Der Tarifkampf in den deutschen Nordseehäfen beginnt sich zuzuspitzen: Heute endete planmäßig ein zweitägiger Warnstreik, nachdem mehrere Versuche, diese Aktion vorab per Gericht verbieten zu lassen, gestern und vorgestern gescheitert waren – allerdings mit einem umstrittenen Kompromiss. Zugleich haben die Streikenden gestern erneut mit einer machtvollen Demonstration in Hamburg ihre Entschlossenheit unter Beweis gestellt; dabei kam es zu polizeilichen Übergriffen.
Die Fronten zwischen den Hafenbeschäftigten und ihrer Gewerkschaft ver.di einerseits und dem Zentralverband Deutscher Seehafenbetriebe (ZDS) andererseits sind trotz – oder wegen – mittlerweile sieben Verhandlungsrunden verhärtet. Der aktuell beendete 48-Stunden-Warnstreik ist der dritte innerhalb weniger Wochen (und der längste seit mehr als 40 Jahren), ohne dass sich die Arbeitgeberseite bereit gezeigt hätte, den elementaren Bedürfnissen der Beschäftigten entgegenzukommen.
Die Männer und Frauen in den Häfen von Emden, Wilhelmshaven, Bremerhaven, Brake, Bremen und Hamburg sind sauer: Sie verlangen einen „echten Inflationsausgleich“, um nicht – wie ver.di es formuliert – „mit den Folgen der galoppierenden Preissteigerung allein“ gelassen zu werden. Die rund 12.000 Beschäftigten in 58 tarifgebundenen Unternehmen von Hamburg, Niedersachsen und Bremen fordern neben diesem mit rund 7,4 Prozent bezifferten Ausgleich eine Entgelterhöhung um 1,20 Euro pro Stunde sowie höhere Jahreszulagen. Um das „Inflationsmonster stoppen“ zu können (so eine Parole ihres Tarifkampfs), verlangen sie entschieden einen Abschluss für zwölf Monate, um je nach wirtschaftlicher Entwicklung auch im nächsten Jahr tariflich handlungsfähig zu sein.
Etliche Hafenumschlagbetriebe insbesondere der größeren Häfen an Elbe, Weser und Jade haben in der jüngeren Vergangenheit in der Pandemie und dem aktuell globalen Lieferkettenchaos gut verdient. Trotzdem verweigert der ZDS bislang ein Nachgeben und will vor allem eine längere Tarifvertragslaufzeit durchsetzen. So hat die Arbeitgeberseite zuletzt ein als „final“ bezeichnetes Angebot vorgelegt, das sie selbst auf bis zu 12,5 Prozent beziffert – aber verteilt auf zwei Jahre. Die Gewerkschaft nennt das zwar einen „Schritt in die richtige Richtung“, nur sei die lange Laufzeit nicht hinnehmbar: Es sei „sehr problematisch“, dass im zweiten Laufzeitjahr nur eine niedrige Erhöhungsstufe ohne Möglichkeit einer Nachverhandlung vorgesehen sei. Gewerkschaft und Hafenbeschäftigte sehen darin angesichts der aktuellen Wirtschaftsentwicklung ein erhebliches Risiko eben für Reallohnsicherung und Inflationsausgleich auch in 2023.
Stau in der Deutschen Bucht
Selbstverständlich haben die Warnstreiks Folgen für den Umschlag: Die Zahl der in der Deutschen Bucht ankernden Schiffe, die dort im Zuge der seit vielen Monaten anhaltenden Probleme manchmal wochenlang auf Abfertigung warten, hat seit Beginn des jüngsten Warnstreiks prompt wieder zugenommen – auf derzeit rund drei Dutzend. In den Häfen indes schuften die Beschäftigten, seit langem auch mit ständig steigenden Überstunden, für die gesellschaftliche Versorgung, sehen sich aber gleichzeitig von Arbeitgeberseite seit Jahren unter Druck gesetzt mit ständigen Rationalisierungsplänen.
Wie bei harten Tarifauseinandersetzungen leider üblich, wird auch dieses Mal öffentlich und medial Stimmung gemacht gegen die Hafenbeschäftigten. Die Warnstreiks zeugten von einer völligen Verantwortungslosigkeit der Gewerkschaft, zitierte etwa der Infodienst Hansa einen Funktionär des Verbands Hamburger und Bremer Schiffsmakler (VHBS), der unter anderem auf die – siehe oben – Schiffs-Staus verwies: Kein Wort davon, dass die Ursache dafür in Pandemie und resultierenden Lieferkettenproblemen zu suchen ist. Auch mehrere Zeitungs- und Fernsehkommentare stimmen in dieses Konzert ein, während aus der Politik – so von Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann oder Bremens Häfensenatorin Claudia Schilling – für ein Schlichtungsverfahren plädiert wird.
Die Deutsche Verkehrszeitung sorgte sich wegen der Streiks um das Image der deutschen Häfen und drohte zugleich, die Streiks würden die „Automatisierungstendenzen im Umschlag noch verstärken“. Allerdings hält der Chef des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL), Burkhard Lemper, dagegen: In der Nordsee-Zeitung (Bremerhaven) wies er Befürchtungen, Reedereien könnten dauerhaft abwandern, als „wenig wahrscheinlich“ zurück. Auch die Häfen der westlichen Nachbarländer hätten mit Lieferkettenproblemen und Staus zu kämpfen, daher seien Ausweichmöglichkeiten „nicht wirklich vorhanden“. Und natürlich darf in diesem Kontext Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nicht unerwähnt bleiben: Der hatte kürzlich mit der Forderung nach Ausrufung eines „nationalen Notstands“ und einer Einschränkung des Streikrechts provoziert.
Vergleich sorgt für Unmut
Zurück zum aktuellen Konflikt: Mehrere Hafenlogistiker hatten versucht, den jüngsten Warnstreik vorab von Arbeitsgerichten per einstweiliger Anordnung stoppen zu lassen. In Wilhelmshaven, Oldenburg (für den Hafenstandort Brake) und Bremen ist das gründlich misslungen, die Gerichte haben die entsprechenden Anträge zurückgewiesen. In Hamburg wurde der Streit laut gerichtlicher Pressemitteilung vom Donnerstag mit einem Vergleich beigelegt: Zwar durfte der Warnstreik wie geplant bis heute früh durchgeführt werden. Beide Seiten verpflichteten sich aber zu mehreren weiteren Verhandlungsterminen – und es darf bis Ende August keine weiteren Arbeitskämpfe geben.
Aus derzeit nicht erläuterten Gründen soll sich ver.di jedoch bei diesem Vergleich darauf eingelassen haben, diese faktische Einschränkung des Streikrechts für den gesamten Tarifbereich, also nicht nur für Hamburg, gelten zu lassen. Bis Ende kommender Woche
sind zwischen ver.di und dem ZDS drei weitere Verhandlungstermine zu vereinbaren, die bis zum 26. August stattzufinden haben. Und in dieser Zeit, so die Einigung, dürfen keine
weiteren Arbeitskampfmaßnahmen durchgeführt werden.
Das weckt Unmut: Beim Protestmarsch durch Hamburg hatten mehrere tausend Kolleginnen und Kollegen lautstark ihr „Wir sind der Hafen!“ skandiert; einige Böller und Bengalos lieferten dabei der Polizei den Vorwand für ein Eingreifen. Das passt in gewisser Weise zum erwähnten Auftritt von Dulger: Während der für seine Provokation von politischer Seite nicht nennenswert getadelt wurde, unterstellte ver.di-Chef Frank Werneke ihm, er träume von einem „autoritären Staat, (…) der Arbeitnehmerrechte niederknüppelt“. Gestern bewahrheitete sich das in Hamburg: Mehrere Youtube-Videos zeigen die Heftigkeit der Polizeiübergriffe gegen demonstrierende Hafenarbeiter. Unmittelbar nach der Demonstration folgte aber die Reaktion: Unter der Parole „Gegen jede Einschränkung des Streikrechts!“ mobilisierten Hafenarbeiterin Jana Kamischke und ihr Kollege Deniz Askar Dreyer aus Hamburg daraufhin per Internetvideo zum Protest gegen Polizeieinsatz und das Verbot weiterer Warnstreiks – und starteten eine Onlineresolution, die momentan in beachtlichem Tempo Unterstützung findet.
Nachtrag 27. Juli:
Während heute die gemäß oben beschriebener Gerichts-Vorgabe erste von drei weiteren Verhandlungsrunden zwischen ver.di und ZDS ergebnislos abgebrochen worden ist, findet die Resolution von Kamischke und Dreyer immer mehr Zuspruch. Aktuell weist die Liste der Unterzeichnenden mehr als 3700 Unterschriften aus – das sind mehr als 30 Prozent der vom aktuellen Tarifstreit betroffenen 12.000 Hafenbeschäftigten. Auch wenn eine Kontrolle der Authentizität schwierig ist: Die überwiegende Mehrheit der Unterstützenden bekennt sich ausdrücklich zur Mitgliedschaft bei ver.di, selbst manche Vertrauensleute und Betriebsräte sind offenbar dabei. Allerdings: Eine Reaktion des ver.di-Fachbereichs Maritime Wirtschaft fehlt bislang.