In Nordamerika hat eine große maritime Gewerkschaft angekündigt, eine massive Kampagne gegen menschenlose Frachtschiffe starten zu wollen – und hofft dabei nicht nur im eigenen Lande, sondern international auf Unterstützung und Kooperation durch andere Gewerkschaften. Eine Reaktion aus Europa oder Deutschland steht aus.
„Autonome“, das heißt digital ferngesteuerte Frachtschiffe, die ohne Besatzungen von Hafen zu Hafen fahren und Fracht ohne menschliche Arbeitskraft laden oder löschen, sind keine Utopie mehr. Die Entwicklung entsprechender Techniken wird seit mehreren Jahren schon diskutiert, subventioniert und partiell erprobt. Handelsschiffe ohne Seeleute, die an Bord versorgt und verpflegt sowie fürs Arbeiten auch noch bezahlt werden müssen: Für manche Reeder ein schöner Traum. Aber in Nordamerika regt sich derzeit Widerstand, damit das nicht die Zukunft der Seefahrt wird.
Die International Longshoremen’s Association (ILA) – 125 Jahre alte und nach eigenen Angaben größte maritime Gewerkschaft Nordamerikas, aktiv vor allem in den Ostküsten-Häfen der USA und Kanadas – verkündete jüngst, ihre Mitglieder würden auch künftig keine autonomen Containerschiffe be- oder entladen. 2018 hatte die ILA mit der United States Maritime Alliance (USMX) ein Abkommen ausgehandelt, das Automatisierung in den Häfen blockierte; dafür hatte die ILA zugesichert, die Produktivität dieser Häfen über dem Niveau zu halten, das automatisierte Anlagen leisten könnten. Das Abkommen gilt noch bis 2024 – während aber die ILA, von vorübergehenden Pandemie-Einbrüchen abgesehen, ihr Versprechen gehalten hat, zeichnen sich seitens der Reeder Bestrebungen ab, erste autonome Schiffe testhalber die Häfen anlaufen zu lassen.
ILA-Präsident Harold Daggett zeigte sich in einer Pressemitteilung richtig sauer: Seeleute und Hafenarbeiter auf der ganzen Welt seien bedroht von Automatisierungsplänen gieriger Unternehmen, die nur am Geldverdienen interessiert seien, dabei seien die Erfolge der Firmen doch maßgeblich den Arbeitern mit zu verdanken. Wer autonome Schiffe entwickle und baue, plane auch automatisiertes Laden und Löschen von Fracht von diesen Schiffen ohne Arbeiter. Daggett: „Das wird unter meiner Präsidentschaft nicht passieren.“
Internationale Solidarität angemahnt
Nachdrücklich forderte er andere amerikanische Schifffahrtsgewerkschaften auf, sich der ILA-Position anzuschließen – gemeint ist hier vor allem die International Longshore and Warehouse Union (ILWU), die in den Westküstenhäfen der USA und Kanadas verankert ist. Zudem betonte Daggett die Hoffnung, auch internationale Unterstützung zu finden für eine breite Kampagne gegen den Abbau von Bordarbeitsplätzen durch autonome Schifffahrt. „Die ILA wird tun, was sie tun muss, um die Arbeitsplätze der Seeleute auf der ganzen Welt zu retten.“ Das richtet sich vor allem an den Internationalen Rat der Hafenarbeiter (International Dockers‘ Council – IDC) sowie an die mit dem IDC eng kooperierende, aber über die Schifffahrt hinaus breiter aufgestellte Internationale Transportarbeiter-Föderation (International Transport Workers‘ Federation – ITF). Eine Stellungnahme der in Deutschland durch ver.di vertretenen ITF zu dem ILA-Vorschlag liegt bislang nicht vor.
Seit Jahren mehren sich in der maritimen Wirtschaft die Bestrebungen, autonome Schifffahrt voranzutreiben. Schon 2017 hatte die 30. Generalversammlung der zur UNO gehörenden „International Maritime Organization“ (IMO) das Thema „Schifffahrt ohne Menschen“ erörtert. Weltweit arbeiten Unternehmen intensiv an autonomen Schiffen sowie an satellitengestützten Steuerungs- und Überwachungstechniken. Auch hierzulande sind bereits diverse Forschungsprogramme – etwa über „Möglichkeiten, Voraussetzungen und Potenziale der unbemannten Schifffahrt“ beim Bremerhavener Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen – mit Steuermillionen gefördert worden.
Aktuelles Beispiel: Ende dieses Monats will laut einer Meldung des maritimen Infoportals HANSA die deutsche Niederlassung des US-Unternehmens „Sea Machines Robotics“ einen autonom fahrenden Schlepper auf eine Testreise rund um Dänemark schicken – von Hamburg durch den Nord-Ostsee-Kanal via Kopenhagen, Skagen und Esbjerg zurück nach Hamburg. Unter digitaler Steuerung und Aufsicht durch in den USA sitzende Kommandanten wird diese Tour medial ausdrücklich inszeniert als Werbung für diese neue Technik – und damit für weitgehenden Ersatz menschlicher Arbeitskraft.