Industriefischerei bricht ozeanisches Gesetz

Mit der indus­tri­el­len Fische­rei scheint die Mensch­heit in den ver­gan­ge­nen 100 Jah­ren ein fun­da­men­ta­les Gesetz des Oze­ans gebro­chen zu haben: Eric Gal­braith, Pro­fes­sor für pla­ne­ta­ri­sche Wis­sen­schaf­ten an der McGill Uni­ver­si­ty im kana­di­schen Mont­re­al, hat gemein­sam mit Kol­le­gen eine dras­ti­sche Ver­schie­bung des so genann­ten Sheldon-Spektrums beob­ach­tet, das als Kor­re­la­ti­on mari­nen Lebens gilt. 

In der aktu­el­len Aus­ga­be der Zeit­schrift Sci­ence Advan­ces zei­gen Gal­braith und sei­ne Kol­le­gen auf, dass die indus­tri­el­le Fische­rei das seit Jahr­zehn­ten beob­ach­te­te – und seit Jahr­hun­der­ten und län­ger gel­ten­de – Phä­no­men einer mathe­ma­ti­schen Ver­tei­lung in der gesam­ten Mee­res­bio­mas­se ver­scho­ben hat: Die Mas­se grö­ße­rer Fische und Mee­res­säu­ger sei erheb­lich nied­ri­ger, als sie es natür­li­cher­wei­se sein soll­te. Die­se Aus­sa­ge bezieht sich auf eine vor rund 50 Jah­ren ent­wi­ckel­te Hypo­the­se, von der selbst gegen­wär­tig For­schen­de wie Gal­braith sagen, man habe sie zwar als gül­tig erkannt, aber eigent­lich nie rich­tig ver­stan­den. Ihr Name – „Sheldon-Spektrum“ – erin­nert an den kana­di­schen Meeres-Ökologen Ray Shel­don, der die­ses Phä­no­men Ende der 1960er Jah­re erst­mals ent­deckt und beschrie­ben hatte.

Ver­ein­facht aus­ge­drückt, scheint eine Gesetz­mä­ßig­keit zu bestehen zwi­schen der indi­vi­du­el­len Grö­ße eines bestimm­ten Mee­res­le­be­we­sens und der Häu­fig­keit sei­nes Vor­kom­mens in den Ozea­nen. Shel­don war auf Grund­la­ge eige­ner Unter­su­chun­gen zu dem Schluss gekom­men, dass für alle Par­ti­kel­grö­ßen, von Bak­te­ri­en bis zu Walen, in etwa glei­che Kon­zen­tra­tio­nen fest­zu­stel­len sei­en. Krill zum Bei­spiel, so lau­tet ein viel­fach ver­wen­de­tes, plas­ti­sches Bei­spiel, sei rund eine Mil­li­ar­de Mal klei­ner als Thun­fisch, kom­me aber etwa eine Mil­li­ar­de Mal häu­fi­ger vor. Je klei­ner der Orga­nis­mus, des­to mehr davon fin­de man in den Mee­ren. Shel­don hat­te damals wäh­rend einer Expe­di­ti­on Plank­ton­pro­ben gesam­melt, nach Grö­ßen­klas­sen sor­tiert und fest­ge­stellt, dass jede ein­zel­ne Klas­se genau die glei­che Mas­se an Krea­tu­ren ent­hielt wie die ande­ren. Ihre Gesamt­mas­se blieb gleich, wäh­rend sich die Grö­ße der Popu­la­tio­nen änder­te. Shel­dons Ver­mu­tung, die­se Regel kön­ne für alles Leben im Oze­an gel­ten, wur­de spä­ter durch Ver­gleichs­un­ter­su­chun­gen etwa bei Fischen oder in Süß­was­ser­öko­sys­te­men bestätigt.

Gal­braith und sei­ne Kol­le­gen haben nun die glo­ba­le Häu­fig­keit von zwölf gro­ßen Grup­pen Mee­res­or­ga­nis­men, von Bak­te­ri­en bis zu Säu­ge­tie­ren, bilan­ziert und als heu­ti­gen Zustands­wert der Ozea­ne ange­nom­men. Anschlie­ßend haben sie die­sen Wert mit einer Schät­zung ver­gli­chen, wie der Zustand vor 1850 gewe­sen sein könn­te. Sie fan­den her­aus, dass die Bio­mas­se im dama­li­gen Sze­na­rio in allen Grö­ßen­klas­sen bemer­kens­wert kon­sis­tent gewe­sen sei. Aber der Ver­gleich die­ser Schät­zun­gen von vor 1850 mit dem als aktu­ell ange­nom­me­nen Zustands­wert ergab dann Erschre­cken­des: Der Ver­gleich leg­te nahe, dass die Bio­mas­se von Fischen mit mehr als zehn Gramm Ein­zel­ge­wicht und allen Mee­res­säu­gern zusam­men seit 1800 um mehr als zwei Mil­li­ar­den Ton­nen geschrumpft sei, die aller­größ­ten Grö­ßen­klas­sen hät­ten dem­nach seit 1800 einen Rück­gang ihrer Bio­mas­se um fast 90 Pro­zent erlebt.

Für Gal­braith ist die Sache klar: Die indus­tri­el­le Fische­rei ist schuld an dem sich abzeich­nen­den Desas­ter. Aber er weist auch einen Aus­weg: Es sei ein­fa­cher, die Über­fi­schung zu stop­pen als den Kli­ma­wan­del. Wenn dras­tisch weni­ger gefischt wür­de, lie­ße man zu, dass die Öko­sys­te­me der Mee­re sich erholten.

Eben­so ein­fach wie radikal.

 

Die­ser Bei­trag basiert auf einem aktu­el­len Bericht des Online-Magazins WIRED
sowie auf dem erwähn­ten Bei­trag von Gal­braith et al. in
„Sci­ence Advan­ces“ (Vol. 7, No. 46) vom Novem­ber 2021.

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WATERKANT-Redaktion