Die USA sorgen derzeit für Aufregung in der globalen Schifffahrt. Präsident Joe Biden hat vor wenigen Wochen die „Federal Maritime Commission“ (FMC) als nationale Regulierungsbehörde beauftragt, die Geschäftspraktiken von Linienreedereien unter die Lupe zu nehmen. Das schafft einerseits Unruhe in der Branche, andererseits dürften aber die Chancen der USA, Druck auszuüben, begrenzt sein, denn sie haben keine eigenen Handelsreedereien nennenswerter Größe.
Vor wenigen Tagen berichtete der Onlinedienst „Maritime Executive“, die FMC habe jetzt einigen großen Wettbewerbern ein paar unbequeme Fragen gestellt. Schon früher hatte die FMC wiederholt mutmaßliche Kartellverstöße von Reedereien untersucht, in Einzelfällen auch Bußgelder verhängt. Anlass des jüngsten Vorgehens sind die seit Monaten global drastisch steigenden Frachtraten, die den großen Reedereien fast schon serienmäßige Gewinnsteigerungen bescheren: Seit der pandemiebedingten Handelsdelle Anfang 2020 nehmen weltweit die Transportvolumina rasant zu, was in Verbindung mit Kapazitätsproblemen und schwankenden Treibstoffpreisen die Tarife exorbitant steigen lässt.
Konkret wirft die FMC einigen Großreedereien nun vor, diese Entwicklung zum Schaden der Verlader auszunutzen, also durch ihr Verhalten inneramerikanische Logistikprozesse ungerechtfertigt zu verteuern. Zwar stützt sich der aktuelle Vorgang nur auf Beschwerden einiger kleinerer Unternehmen, wie etwa eines Möbelfabrikanten aus Pennsylvania. Von einer generellen Kritik an Frachtraten oder eventuellen Kartellabsprachen ist derzeit noch nicht die Rede. Tatsache ist aber, dass die FMC bereits seit Ende 2020 die Praktiken der Reederei-Allianzen genauer prüft.
Rückblick
Dazu ein kurzer Rückblick: Seit sich vor mehr als einem Jahrhundert weltumspannende Seefrachtmärkte entwickelten, hatten die agierenden Reedereien sich in Kartellen, so genannten Linienkonferenzen, organisiert: Für jeweils definierte Fahrtgebiete – etwa Ostasien-Nordwesteuropa – vereinbarten sie unter sich Frachttarife, Kapazitäten, Frequenzen oder weitere Bedingungen für angebotene Linienverkehre. 1974 versuchte die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), diese Linienkonferenzen mit einem regelrechten Verhaltenskodex an die Leine zu legen und zu einem fairen globalen Miteinander zu zwingen.
Der Kodex schreibt unter anderem vor, dass sich Reeder des Ausgangs- und des Ziellandes bestimmter Seefrachten deren Transport zu je 40 Prozent teilen und 20 Prozent Reedereien aus anderen Ländern überlassen sollten: Das hätte eine massive Stärkung der Länder der Dritten Welt bedeutet – und sollte es wohl auch –, denn diese Aufteilung hätte in den betreffenden Staaten den Aufbau eigener Handelsflotten beschleunigt. Schon bei Inkrafttreten des Kodex zeigte sich aber deutlich, dass Fairness die Handelsnationen der Ersten Welt nicht wirklich interessiert: Zum einen dauerte es neun Jahre, bis genügend Ratifizierungen vorlagen, um den Kodex in Kraft treten zu lassen, zum anderen haben laut UNCTAD bis heute erst 76 Nationen diesen Kodex ratifiziert: Die USA zählen ebenso wenig dazu wie die großen Schifffahrtsnationen Europas – nur zehn EU-Staaten haben unterzeichnet, Deutschland fehlt ebenfalls. Und während die USA die Linienkonferenzen alsbald soweit regulierten, dass sie für US-Verkehre kaum mehr Bedeutung hatten, vereinbarten die EG-Staaten schon 1989, umstrittene Teile des Kodex wie eben diese Ladungsaufteilung kurzerhand nicht anzuwenden.
Container und Konzentration
Vor diesem Hintergrund verloren Linienkonferenzen an Bedeutung, dafür entwickelten sich seit Beginn des Jahrtausends in der Containerschifffahrt die so genannten Allianzen: Zusammenschlüsse einzelner Reedereien, die fahrtgebietsübergreifend und logistisch enger kooperieren als die Konferenzen – allerdings nicht bei den Frachtraten. Obwohl das durchaus kartellähnlich funktioniert, genießen die Allianzen etwa in der EU eine (von Spediteuren und Verladern scharf bekämpfte) Ausnahmeregelung namens „Gruppenfreistellung“, die unter anderem begründet wird mit den hohen Investitionen, die ein Liniendienstangebot erfordere.
Es erscheint als eine bezeichnende Folge des Scheiterns der erwähnten 40:40:20-Regel der UNCTAD, dass die weltweit führenden Reedereien in Europa und Nordostasien beheimatet sind. In der Container-Schifffahrt haben sich nur neun von ihnen mehr als 82 Prozent des aktuellen globalen Seehandels „unter den Nagel gerissen“ – in drei Allianzen: Dänemarks Mærsk und MSC (Schweiz) bestreiten mit ihrem Bündnis „2 M“ rund 33,27 Prozent (8,29 Millionen TEU) der globalen Transportkapazität. Die „Ocean Alliance“ der französischen Reederei CMA CGM mit Chinas COSCO und Taiwans Evergreen erreichen mit 7,38 Millionen TEU einen Anteil von 29,62 Prozent. Und „THE Alliance“ von Deutschlands Hapag-Lloyd, Taiwans Yang Ming, Japans Reedereiverbund ONE und Koreas HMM (Hyundai) kommt mit 4,86 Millionen TEU auf 19,48 Prozent der Weltkapazität.
In den USA sieht sich derweil die FMC nicht nur unter Druck vom Präsidenten. Auch Verlader und Häfen fordern behördliches Vorgehen: Die Reeder, so der Vorwurf, würden nicht nur Frachtraten immer weiter anheben, sondern auch Zusatzkosten etwa für Lagerung oder Lieferung erheben, was, so der Vorwurf, eigentlich mit den Frachtraten abgedeckt sein sollte.
Update vom 12. August 2021: Wie gestern bekannt wurde, bereiten zwei Kongressabgeordnete einen parteiübergreifenden Gesetzentwurf vor, der die Befugnisse der FMC stärken und es ihr ermöglichen soll, das „Handelsungleichgewicht“ – die angebliche Benachteiligung von US-Exporten gegenüber Importen – schärfer zu bekämpfen. Der »Ocean Shipping Reform Act of 2021« soll explizit dazu beitragen, US-Interessen gegenüber den Reedereien durchzusetzen (Details folgen).