Wieder einmal klagt der Verband Schiffbau und Meerestechnik (VSM) über „unfaire“ Konkurrenz aus Fernost; gemeint sind vor allem China und Südkorea. Am kommenden Montag lädt der VSM zu seiner Jahrespressekonferenz, den Jahresbericht 2021/22 hat er bereits vorgelegt. Die Kritik ist zwar richtig – aber wieder einmal bleibt unerwähnt, dass die Misere selbst verschuldet ist: Der Großschiffbau ist nicht abgewandert, sondern wurde quasi ausgelagert.
Der Reihe nach: Laut VSM haben Deutschlands Reeder 2021 Schiffsneubauten im Werte von rund vier Milliarden US-Dollar bestellt. 55 Prozent der Aufträge, so Verbandschef Harald Fassmer, seien an chinesische Werften gegangen, 44 Prozent an Unternehmen aus Südkorea – und nur ein Prozent blieb in der EU. Und dies, „obwohl die Reedereiwirtschaft durch erhebliche Steuermittel unterstützt“ werde. Sehr richtig. Dieses Missverhältnis, so Fassmer weiter, sei in etwa auf ganz Europa übertragbar, weltweit seien insgesamt 85 Prozent aller Neubau-Orders an Werften dieser beiden Staaten vergeben worden.
Es ist lange bekannt, dass sowohl China als auch Südkorea ihre Schiffbauer vielfältig und in hohem Maße subventionieren; was diesen Dumpingpreise ermöglicht, gegen die hiesige Werften „machtlos“ seien. Nur wird selten auch erwähnt, dass die Grundlagen dafür von deutschen und europäischen Schiffbauern gelegt worden sind: In den 1960er und 1970er Jahren wurde mit kräftiger staatlicher Förderung Schiffbau-Knowhow aus der BRD und Westeuropa nach Ostasien „exportiert“. Anschließend erhielten die dort so aufgebauten Werften massenhaft Aufträge hiesiger Reeder, wofür die aber noch aus hiesigen Steuermitteln subventioniert wurden. In der Folge entwickelten sich in Japan, Südkorea, Taiwan und zunehmend auch China beträchtliche Kapazitäten für die Massenproduktion großer und größter Frachter, während in Deutschland und Europa nur Spezialschiffbau „hängen“ blieb.
Wobei auch hier zunächst kräftig weiter staatlich gefördert wurde. Erst um die Jahrtausendwende begann die EU-Kommission in Brüssel, diese Praxis zu unterbinden. Damit wurden zwar verschiedene Freihandels-Apostel zufrieden gestellt, das Missverhältnis zwischen hiesigem und fernöstlichem Schiffbau aber klaffte immer weiter auseinander. Als wegen der Pandemie die Nachfrage nach immer größeren Kreuzfahrtschiffen in sich zusammen brach, war das Malheur groß. VSM-Chef Fassmer fordert daher von der Politik, den „Substanzverzehr in der europäischen maritimen Industrie“ zu stoppen, um weiteren Knowhow-Verlust „zum Bau großer Seeschiffe und komplexer Offshoreinstallationen in Europa zu verhindern.“
Wie in etlichen anderen Branchen hofft man auch beim VSM, die aktuelle Lage könne die eigene Situation verbessern helfen: „Geostrategische Entwicklungen und die klimapolitische Transformation schaffen riesige Investitionsbedarfe für Schiffe und maritime Anlagen.“ Gemeint ist natürlich zum einen, dass hiesige Schiffbauer mit Erfahrung im militärischen Geschäft vom angekündigten 100-Milliarden-Euro-Topf für die Bundeswehr profitieren könnten. Zum anderen könnten sowohl neue, klimaschonende Antriebe für Handelsschiffe als auch geplante Maßnahmen zur „Energiewende“ – von LNG- und Wasserstoff-Terminals bis zur potenzierten Offshore-Windkraft – hiesigen Werften Aufträge bescheren und die erneut geschrumpfte Zahl der Arbeitsplätze (2021: 19.332) erhöhen.
Wichtige Voraussetzung dafür, so der VSM, sei aber, die Abhängigkeit nicht nur von Russland zu verringern, sondern auch die von China. Das gelte für den Schiffbau selbst, aber auch für die vielen Zulieferer von Rohstoffen und Vorprodukten. Dabei definiert der Verband die Globalisierung der Vergangenheit durchaus eigenwillig: Die maritime Wirtschaft sorge durch globale Vernetzung der deutschen Volkswirtschaft für die Reduzierung von Abhängigkeiten, in diesem Sinne sei die maritime Industrie eine „Freiheitsindustrie“.
Eine ähnliche Version dieses Textes erschien
am 27. Mai 2022 in der Tageszeitung „junge Welt“.