Die maritime Wirtschaft schaut nicht nur gespannt auf die noch laufende Tarifrunde für die norddeutschen Seehäfen, sondern auch über den Ärmelkanal: Ab heute wird Felixstowe, Großbritanniens großer Containerhafen, für acht Tage bestreikt; und in Liverpool läuft eine Urabstimmung für einen noch nicht terminierten Ausstand. Beide Arbeitskämpfe werden sich massiv auch auf hiesige Häfen auswirken.
In Felixstowe hatten sich laut einer Mitteilung der Gewerkschaft Unite die organisierten Hafenbeschäftigten Ende Juli mit massiver Mehrheit für einen Streik ausgesprochen. Die von der Felixstowe Dock and Railway Company (FDRC) angebotene Lohnerhöhung von nur fünf Prozent nannte Unite „eine effektive Gehaltskürzung“, da die reale Inflationsrate derzeit bei 11,9 Prozent liege. Anfang dieses Monats scheiterte ein Vermittlungsversuch durch den Advisory, Conciliation and Arbitration Service (ACAS), einer nach britischem Arbeitsrecht vorgeschriebenen Schlichtungsstelle: Die FDRC erhöhte ihr Angebot zwar auf sieben Prozent, das genügt Unite aber nicht annähernd. Damit ist der angekündigte Acht-Tage-Streik von mehr als 1900 organisierten Hafenbeschäftigten nun unausweichlich.
Parallel dazu spitzt sich auch im Hafen von Liverpool die Lage zu: Zunächst hatten mehr als 500 Hafenarbeiter einen Arbeitskampf beschlossen, nachdem auch ihr Arbeitgeber, die Mersey Docks and Harbour Company (MDHC), nicht über ein Sieben-Prozent-Angebot hinaus gehen wollte, zugleich wirft Unite der MDHC vor, eine Lohnvereinbarung aus 2021 nicht eingehalten zu haben. Eine Terminentscheidung soll es erst geben, wenn eine noch laufende Urabstimmung wegen des gleichen Lohnangebots unter den Wartungstechnikern des Hafens beendet ist.
Historische Dimension
In beiden Häfen finden die geplanten Arbeitskampfmaßnahmen beträchtlichen Rückhalt – Ausdruck der Stimmung unter den Beschäftigten: In Felixstowe beteiligten sich 81 Prozent der Unite-Mitglieder an der entscheidenden Urabstimmung, 92 Prozent von ihnen votierten für den morgigen Streik. In Liverpool sprachen sich bei einer Beteiligung von 88 Prozent sogar 99 Prozent der Hafenarbeiter für Streik aus (das Votum der Ingenieure folgt) – eine Entscheidung von historischer Bedeutung: Denn der nordwestenglische Mersey-Hafen hatte vor 25 Jahren internationale Schlagzeilen gemacht wegen eines 27 Monate und 29 Tage dauernden Arbeitskampfs, der seitens der MDHC, unterstützt von Politik und Polizei, mit brutaler Härte geführt worden war und nur dank weltweiter Solidarität durchgehalten werden konnte.
Der nordwestenglische Hafen von Liverpool ist nur mittelgroß, mit einem Jahresumschlag von rund 8,5 Millionen Tonnen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Massengut und Öl, aber auch beträchtliche Containermengen – allerdings überwiegend befördert von kleinen und mittleren Schiffen. Hingegen ist Felixstowe der größte Containerhafen des Landes, wenn man die umgeschlagenen Boxen zählt – hinsichtlich der Zahl abgefertigter Schiffe rangieren London Gateway, aber auch Southampton deutlich vor dem ostenglischen Hafen. Das liegt daran, dass Felixstowe sehr viel stärker als alle anderen britischen Häfen von den großen und größten Containerfrachtern angelaufen wird: 48 Prozent allen Containerumschlags des Inselreichs laufen über Felixstowe.
„Äußerst profitabel“
Beiden Häfen gemeinsam ist, dass ihre Betreibergesellschaften den Angaben von Unite zufolge keinerlei Probleme hätten, ihre Belegschaften so zu bezahlen, dass diese sich gegen die Folgen der massiven Inflation behaupten könnten. MDHC, das 2021 einen Gewinn von mehr als 30 Millionen Pfund Sterling erzielte, gehört der Peel Group des britischen Multimilliardärs John Whittaker – beide haben ihren Sitz im Steuerparadies Isle of Man –, ein australischer Investmentfonds ist der zweitgrößte Investor der Gruppe. Die FDRC hat laut Unite im Jahre 2020 einen Vorsteuergewinn von rund 61 Millionen Pfund erzielt (ca. 72,42 Millionen Euro) und im selben Jahr 99 Millionen Pfund (ca. 117, 54 Millionen Euro) an Dividenden ausgeschüttet; zudem gehört die FDRC zum ganz überwiegenden Teil der global aktiven Holdinggesellschaft Hutchison, einem an der Börse Hongkong notierten, aber im Steuerparadies der Cayman Inseln registrierten Konzern. Unite-Generalsekretärin Sharon Graham betont, in beiden Fällen handele es sich um „äußerst profitable und unglaublich wohlhabende“ Eigner. Die aktuellen Konflikte in den Häfen seien ein „weiteres Beispiel dafür, warum die Arbeiter in diesem Land genug haben“.
Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form gestern auch in der Tageszeitung „junge Welt“ erschienen.