Nord-Ostsee-Kanal dauerhaft gebührenfrei?

Laut einem Bericht im Online-Portal der Fach­zeit­schrift HANSA aus der vori­gen Woche haben die Nau­ti­schen Ver­ei­ne in Kiel und Bruns­büt­tel gefor­dert, auf die Erhe­bung der Befah­rungs­ab­ga­ben für den Nord-Ostsee-Kanal (NOK) dau­er­haft zu ver­zich­ten, min­des­tens aber die der­zei­ti­ge – pandemie-bedingte – Aus­set­zung über den Jah­res­wech­sel hin­aus zu verlängern. 

Im Som­mer die­ses Jah­res hat­te der Haus­halts­aus­schuss des Bun­des­ta­ges im Zuge sei­ner Beschlüs­se zum Corona-Krisenmanagement die Pas­sa­ge­ge­büh­ren bis zum 31. Dezem­ber 2020 aus­ge­setzt, es geht dabei um rund zehn Mil­lio­nen Euro. Die Gra­tis­ka­nal­fahrt von Kiel nach Bruns­büt­tel (und umge­kehrt) begüns­tigt nicht nur pas­sie­ren­de Schiffe aller Ree­de­rei­en und Flag­gen, son­dern hilft in ent­spre­chen­dem Maße auch der betei­lig­ten regio­na­len Logis­tik­wirt­schaft. Die Nau­ti­schen Ver­ei­ne haben dies in einem Brief an BMVI-Staatssekretär Enak Fer­le­mann (Cux­ha­ven) dar­ge­legt. Dank der seit der Gebüh­ren­strei­chung „dras­tisch gestie­ge­nen“ Durch­gangs­zah­len, so zitiert HANSA aus dem Brief, könn­ten die Dienst­leis­ter am Kanal trotz Pan­de­mie „aus­kömm­li­che Ein­nah­men erwirt­schaf­ten“. Die Nau­ti­schen Ver­ei­ne mut­ma­ßen sogar, der „betriebs­wirt­schaft­li­che Ver­lust im Haus­halt“ kön­ne bei wei­te­rem Abga­ben­ver­zicht „durch den volks­wirt­schaft­li­chen Gesamt­nut­zen aus­ge­gli­chen“ werden.

Das ist nicht nur rech­ne­risch sehr mutig, son­dern offen­bart einen Jahr­zehn­te wäh­ren­den Miss­stand: Seit mehr als 40 Jah­ren bean­stan­det der Bun­des­rech­nungs­hof (BRH) die viel zu nied­ri­gen Gebüh­ren für die Kanal­be­nut­zung. Im BRH-Jahresbericht vom Dezem­ber 2017 stell­ten die Finanz­auf­se­her fest, die Befah­rungs­ab­ga­be sei „zuletzt im Jahr 1996 ange­passt“ wor­den. Das BMVI miss­ach­te damit nicht nur die Bun­des­haus­halts­ord­nung und deren „wich­ti­ge Vor­ga­be“ des „Voll­kos­ten­de­ckungs­prin­zips“. Es igno­rie­re auch auf ein­schlä­gi­gen Gut­ach­ten basie­ren­de Emp­feh­lun­gen der Wasserstraßen- und Schiff­fahrts­ver­wal­tung (WSV), die Abga­be zu erhö­hen, und ver­zich­te so
auf jähr­li­che Mil­lio­nen­ein­nah­men. Im anschlie­ßen­den BRH-Bericht vom Mai 2018 an den Haus­halts­aus­schuss des Bun­des­ta­ges wur­de das BMVI expli­zit auf­ge­for­dert, „die Befah­rungs­ab­ga­ben auf dem Nord-Ostsee-Kanal zu prü­fen und ent­spre­chend anzu­he­ben“. Tat­säch­lich aber steht im aktu­el­len Ent­wurf des Bundeshaushaltsplans
für 2021 exakt der­sel­be Ansatz für Ein­nah­men aus der Abga­be wie in etli­chen Jah­ren zuvor: 21 Mil­lio­nen Euro.

Dabei hat­te der BRH im Jah­re 2017 nur sei­ne frü­he­re Kri­tik erneu­ert: Schon 1976 hat­te die Behör­de die Abga­ben­hö­he als zu nied­rig bean­stan­det und allein für die sie­ben Jah­re von 1970 bis 1976 das NOK-Defizit – Ein­nah­men aus der Befah­rungs­ab­ga­be gegen Auf­wen­dun­gen für Betrieb und Unter­hal­tung – mit 200,2 Mil­lio­nen D-Mark (umge­rech­net 102,36 Mil­lio­nen Euro) beziffert.

Dabei kos­tet der jüngst 125 Jah­re alt gewor­de­ne Nord-Ostsee-Kanal gera­de jetzt sehr viel Geld: Seit Jah­res­an­fang wird er an meh­re­ren Stel­len ver­brei­tert, an ande­ren Punk­ten wer­den Kur­ven abge­flacht, es wer­den Brü­cken ertüch­tigt, und Bruns­büt­tel bekommt eine fünf­te Schleu­sen­kam­mer. Laut BMVI-Pressemitteilung vom 12. Okto­ber inves­tiert der Bund ins­ge­samt „mehr als 2,6 Mil­li­ar­den Euro in Erhalt und Aus­bau des Kanals“. Schließ­lich sei der Kanal „ele­men­ta­rer Bestand­teil glo­ba­ler Trans­port­we­ge“, jede Inves­ti­ti­on in ihn stär­ke die deut­sche Wirtschaft.

Der NOK sei, so das BMVI, nach wie vor „die meist­be­fah­re­ne künst­li­che Was­ser­stra­ße der Welt“ und ver­zeich­ne mit 30.000 Schiffs­pas­sa­gen jähr­lich „fast dop­pelt so vie­le Schiffe wie der Suez­ka­nal“. Der indes ver­mel­det in sei­nem aktu­el­len Geschäfts­be­richt Jah­res­ein­nah­men von 5,8 Mil­li­ar­den US-Dollar (4,9 Mil­li­ar­den Euro) für 18.880 Schiffs­pas­sa­gen – und kann so Inves­ti­tio­nen wie die jüngs­te Erwei­te­rung (acht Mil­li­ar­den US-Dollar) bin­nen Kür­ze finan­zie­ren. Der Pana­ma­ka­nal kam 2019 auf 13.785 Pas­sa­gen und 2,97 Mil­li­ar­den Dol­lar Transitgebühren.

Natür­lich wird zwi­schen Bruns­büt­tel und Kiel immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen, dass bei Erhe­bung kos­ten­de­cken­der Befah­rungs­ab­ga­ben kein Schiff mehr den NOK nut­zen, son­dern um Ska­gen zwi­schen Nord- und Ost­see pen­deln wür­de. Die­ser Umweg um Jüt­land her­um sei eine ech­te Alter­na­ti­ve und des­halb ver­bie­te sich auch jeder Ver­gleich mit Suez- oder Pana­ma­ka­nal. Die Ent­schei­dung „NOK oder Ska­gen“, so heißt es als Ant­wort auf die uralte BRH-Kritik immer wie­der, sei eben eine rei­ne Kos­ten­ent­schei­dung. Dies aller­dings ist eine Argu­men­ta­ti­on, die eben nicht nur Rech­nungs­prü­fer, Gut­ach­ter und gesetz­li­che Vor­ha­ben wie die Haus­halts­ord­nung igno­riert – sie erklärt auch pau­schal jeden Ver­such, die Han­dels­schiff­fahrt und die mit ihr ver­netz­te Logis­tik für die real von ihr ver­ur­sach­ten Kos­ten zur Kas­se zu bit­ten, für obso­let oder verwerflich.

Wie wäre es denn statt­des­sen mit ein biss­chen Nach­den­ken und einer gehö­ri­gen Por­ti­on Fle­xi­bi­li­tät? Wenn etwa – wie im Früh­jahr die­ses Jah­res – die glo­ba­len Bun­ker­prei­se „in den Kel­ler“ gehen, dann kommt es aus genann­ten Grün­den zu Ein­brü­chen im Kanal­ver­kehr: Das ist nicht zu bezwei­feln. Also wäre vom Kanal­ma­nage­ment zu erwar­ten, dass es ange­mes­sen reagiert und die Befah­rungs­ab­ga­be min­dert oder streicht. Aber im sel­ben Maße hät­te es sie deut­lich zu erhö­hen, sobald die Prei­se für Schwer­öl, Mari­ne­die­sel und ande­re Treib­stof­fe im glo­ba­len Ener­gie­po­ker in die Höhe schie­ßen bezie­hungs­wei­se (was his­to­risch über­wie­gend der Fall war) über län­ge­re Zeit auf hohem Niveau blei­ben. Kaum aus­zu­ma­len, was der bun­des­deut­sche Haus­halt in Jahr­zehn­ten hoher und höchs­ter Bun­ker­prei­se hät­te ein­neh­men kön­nen mit ein biss­chen admi­nis­tra­ti­ver Flexibilität…

 

Eine ähn­li­che Ver­si­on die­ses Tex­tes erschien am 27. Okto­ber 2020 in der Tages­zei­tung „jun­ge Welt“.

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WATERKANT-Redaktion