Tiefseebergbau schädigt Tiefsee – langfristig

1989 wur­de hier der Mee­res­bo­den test­hal­ber gepflügt – bis heu­te sind die Spu­ren unüber­seh­bar.
Foto: GEOMAR / ROV Kiel 6000

Tief­see­berg­bau kann „die natür­li­chen Öko­sys­tem­funk­tio­nen und Mikro­ben­ge­mein­schaf­ten im Mee­res­bo­den lang­fris­tig“ beein­träch­ti­gen: Das ist, zusam­men­ge­fasst, die Kern­aus­sa­ge einer aktu­el­len Stu­die, an der For­schen­de des Bre­mer­ha­ve­ner Alfred-Wegener-Instituts (AWI), des Bre­mer Max-Planck-Instituts für Mari­ne Mikro­bio­lo­gie (MPIMM) und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Oze­an­for­schung in Kiel mit­ge­ar­bei­tet haben. Lei­der folgt aus die­ser Erkennt­nis kein kla­res „Nein!“ zum Tiefseebergbau. 

Laut einer AWI-Pressemitteilung von Mit­te die­ser Woche ist die ent­spre­chen­de Stu­die jetzt im Fach­ma­ga­zin „Sci­ence Advan­ces“ vor­ge­stellt wor­den. Unter­sucht wur­de ein Mee­res­ge­biet, das rund 3000 Kilo­me­ter vor Perus Küs­te im Ost­pa­zi­fik liegt und das 1989 zum Ver­suchs­feld deut­scher Mee­res­for­scher gewor­den war: Damals hat­te man in einer Was­ser­tie­fe von rund 4000 Metern in einem Man­gan­knol­len­ge­biet eine mehr als 3,5 Kilo­me­ter durch­mes­sen­de Flä­che umge­pflügt, um einen Abbau der Knol­len zu simulieren.

Weil die­se metall­hal­ti­gen Knol­len – sie sind welt­weit auf meh­re­ren tau­send Qua­drat­ki­lo­me­tern Tief­see­bo­dens zu fin­den – neben Man­gan und Eisen wei­te­re wert­vol­le Metal­le wie Nickel, Kobalt oder Kup­fer sowie etli­che „High-Tech-Metalle“ der so genann­ten Sel­te­nen Erden ent­hal­ten, sind sie von der Indus­trie heiß begehrt. Zu deren gro­ßem Bedau­ern gibt es aber bis heu­te kei­ne wirt­schaft­lich loh­nen­de Abbau-Technologie, wes­halb die Indus­trie unter dem Stich­wort „Roh­stoff­ver­sor­gung“ auf mas­si­ve staat­li­che Hil­fe bei Explo­ra­ti­on und Erfor­schung setzt. Denn nicht nur bis­he­ri­ge, son­dern erst recht und vor allem künf­ti­ge Tech­nik­kon­zep­te wie etwa Bat­te­rien für Elek­tro­mo­bi­li­tät oder ande­re digi­ta­le Anwen­dun­gen sind auf die­se – wegen ver­schwen­de­ri­schen Kon­sums und unnach­hal­ti­ger Pro­duk­ti­on an Land knap­per wer­den­den – Stof­fe angewiesen.

Auch die genann­ten Insti­tu­te sind bis­lang an die­ser For­schung aktiv betei­ligt. Um so bedeu­ten­der könn­te daher das nun bekannt gemach­te Ergeb­nis sein: Die Unter­su­chun­gen in dem 1989 umge­pflüg­ten Are­al hät­ten „ein­deu­tig“, so die Pres­se­mit­tei­lung, gezeigt, dass die dama­li­gen „Ein­grif­fe in den Mee­res­bo­den … die betrof­fe­nen Gebie­te mas­siv und nach­hal­tig“ beein­träch­tigt haben. Noch heu­te sei­en die Pflug­spu­ren auf dem Mee­res­bo­den klar zu erken­nen, heißt es, und auch „bak­te­ri­el­le Bewoh­ner“ sei­en deut­lich schlech­ter ent­wi­ckelt. In den alten Pflug­spu­ren leb­ten „nur etwa zwei Drit­tel der Bak­te­ri­en“, die in ver­gleich­ba­ren unge­stör­ten Tief­see­re­gio­nen fest­zu­stel­len sei­en, teil­wei­se auch nur die Hälf­te: „Ver­gli­chen mit unge­stör­ten Flä­chen waren die Raten ver­schie­de­ner mikro­biel­ler Pro­zes­se auch nach einem Vier­tel­jahr­hun­dert um drei Vier­tel ver­rin­gert“, so die Mit­tei­lung. Berech­nun­gen hät­ten erge­ben, „dass die Mikro­ben frü­hes­tens nach 50 Jah­ren wie­der ihre übli­che Funk­ti­on voll aus­üben können“.

Vie­le sess­haf­te Bewoh­ner der Meeresboden-Oberfläche sei­en, so frü­he­re Erkennt­nis­se, „auf die Knol­len als Sub­strat ange­wie­sen“ und fehl­ten „noch Jahr­zehn­te nach einer Stö­rung im Öko­sys­tem“. Die aktu­el­len Unter­su­chun­gen zeig­ten nun, „dass auch die Mikro­or­ga­nis­men im Mee­res­bo­den mas­siv vom Tief­see­berg­bau betrof­fen wären.“ Zudem hät­ten die Pflügungs-Versuche von 1989 nach­weis­lich die bio­geo­che­mi­schen Bedin­gun­gen am Mee­res­bo­den ver­än­dert, weil „die obers­te, akti­ve Sedi­ment­schicht durch den Pflug zer­stört, unter­ge­pflügt oder auf­ge­wir­belt und von den Strö­mun­gen davon­ge­tra­gen“ wor­den sei; in den so gestör­ten Gebie­ten könn­ten „die mikro­biel­len Bewoh­ner das ‚her­ab­reg­nen­de‘ orga­ni­sche Mate­ri­al nur noch ein­ge­schränkt ver­wer­ten“ und büß­ten so „eine ihrer Schlüs­sel­funk­tio­nen für das Öko­sys­tem“ ein.

Alle bis­lang ent­wi­ckel­ten Abbau­tech­no­lo­gien für Man­gan­knol­len wür­den „zu einer mas­si­ven Stö­rung des Mee­res­bo­dens bis in eine Tie­fe von min­des­tens zehn Zen­ti­me­tern füh­ren“, schreibt das AWI in der Pres­se­mit­tei­lung: „Ein kom­mer­zi­el­ler Tief­see­berg­bau wür­de Hun­der­te bis Tau­sen­de Qua­drat­ki­lo­me­ter Mee­res­bo­den pro Jahr betref­fen.“ Wer aber nun erwar­tet, dass die For­schen­den und ihre Insti­tu­te aus sol­chen Erkennt­nis­sen einen unüber­hör­ba­ren Ruf „Tief­see­berg­bau stop­pen!“ ablei­ten, wird, wie oben bereits ange­ris­sen, mas­siv enttäuscht.

Mit der vor­lie­gen­den Stu­die“, zitiert die Pres­se­mit­tei­lung viel­mehr AWI-Direktorin Ant­je Boe­ti­us, „leis­ten wir einen Bei­trag zur Ent­wick­lung von Umwelt­stan­dards für den Tief­see­berg­bau und zei­gen die Gren­zen auf, die der Erho­lung des Mee­res­bo­dens gesetzt sind.“ Mit­tels öko­lo­gisch nach­hal­ti­ger Tech­no­lo­gien sol­le viel­mehr ver­mie­den wer­den, „die dicht beleb­te und bio­ak­ti­ve Ober­flä­chen­schicht des Mee­res­bo­dens zu ent­fer­nen“. Gemein­schaf­ten von Mikro­ben und ihre Funk­tio­nen sei­en geeig­net „als frü­he Anzei­ger für Schä­di­gun­gen von Tiefsee-Ökosystemen durch den Knollenabbau“.

Wie wär’s statt­des­sen mal mit einem ein­fa­chen, aber ent­schie­de­nen „Nein!“ ?

Link zur AWI-Pressemitteilung vom 29. April 2020;
Link zur Originalpublikation

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WATERKANT-Redaktion