Am vergangenen Freitag haben sich in Hamburg die Gewerkschaft ver.di und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) zur dritten Verhandlungsrunde über einen Tarifvertrag für die rund 12.000 Beschäftigten in den Seehäfen getroffen. Nach rund zehn Stunden wurde das Gespräch ergebnislos vertagt. Am Donnerstag hatten mehrere tausend Beschäftigte in den Nordseehäfen Emden, Wilhelmshaven, Bremerhaven, Bremen und Hamburg mit einem befristeten Warnstreik Druck gemacht.
Der ZDS hatte in der vorausgegangenen zweiten Verhandlung am 23. Mai ein Tarifabkommen für 24 Monate mit Erhöhungen um 3,2 und 2,8 Prozent plus sektoraler Einmalzahlungen vorgeschlagen und dies als „Sicherung der Reallöhne“ bezeichnet. Die Gewerkschaft hatte das rundheraus abgelehnt, ver.di fordert bei einer Tariflaufzeit von zwölf Monaten neben einem „tatsächlichen Inflationsausgleich“ eine Erhöhung der Entgelte um 1,20 Euro pro Stunde sowie für Vollcontainerbetriebe eine Erhöhung der jährlichen Zulage um 1200 Euro. Am Freitag hatte der ZDS sein Angebot zwar geringfügig erhöht – laut ver.di auf ein Plus zwischen 4,95 und 3,75 Prozent –, aber das genügt den Hafenbeschäftigten bei weitem nicht. „Als Teil der kritischen Infrastruktur“, hatte ver.di zuvor auf die jüngere Vergangenheit im Zuge der Corona-Pandemie verwiesen, hätten die Beschäftigten als „Keyworker der Lieferketten mit ihrer Hände Arbeit den Laden am Laufen gehalten.“ Dafür hätten sie „Anerkennung und ihren gerechten Anteil verdient“.
Das bisherige Verhalten des ZDS – dessen Mitglieder zu beträchtlichem Teil teilstaatliche Unternehmen sind – verdient eine besondere Erwähnung. In der Mai-Verhandlung hatte sich der Verband nämlich in der Begründung seines Angebot skurrilerweise ausgerechnet auf eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung berufen: Die habe den aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung eine „deutliche und sozial ausgewogene“ Entlastung aller Erwerbstätigen-Haushalte bescheinigt. Nach Ablehnung durch ver.di mahnte der ZDS dann zunächst nur zu „Besonnenheit“ in den Tarifverhandlungen, verwies auf die „weiterhin großen Unsicherheiten“ durch Folgen der Pandemie und des Ukraine-Kriegs, deren Auswirkungen in den Häfen „nicht in Gänze abschätzbar“ seien. Anschließend verschärfte der Arbeitgeberverband die Tonart, geißelte den nachfolgenden Gewerkschaftsaufruf an die Hafenbeschäftigten zum ersten Warnstreik seit Jahrzehnten prompt als „verantwortungslos“ – und viele Medien beteten das wegen der kritischen Lage in und vor den Häfen unkritisch nach.
Staus auf der Nordsee
Die Hafenbeschäftigten sehen das eindeutig anders: Die hohe Belastungssituation in den Häfen wird von ihnen nicht bestritten. Seit Beginn der Corona-Pandemie – damals bestärkt durch die mehrtägige Suez-Blockade, heute forciert durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs – sind die logistischen Abläufe im globalen Handel drastisch und anhaltend durcheinander geraten. Nicht nur im interkontinentalen Seeverkehr selbst, sondern auch in den hafenseitigen Zu- und Ablaufverkehren herrscht teilweise Chaos, etwa, weil Bahnen und Speditionen immense (oft selbst verschuldete) Personalprobleme haben. In den Häfen stöhnen Management und Verlader über Stellflächen- und Containermangel, nehmen Lager- und Abfertigungs-Engpässe zu. Längst gibt es auch Staus auf See: Vor den Mündungen von Elbe, Weser und Jade lagen am Donnerstag rund drei Dutzend Schiffe, zwei Drittel davon Containerfrachter, vor Anker und warteten auf Abfertigung. Mit steigender Tendenz: Am Montag hatte das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) dort noch etwa ein Dutzend großer Containerschiffe „mit einer Kapazität von insgesamt etwa 150.000 Standardcontainern“ (TEU) gezählt. Da vor den Terminals von Rotterdam und Antwerpen die Lage noch dramatischer sei, schätzte das IfW, dass gegenwärtig knapp zwei Prozent der globalen Frachtkapazität allein in der Nordsee feststeckten.
Die Hafenbeschäftigten in Norddeutschland sind sauer – und entsprechend kampfbereit. Die Situation in den Häfen fordert ihnen seit langem 50 bis 60, manchmal auch mehr Überstunden pro Monat ab. Ungeachtet dessen hatten während der Pandemie mehrere große Hafenbetreiber Rationalisierungskonzepte gestartet, um Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe durchzudrücken, bei denen Personalabbau und „betriebsbedingte Kündigungen“ ausdrücklich nicht ausgeschlossen wurden. Die Tatsache, dass dieselben Hafenbetreiber aber ständig steigende Umsätze und Gewinne verzeichnen – seit kurzer Corona-Delle im Frühjahr 2020 boomen im Seehandel Frachtraten und Profite nicht nur bei Reedern –, trägt nicht dazu bei, die Laune der Hafenbeschäftigten zu heben.
Daher unterstrichen sie mit ihrem engagierten Ausstand nun, dass sie für ihren anhaltenden Arbeitsstress wegen der aktuellen Lieferketten-Probleme vom ZDS in der Freitag-Verhandlung ein angemessen verbessertes Angebot erwarteten. Dabei ist der ver.di und ihren Mitgliedern natürlich klar, dass jeder Ausstand die angespannte Lage in den Häfen und ihren vernetzten Lieferketten weiter zuspitzen könnte. Deshalb nannte Gunnar Appelt, ver.di-Sekretär für die Häfen in Wilhelmshaven und Bremerhaven, den Warnstreik im Lokalsender „Radio Jade“ denn auch einen Beginn „in homöopathischen Dosen“. Zwar könne das, wenn‘s gar nicht weiterginge, auch in unbefristeten Erzwingungsstreik münden: „Soweit muss es aber nicht kommen“, mahnte Appelt die Arbeitgeberseite – bedauerlicherweise vergeblich, der Tarifkonflikt dürfte in Bälde weitergehen.