Jede Krise hat ihre Verlierer – und ihre Gewinner. Das gilt angesichts der Corona-Pandemie auch für die globale Schifffahrt. Während – wie berichtet – hunderttausende Seeleute nach wie vor auf ihren Schiffen quasi gefangen sind, weil vertragsgemäße Crewwechsel nicht funktionieren, scheffeln zumindest einige der großen Reedereien als ihre Arbeitgeber – Covid-19 hin oder her – weiterhin Gewinne.
Heute früh hat beispielsweise der Weltmarktführer der Containerschifffahrt, der dänische Konzern A. P. Møller-Mærsk (Maersk), sein Ergebnis für das zweite Quartal (Q2) dieses Jahres vorgelegt und darin bilanziert, dass gegenüber dem Referenzquartal 2019 trotz eines um rund sieben Prozent gesunkenen Umsatzes der Vierteljahresgewinn (EBITDA) um gut 25 Prozent gestiegen ist. Genauer: Hatte der Umsatz im Q2 2019 noch bei rund 9,627 Milliarden US-$ gelegen, belief er sich im Q2 2020 auf nur noch 8,997 Milliarden $ – das Ergebnis aber stieg im Vergleichszeitraum von 1,357 Milliarden $ auf satte 1,697 Milliarden $. Noch im Frühjahr dieses Jahres hatten die Dänen ihre sonst übliche Jahreszielprognose wegen der Pandemie ausgesetzt – jetzt stellt sich im Vergleich der jeweils ersten beiden Quartale 2020 mit 2019 heraus, dass sich das Ergebnis um 11,6 Prozent verbessert trotz gut sechs Prozent Umsatzrückgangs.
Immerhin lässt Konzernchef Sören Skou sich herab, in dem 30 Seiten langen Vierteljahresbericht einmal auch die Schiffsbesatzungen zu erwähnen: In seinem Geleitwort verweist er auf „erhebliche Probleme, unsere Seeleute nach Ablauf ihrer Verträge zu entlasten“, das beschäftige den Konzern „ernsthaft“ und man gehe es „aktiv“ an. Als Hauptgrund für die bilanzierte Entwicklung verweist Maersk auf zwei Faktoren, die pandemiebedingt global für die gesamte Branche gelten: drastisch gesunkene Treibstoffpreise und parallel gestiegene Frachtraten.
Bereits im Frühjahr hatten etliche Reedereien ihre Linienverkehre stark ausgedünnt, knapp zehn Prozent der weltweiten Kapazität waren vorübergehend stillgelegt. Aber bereits in der zweiten Juni-Hälfte hatte etwa das Branchenportal HANSA vermeldet, der inaktive Flottenanteil sei rückläufig und werde sich „in absehbarer Zukunft“ weiter verringern. Zugleich weist der maritime Statistikdienst alphaliner aus, dass die globale Containerflotte in ihrem Transportvolumen im vergangenen halben Jahr dennoch um knapp 273.000 TEU zugelegt hat und die Bestelllisten für Neubauten nach wie vor auf hohem Niveau liegen – allein die zehn größten Reedereien kommen zusammen auf knapp 1,6 Millionen TEU entsprechend rund acht Prozent ihrer aktuellen Kapazität, die sie in den Orderbüchern diverser Werften stehen haben.
Insofern verwundert es nicht, wenn auch einige andere Schifffahrtsunternehmen derzeit überraschend gute Zwischenergebnisse präsentieren:
- Vergangene Woche beispielsweise hatte die teilstaatliche deutsche Hapag-Lloyd, Nummer Fünf der Weltrangliste, bekannt gegeben, ihr Umsatz sei im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum 2019 geringfügig von 7,047 auf 7,005 Milliarden $ zurückgegangen – zugleich aber legte das Ergebnis (EBITDA) von 1,080 auf 1,287 Milliarden $ um gut 19 Prozent zu.
- Der französische Familienkonzern CMA CGM, der nach wie vor auf Platz 4 rangiert, hat erst Anfang Juni sein erstes Quartal bilanziert, aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor: Danach sank der Umsatz gegenüber dem ersten Vierteljahr 2019 relativ geringfügig von 7,41 auf 7,19 Milliarden $, das Ergebnis (EBITDA) indes wuchs im selben Vergleichszeitraum um knapp 25 Prozent von 779 auf 973 Millionen $.
- Zum besseren Verständnis dieser Beispiele bleibt zu ergänzen, dass der Weltranglistenzweite, der Genfer Familienkonzern Mediterranean Shipping Company (MSC), weder börsennotiert ist noch Geschäftszahlen veröffentlicht.
- Und auch die Nummer 3, der chinesische Staatskonzern COSCO mit seiner Hongkong-Tochter OOCL, hält sich mit Zwischen- und Ergebniszahlen eher bedeckt; die Weltöffentlichkeit wird in der Regel mit Umsatz- und Auslastungszahlen abgespeist, aber Angaben zu Gewinnen oder Verlusten gibt es kaum.
- Auf Platz 6 rangiert bekanntlich Ocean Network Express (ONE), das Container-Schifffahrts-Bündnis der japanischen Reedereien MOL, NYK und K Line – an dieser Stelle nur vollständigkeitshalber erwähnt, weil ONE seit Geschäftsjahr erst im März beendet und die Vorjahrs-Bilanz für 2019 im Mai vorgelegt hat, die folglich von Corona noch erst marginal betroffen ist. ONE verbuchte eine Umsatzsteigerung um 9,1 Prozent auf 11,9 Milliarden $ – und einen Nettogewinn von 105 Millionen $ nach einem Vorjahrsverlust von 586 Millionen $.
- Auch von Evergreen liegen keine aktuellen Ergebniszahlen vor, die taiwanesische Linie (Rang 7) sorgt nur für ständig neue Schlagzeilen durch ihre Wachstumspläne – die momentan mit 200 Schiffen und einer Kapazität von 1,29 Millionen TEU operierende Reederei hat derzeit 67 Schiffe mit weiteren knapp 519.000 TEU in den Orderbüchern stehen. Laut Expertenschätzungen soll das zwischen 1,4 und 1,6 Milliarden $ kosten – obwohl Evergreen zu den staatlich hoch subventionierten Reedereien zählt, dürfte das auch guten aktuellen Ergebniszahlen zuzuschreiben sein.
- Und um die Aufzählung an dieser Stelle abzuschließen: Auch Südkoreas HMM (vormals Hyundai Merchant Marine) kann nur mit Staatshilfe überleben. Die auf Platz 8 rangierende Reederei gehört zu knapp 74 Prozent zwei staatlichen Geldinstituten, ist aktuell hochverschuldet – und trotzdem auf Wachstumskurs: Sechs von zwölf Neubauten, jüngst in Dienst gestellt, sind mit einer Kapazität von je 23.964 TEU derzeit die weltgrößten Containerschiffe.
Bleibt als – vorläufiges – Fazit: Die Weltseeschifffahrt (Container-Handel macht zwar nicht den größten Anteil aus, gilt aber vielfach als richtungweisend), die ihre Schiffe überwiegend unter sozial und ökologisch oft zweifelhaften Bedingungen (Stichwort: Billigflagge) betreibt und aktuell ihre Seeleute unter dem Vorwand der Corona-Pandemie (Stichwort: Crewwechsel) verschärft ausbeutet, gehört bislang nicht zu den echten Verlierern der momentanen Krise – eher im Gegenteil. Wenn einzelne Reedereien in der derzeitigen Situation Rückschläge hinnehmen oder gar Insolvenz anmelden müssen, mag man das eher als „marktüblich“ bezeichnen, indem Große durch geschickteres Agieren Kleinere verdrängen…
Eine ähnliche Version dieses Textes erscheint am 20. August 2020 in der Tageszeitung „junge Welt“.