Tschüs, Henry! Danke, Henry!

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Foto: Arne von Brill

Hen­ry Smor­ra ist tot. Er starb Mit­te Sep­tem­ber im Alter von 71 Jah­ren – laut Schil­de­rung sei­ner Ehe­frau „so …, wie er es immer als ide­al ange­se­hen hat: Er ist ein­fach aus dem Ses­sel gekippt“.

Tschüs, Hen­ry! WATERKANT hat Dir nicht ein­fach nur viel zu ver­dan­ken – ohne Dich gäbe es die­se Zeit­schrift nicht. Das weißt Du und das weiß ich – und es sol­len alle erfah­ren, die es noch nicht wuss­ten. Dan­ke, Henry.

Ein Nach­ruf von Burk­hard Ilschner. 

Es war irgend­wann im Win­ter 1985/86. Kalt. Stür­misch, Glatt. Leich­tes Schnee­trei­ben. Hen­ry und ich waren unter­wegs ins ost­frie­si­sche Nenn­dorf zur dor­ti­gen Torf­brand­zie­ge­lei. Wäh­rend die­ser Fahrt ent­wi­ckel­te Hen­ry sei­ne Idee einer glei­cher­ma­ßen öko­lo­gisch wie sozi­al und regio­nal­po­li­tisch ori­en­tier­ten Nordsee- und Mee­res­zeit­schrift als Mit­tei­lungs­blatt der weni­ge Mona­te zuvor als „e. V.“ gegrün­de­ten „Akti­ons­kon­fe­renz Nord­see“ (AKN). Die wei­te­re Geschich­te sei hier nur kurz zusam­men­ge­fasst: Es dau­er­te eini­ge Mona­te der Pla­nung und Dis­kus­si­on in AKN und den damals an ihr betei­lig­ten Bür­ger­initia­ti­ven, bis schließ­lich im Sep­tem­ber 1986 die ers­te Aus­ga­be der WATERKANT erschei­nen konnte.

Dabei hat­te die Idee eigent­lich nahe gele­gen. Hen­ry war eini­ge Jah­re zuvor in die Regi­on Bre­men gekom­men, nach­dem er zuvor län­ge­re Zeit auf Pell­worm gelebt hat­te: Sein dor­ti­ges Stu­dio war nicht nur Treff­punkt für gesell­schaft­lich enga­gier­te Künst­ler, son­dern auch Ver­an­stal­tungs­ort und Semi­nar­raum gewe­sen – und ein Treff­punkt, von dem etli­che Umwelt­ak­ti­vi­tä­ten aus­ge­gan­gen bezie­hungs­wei­se gestar­tet wor­den waren: Das Zusam­men­spiel von krea­ti­ver Kunst und poli­ti­schem Enga­ge­ment hat ihn auch nach sei­nem Orts­wech­sel wei­ter moti­viert und beschäftigt.

Ken­nen­ge­lernt hat­ten wir uns damals als Kol­le­gen: Er als Satz­tech­ni­ker im bre­mi­schen Zei­tungs­be­trieb von WESER-KURIER und BREMER NACHRICHTEN, ich als Politik-Redakteur der letzt­ge­nann­ten Tages­zei­tung – bei­de Teil einer sei­ner­zeit noch betrieb­lich wie poli­tisch extrem kampf­star­ken Beleg­schaft. In vie­len Aktio­nen und Debat­ten haben wir in jenen Jah­ren gemein­sam mit unse­ren Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen nicht nur Ratio­na­li­sie­rungs­be­stre­bun­gen im eige­nen „Laden“ abge­wehrt, son­dern auch in Stadt und Umland etli­che betrieb­li­che, umwelt­po­li­ti­sche oder anti­fa­schis­ti­sche Initia­ti­ven unter­stützt. Immer wie­der war es Hen­ry, der dies mit künst­le­ri­schen Impul­sen vor­an­trieb – oder manch­mal auch nur gekonnt gar­nier­te. Und irgend­wann fan­den wir uns im Koor­di­na­ti­ons­aus­schuss für die Orga­ni­sa­ti­on der AKN, die sei­ner­zeit noch als ein­ma­li­ges Ereig­nis gegen die Minis­ter­run­de der INK geplant war.

Die­se „Akti­ons­kon­fe­renz“ – eine Namens­idee übri­gens, die Hen­ry nicht nur mit initi­iert, son­dern vor allem auch künst­le­risch „gefüllt“ hat­te – war bekannt­lich nicht nur ein her­aus­ra­gen­des poli­ti­sches Ereig­nis: Mit Auf­se­hen erre­gen­den Details wäh­rend des Kon­gres­ses und der ihn abschlie­ßen­den Demons­tra­ti­on geriet die AKN damals zu einem media­len „Event“ und bescher­te den For­de­run­gen die­ses brei­ten Bünd­nis­ses wirk­sa­me Auf­merk­sam­keit. Und irgend­wie war es nahe­lie­gend, dass zur Fort­set­zung die­ser poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten „für Meer und Küs­te“ dann auch eine Zeit­schrift her muss­te – Inter­net und ähn­li­che Medi­en gab es noch nicht. Also haben wir in den Fol­ge­jah­ren gemein­sam die WATERKANT pro­du­ziert: der Redak­teur und der Satz­tech­ni­ker; eine Arbeit übri­gens, das soll nicht ver­schwie­gen wer­den, die dank mehr oder weni­ger still­schwei­gen­der Bil­li­gung unse­rer Chefs bis hin­auf zum dama­li­gen Vor­stand der „Bre­mer Tages­zei­tun­gen AG“ oft im Betrieb und neben der Arbeit und auch mit Unter­stüt­zung ande­rer Kol­le­gen stattfand.

Alles in allem: Ohne Hen­ry wäre WATERKANT nie ent­stan­den, ohne Hen­ry hät­te WATERKANT ihre ers­ten 5-10 Jah­re nicht über­lebt. Bei allem Stress, den All­tag und all die­se Akti­vi­tä­ten mit sich brach­ten: Mit Hen­ry konn­te man nicht nur gut zusam­men­ar­bei­ten, son­dern auch viel Spaß haben – und vor allem vie­le glei­cher­ma­ßen fort­schritt­li­che wie krea­ti­ve Dis­kus­sio­nen. Das war nicht durch­gän­gig von Einig­keit geprägt: Wir haben gestrit­ten, wir haben uns „gefetzt“ – aber wir haben uns auch immer wie­der zusam­men­ge­rauft, haben kon­struk­tiv und soli­da­risch wei­ter­ge­ar­bei­tet. Auch für die dar­aus resul­tie­ren­den Anre­gun­gen bin ich Hen­ry über den Tag hin­aus dankbar.

In den neun­zi­ger Jah­ren lös­te sich Hen­ry von der WATERKANT-Produktion, die Zeit­schrift leb­te aber – bekannt­lich! – wei­ter. Im Zuge sich krass ver­än­dern­der betrieb­li­cher wie per­sön­li­cher und gesell­schaft­li­cher Bedin­gun­gen wur­den unse­re Kon­tak­te immer weni­ger inten­siv, ohne dass wir uns auch nach Aus­schei­den aus dem Zei­tungs­be­trieb je völ­lig aus den Augen verloren.

Henry und sein Hengst Gayo Foto: Regina Dereser

Hen­ry und sein Hengst Gayo
Foto: Regi­na Dereser

Hen­rys anschlie­ßen­de Akti­vi­tä­ten auf sei­nem Pfer­de­hof und Kul­tur­zen­trum in Bücken (Land­kreis Nienburg/Weser) – unter ande­rem als noch bis August die­ses Jah­res akti­ver Kunst­rei­ter – habe ich nur spo­ra­disch ver­folgt. Und von Hen­rys Sei­te gab es ledig­lich mal klei­ne Anmer­kun­gen etwa zur Ent­wick­lung (und Glück­wün­sche zum Fort­be­stand) der WATERKANT – oder Ideen wie die­se: „Ich bin dabei, alte Weg­ge­fähr­ten zu akti­vie­ren um gegen die Atom­lob­by … ande­re, neue Akti­ons­for­men zu ent­wi­ckeln: 60-70-Jährige beset­zen Atom­kraft­wer­ke“. Zwar ist die­ses fast schon skur­ril anmu­ten­de Vor­ha­ben aus dem Jah­re 2010 irgend­wie im Ansatz ste­cken­ge­blie­ben: Aber es doku­men­tiert wie kaum etwas ande­res, welch‘ krea­ti­ver und enga­gier­ter Mensch uns jetzt ver­las­sen hat.

Dan­ke, Hen­ry. Tschüs, Henry.

Mehr über Hen­ry unter http://www.henry-smorra.de/

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WATERKANT-Redaktion