Im luxuriösen Parkhotel mitten in Bremens Bürgerpark tagt heute und morgen der mittlerweile 19. Kongress der European Sea Ports Organisation (ESPO), eines Zusammenschlusses von Hafenbehörden und -verwaltungen aller Seehäfen der Europäischen Union und Norwegens. Ein Kernthema ist die geplante Klimaneutralität der EU: Häfen seien hier nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung, so der amtierende ESPO-Vorsitzende Zeno D’Agostino heute in Bremen.
Die Mitgliederstruktur dieser 1993 gegründeten Interessenvertretung der EU-Häfen – natürlich mit Sitz in Brüssel – ist nicht ganz unkompliziert: Während Belgien, Estland, Deutschland, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen und Slowenien direkt durch ihre Häfen vertreten werden, sind die übrigen EU-Staaten sowie Norwegen über ihre nationalen Hafenverbände Mitglieder der ESPO. Darüber hinaus haben Albanien, Großbritannien, Island, Israel, Montenegro und die Ukraine Beobachterstatus. Im Übrigen kommt es weder auf Hafenanzahl noch -größe an, jedem Mitgliedsland stehen nur drei offizielle Delegierte mit Stimmrecht zu sowie ein Sitz im Exekutivkomitee als politischem Entscheidungsgremium.
Der zweitägige Kongress in Bremen wird ausgerichtet von bremenports, der landeseigenen Hafenverwaltung. Für die Landesregierung hat die noch amtierende Senatorin für Wissenschaft und Häfen, Claudia Schilling (SPD), die Tagung eröffnen: Da in Bremen derzeit bekanntlich über eine neue Regierungskoalition verhandel wird, könnte dies möglicherweise eine von Schillings letzten Amtshandlungen gewesen sein – ihre Kandidatur fürs Landesparlament, die Bürgerschaft, war parteiintern umstritten.
Die Tagesordnung des 19. ESPO-Kongresses ist breit gefächert, es geht um die Entwicklung der Weltwirtschaft, die Auswirkungen etwa des Ukraine-Konflikts, ferner sollen „verschiedene Ebenen“ einer Zusammenarbeit zwischen Häfen, Offshore-Windindustrie und Naturschutz erörtert werden, um so vielleicht „den Ökologisierungsprozess zu beschleunigen“. Andererseits hat man sich aber ein anspruchsvolles Zentralthema als Motto gegeben: „Europas Häfen als Partner im Wettlauf um eine Netto-Null-Zukunft“.
Herausforderungen
Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels wird diskutiert, welche Folgen die angestrebte Reduktion von Treibhausgas-Emissionen auf die seeseitige Abwicklung von Ladungsströmen und damit unmittelbar auf die Häfen hat: Soweit es den Partner Schifffahrt betrifft, könnte sich das angesichts der Klimaschutzbremse, wie sie die von Billigflaggenstaaten majorisierte UN-Schifffahrtsorganisation IMO bislang praktiziert, als schwierig erweisen – zumindest, solange die Mehrzahl der Häfen daran festhält, sich ständig neuen Anforderungen der Reeder zu beugen, die sonst „abwandern“ könnten.
Eine europäische Hafenorganisation könnte, so argumentieren gelegentlich Kritiker, durchaus auch ihre Macht ausspielen, um im gesamtgesellschaftlichen Interesse der Schifffahrt Verhalten und Bedingungen aufzuerlegen – denn schließlich sind Reeder davon abhängig, Häfen anlaufen zu können. Laut wird derartige Kritik in der Regel, wenn es wieder einmal darum geht, diesem Hafen mehr Kajen und Fläche oder jenem Terminal ein noch tieferes Fahrwasser zur Verfügung zu stellen. Allzu oft mahnen dann lokale Politiker, man müsse solchen Forderungen – auf Steuerzahlerkosten – nachgeben, weil anderenfalls die Reeder den jeweiligen Hafen nicht mehr anliefen. Das Thema Häfenkooperation statt -konkurrenz als Machtfaktor in diesem Wettbewerb steht indes nicht auf der ESPO-Tagesordnung.
Vielmehr soll vor allem die künftige Handhabung der Energiepolitik eine Rolle spielen: Die Lobbyorganisation der Häfen geht laut Kongressankündigung davon aus, dass „die Umstellung auf Netto-Null neue Möglichkeiten für neue Unternehmen und Industrien in Europa“ eröffnet. Man hofft, Europa könne dabei „ein Global Player für Netto-Null-Produkte und -Technologien werden“ – und das hätte notwendigerweise Folgen für Lieferketten und Häfen: „Können Häfen zum idealen Standort für diese neuen Industrien werden?“ Die Konferenzplaner fragen gar, geradezu ketzerisch anmutend, nach der ökonomischen Wende der Häfen: „Sind Tonnen und Schiffe immer noch die Haupttreiber des Hafengeschäfts?“ Auf diese Antwort darf man gespannt sein.