Die teilstaatliche Hamburger Reederei Hapag-Lloyd sorgt mit einem fulminanten Neun-Monats-Zwischenergebnis für Schlagzeilen: Wie das maritime Portal Hansa heute vorrechnete, erwartet das Unternehmen für die ersten drei Quartale dieses Jahres mit knapp 13,8 Milliarden Euro einen rund 2,5mal höheren Konzerngewinn als im Vorjahrszeitraum; damals wurden „nur“ 5,6 Milliarden Euro verdient.
Das Ergebnis veranlasste die Nachrichtenagentur dpa zu einem originellen Vergleich: Die Reederei stehe „in puncto Profit in diesem Jahr in einer Liga zum Beispiel mit Volkswagen und Mercedes-Benz“. Der Grund liegt auf der Hand: Einerseits haben die zeitweise rasant steigenden Frachtraten Einnahmen in zuvor nicht gekannter Höhe in die Kasse (nicht nur) der Hamburger Reederei gespült. Andererseits flauen die pandemisch bedingten Störungen der Lieferketten, die den Boom gleichwohl forciert hatten, zwar ab – ihnen folgen aber wachsende Risiken vom inflationsbedingten Kostenanstieg bis zu massiv steigenden Energiekosten.
Die knappen Transportkapazitäten, die die Frachtraten maßgeblich in die Höhe getrieben hatten, haben sich zwar entspannt, das birgt aber zugleich neue Gefahren: Zum einen verzeichnen Experten eine Abschwächung der Nachfrage nach Containertransporten insbesondere im so genannten Head-haul-Verkehr, also auf führenden Linienrouten zum Beispiel von und nach Fernost. Der in Dänemark ansässige Branchenverband Baltic and International Maritime Council (BIMCO) etwa meldete jüngst, das Frachtaufkommen im Head-Haul-Verkehr sei im September 2022 um 15,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken. Laut Hansa sieht BIMCO-Analyst Niels Rasmussen dies als Warnung, „dass aufliegende Schiffe und weitere Frachtratensenkungen bevorstehen“ könnten.
Zum anderen aber hat die Phase brillanter Einnahmen bei knappem Schiffsraum viele führende Reedereien zu erheblichen Neubauaufträgen veranlasst: Die globale Containerschiffsflotte zählt nach Angaben von alphaliner aktuell 6489 Einheiten mit einer Kapazität von 26,233 Millionen TEU (Einheit für 20-Fuß-Standardcontainer) – das sind 140 Schiffe und 0,693 Millionen TEU mehr als im März dieses Jahres. Zugleich aber stehen in den Orderbüchern der Werften allein für die zehn weltgrößten Reedereien Neubauaufträge für 363 weitere Schiffe mit 4,502 Millionen TEU Kapazität. Rasmussen mahnt, die Schifffahrtskonzerne hätten unter dem Druck schwächelnder Weltwirtschaft und rückläufiger Transportmengen eine seit 2019 um 11,8 Prozent gewachsene Flotte zu managen und dabei weiteres Flottenwachstum von 9,9 Prozent allein bis 2023 zu bewältigen.
Skepsis über Tonnagesteuer
Die daraus erwachsenden Risiken sieht auch Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen, zeigt sich aber verhalten optimistisch: Die starke Hapag-Bilanz werde „dabei helfen, auch in schwierigem Fahrwasser Kurs zu halten“. Zugleich räumte er ein, dass die geringe Steuerlast durch die umstrittene Tonnagesteuer beträchtlich zu dem Ergebnis beigetragen habe und reagierte einlenkend auf den zunehmenden öffentlichen Druck: Es könne eventuell „fair“ sein, an diesem System etwas zu ändern. Ob das ernst gemeint ist oder wegen Wettbewerbsdrucks – auch andere Staaten kennen diese Ministeuer – dann doch wieder im Elbschlick versinkt, bleibt abzuwarten. Jansen will perspektivische Konsequenzen erst im März kommenden Jahres mit der 2022-Gesamtbilanz formulieren. In diesem Kontext schaut die Branche auch gebannt auf die ausstehende Entscheidung der EU-Kommission über die ebenfalls umstrittene Gruppenfreistellungsverordnung, der ihre Kritiker unter anderem nachsagen, sie begünstige die Oligopol-Bildung in der Schifffahrt.
Tatsächlich hat der Konzentrationsprozess bei den globalen Reedereien kräftig zugelegt: Seit diversen Jahren teilen sich fünf Große die Spitze (mit gelegentlichen Verschiebungen untereinander): die Schweizer MSC, der dänische Mærsk-Konzern, Frankreichs CMA CGM Group, der chinesische Staatskonzern Cosco sowie Hapag-Lloyd. Aktuell stellen diese Reedereien rund 64 Prozent der globalen Transportkapazität – gut fünf Prozent mehr als noch vor fünf Jahren.
Eine ähnliche Version dieses Beitrags ist auch
in der Tageszeitung „junge Welt“ vom 12. November 2022 zu finden.