kleinfischerei – zerstört wird, landen die Gelder nicht in zukunftsträchtigen Entwicklungs-Projekten, sondern verpuffen, weil Zusagen nicht eingehalten werden oder weil Wenige sich korrupt bereichern; oder beides.
Alte und neue Ansprüche
Schifffahrt und Schiffbau, Fischerei, Tourismus und Öl- oder Gas-Förderung als „alte“ Nutzungsformen konkurrieren immer häufiger mit neuen Ansprüchen: Offshore-Windparks, Anlagen für LNG-Terminals oder „grünen“ Wasserstoff beeinträchtigen aber ebenso natürliche Meeresgebiete wie „blaue“ Biotechnologie, Aquakultur-Farmen oder Projekte zur Ausbeutung von Meeresbodenmineralien. Die 2012 formulierten blue-economy-Strategien sowohl der EU als auch des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) erklärten damals die Ozeane zynisch zum „Füllhorn für Güter und Dienstleistungen“. Tatsächlich unterliegen im Konkurrenzkampf der Nutzungsansprüche Menschen und Umwelt gleichermaßen.
Der grundlegende Konflikt zwischen Schutz und Nutzung, zwischen Meeresschutz und „blauer“ Meeresökonomie, spitze sich zu, warnt Spehr. Während auf den Meeren „nachhaltige“ Strategien beispielsweise für die globale Energiewende zum Schutz des Klimas angepackt werden, während so durch Inbesitznahme der Ozeane enorme Gewinne winken, lässt der bereits mess- und sichtbare anthropogene Klimawandel Inseln versinken, Küsten erodieren, stört oder zerstört Fauna und Flora.
Sind Schutz und Nutzung sinnvoll kombinierbar? Ist es möglich, den ohnehin kritischen Zustand der Ozeane und Meere zu verbessern, wenn gleichzeitig deren Industrialisierung vorangetrieben wird und sie weiteren Belastungen ausgesetzt werden? Im Sektor Tiefseebergbau sind zwar stark gehypte Vorhaben etwa in Papua-Neuguinea vorerst geplatzt, ist ein globaler Konzern wie Nautilus Minerals pleite gegangen – aber Nachfolger stehen in den Startlöchern: Während die Bundesregierung sich noch vorsichtig angetan zeigt von einem Moratoriums-Vorschlag aus Fidschi, Palau oder Chile, meldet der in Hamburg ansässige Lobbyverein DeepSea Mining Alliance (DSMA) stolz den Beitritt zum nationalen Verband Schiffbau und Meerestechnik (VSM).
Am stärksten abhängig von intakten Ozeanen sind ihre Küstengemeinden, mahnt Spehr: Um die Zukunftsaussichten der Insel- und Küstenstaaten des globalen Südens zu verbessern, bedürfe es mehr als bisheriger blue economy.
Eine ähnliche Version dieses Beitrags erscheint heute auch
in der Tageszeitung „junge Welt“