Wer prominent und gut vernetzt ist, hat – so scheint es – beste Chancen, auch im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung glimpflich davonzukommen. In die Serie bekannter Beispiele von Zumwinkel über Middelhoff bis Hoeneß reiht sich jetzt ein weiterer Name, diesmal aus der maritimen Wirtschaft: Niels Stolberg.
Stolberg war Gründer und Eigner der auf Projektladungs- und Schwergut-Transport spezialisierten „Beluga“-Reederei, die in diesem Sektor zeitweise sogar die Weltmarktführung innehatte. Anfang dieser Woche hat Bremens einstiger „Vorzeige-Unternehmer“ nun seine Haftstrafe angetreten, zu der er im März 2018 verurteilt worden war – wegen gemeinschaftlichen Kreditbetrugs in 18 Fällen sowie wegen Untreue in besonders schwerem Falle. Allerdings kann der ehemalige Reeder schon bald damit rechnen, in den so genannten offenen Vollzug wechseln zu dürfen; im Falle Uli Hoeneß sprachen damals Kritiker von so genannter „Promi-Haft“…
Stolberg war mit seiner 72 Schiffe zählenden, überwiegend unter Billigflagge fahrenden Flotte niemals nur Reeder: Er brachte sich in die Schlagzeilen etwa mit einem Segelzusatzantrieb für sein Schiff „Beluga Skysails“, schickte frühzeitig Frachten durch die arktische Nordostpassage, war Mäzen sowohl des lokalen Fußballvereins Werder als auch sozialer Hilfsprojekte für Tsunami-Opfer in Thailand, förderte nautische Bildungseinrichtungen, war aber auch verwickelt in dubiose Rüstungsgeschäfte und Spionageaffären.
Er wurde in Bremen und Nordwestdeutschland für sein Tun von Politik und Wirtschaft hofiert und ausgezeichnet – bis er Anfang 2011 aus seinem eigenen Unternehmen gefeuert wurde: Er hatte sich mit dem US-Finanzinvestor Oaktree Capital Management eine so genannte „Heuschrecke“ an Bord geholt, deren Manager entdeckten alsbald frisierte Bilanzen, jagten Stolberg davon, erstatteten Anzeige und zerschlugen „Beluga“. Der von 2016-18 laufende Strafprozess offenbarte dann, dass Stolberg nicht nur bei der Finanzierung von Schiffsneubauten mit verabredet überhöhten Preisen getrickst, sondern auch Rechnungen gefälscht und die Auftragsbücher seines verschachtelten Firmenimperiums rechnerisch aufgebläht hatte.
Drei Jahre und sechs Monate hatte das Urteil der Wirtschaftsstrafkammer des Bremer Landgerichts gegen den ehemaligen Reeder gelautet – zwar ein Jahr weniger, als die Ankläger es gefordert hatten, aber deutlich zu viel, um zur Bewährung ausgesetzt werden zu können. Es schien der Strafkammer wichtig, gegen Stolberg – ungeachtet einer Erkrankung, die den Strafprozess streckenweise beeinträchtigt hatte – Freiheitsentzug zu verhängen; schließlich hatte sie im Laufe des Verfahrens mehrere Versuche der Verteidigung, ein niedrigeres Strafmaß zu erreichen, zurückgewiesen. Stolbergs Anwälte legten gegen das Urteil Revision ein, allerdings vergeblich. Ende 2019 verwarf der Bundesgerichtshof (BGH) sie als unbegründet, das Urteil wurde rechtskräftig.
Trotzdem dürfte Stolberg, wenn man Berichten der lokalen Medien folgt, nur zwei Wochen lang tatsächlich „hinter Gittern“ sitzen – und das auch nur wegen Corona-Quarantäne. Anschließend winkt ihm offener Vollzug, was nichts anderes bedeutet, als dass er tagsüber die Haftanstalt in Bremen-Oslebshausen als „Freigänger“ verlassen darf. Es hat den deutlichen Anschein, dass er es auf diese Form der Strafverbüßung ebenso bewusst wie geschickt angelegt hat: Anfang dieses Jahres hatte die Bremer Staatsanwaltschaft ihm eine Ladung zum Haftantritt zugestellt – in die Justizvollzugsanstalt Neumünster, weil er bis zur abgelehnten Revision in Schleswig-Holstein gemeldet war. Dann aber kam es anders: Laut „Weser-Kurier“ soll Stolberg sich am Tag nach dem BGH-Urteil nach Bremen umgemeldet haben, „bei der neuen Adresse soll es sich um ein Appartement eines Freundes handeln“, schrieb die Zeitung damals.
Damit aber war die Freiheitsstrafe nun in Bremen anzutreten. NDR, Radio Bremen und „Weser-Kurier“ sind sich einig, dass der Grund für diesen „Umzug“ in unterschiedlichen Strafvollzugsregeln der fraglichen Bundesländer zu suchen sei. Schleswig-Holstein schickt rechtskräftig Verurteilte prinzipiell in den geschlossenen Vollzug. Ob – und wenn ja, wann – dessen Bedingungen dann eventuell gelockert werden, wird immer nur von Fall zu Fall entschieden. In Bremen hingegen kann, wer eine Freiheitsstrafe von weniger als vier Jahren zu verbüßen hat, diese prinzipiell schon ab Haftantritt als Freigänger antreten. „Vielleicht“, so bemerkte neulich ein Kommentator, „hätte die Strafkammer dem Antrag der Staatsanwaltschaft – viereinhalb Jahre – doch lieber folgen sollen.“