Nach zweijähriger, pandemie-bedingter Pause haben die Gewerkschaft ver.di und die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) in der vergangenen Woche wieder Tarif- und Sozial-Kontrollen in mehreren deutschen Seehäfen durchgeführt: „Baltic Week“ hieß die Aktionswoche auch in diesem Jahr, obwohl sie inhaltlich wie räumlich über die Ostseeregion weit hinaus reicht.
Im Zuge dieser Kontrollen gehen ITF-Inspektoren und Gewerkschaftsvertreter an Bord verschiedener Schiffe in neun deutschen Häfen nicht nur an der namensgebenden Ostsee, sondern auch in Hamburg, Bremen, Bremerhaven oder Wilhelmshaven. Im Zuge dieser Schiffsbegehungen werden Sozialräume und andere Teile des Schiffes ebenso inspiziert wie die Arbeits- und Schutzbedingungen der Besatzungen, es werden Heuerverträge überprüft oder die Einhaltung von Tarifverträgen.
Und es wird das Gespräch mit den Seeleuten gesucht, die häufig noch immer unter den Folgen der Pandemie zu leiden haben: Blockierte Mannschaftswechsel und Probleme bei Urlaub, Heimreise, Landgängen oder medizinischer Versorgung hatten bekanntlich weltweit Hunderttausende Seeleute unter Druck gesetzt und ihnen vertragswidrig lange Arbeitszeiten abgenötigt. Aktuell betont ver.di nachdrücklich, die Auswirkungen seien wegen anhaltend gestörter Lieferketten bis heute spürbar: Zwar lobte die Politik vielfach und lautstark die herausragende Bedeutung von Seeleuten für die Sicherung der logistischen Versorgung, nur sind das bislang meist Lippenbekenntnisse geblieben.
Folglich geht es in den Gesprächen an Bord immer wieder und zunehmend häufig um massive Verschlechterung nicht nur der körperlichen, sondern auch der seelischen Gesundheit: „Oftmals können die Seeleute aufgrund von fehlendem Internet keinen Kontakt zu ihren Familien aufnehmen“, erläuterte etwa ver.di-Schifffahrtssekretär Peter Geitmann vor Beginn der diesjährigen Aktionswoche, „das führt häufig zu psychischen Problemen der Betroffenen“. Vertragsverlängerungen und lange Seezeiten, Probleme bei der Rückführung, Nichteinhaltung vorgeschriebener Ruhezeiten – all dies und mehr stresst die Seeleute, die unter dem Druck häufig knapp befristeter Heuerverträge um ihre Jobs und ihre Zukunft bangen und daher oft stillhalten müssen.
Seit Jahren regelmäßige Kontrollen
Die „Baltic Week“ war vor mehr als zehn Jahren zunächst in den Häfen der Ostseeanrainerstaaten gestartet und alsbald auf deutscher Seite auch auf die Nordseehäfen ausgeweitet worden. ver.di-Aktive und ITF-Inspektoren werden dabei von etlichen Ehrenamtlichen unterstützt. Es sind übrigens überwiegend Hafenarbeiter, die ihre Freizeit solidarisch dafür opfern, den Seeleuten zu helfen. Hin und wieder mussten Schiffe, deren Kapitäne oder Reeder Inspektionen verweigerten oder blockierten, dann allerdings auch verzögerte Abfertigung in Kauf nehmen.
Traditionell ist die Aktionswoche „Baltic Week“ zwar Teil der weltweiten ITF-Kampagne gegen Sozialdumping an Bord so genannter „Billigflaggen“-Schiffe – trotzdem konzentrieren sich die aktuellen Schiffsbesuche und Bordgespräche eher auf die Situation der Seeleute als auf das grundsätzliche Problem der Ausflaggung von Handelsschiffen: Bekanntlich schreiben internationale Verträge wie das Seerechtsübereinkommen vor, dass zwischen Schiff und Flaggenstaat „eine echte Verbindung bestehen“ müsse. Dennoch können etwa deutsche Reeder ihre Schiffe in Oldenburg unter Antigua-Flagge oder in Hamburg unter der der Marshall Islands registrieren – laut ITF zwei von 42 gebräuchlichen „Billigflaggen“ mit niedrigeren Steuer-, Sicherheits- und/oder Sozial-Normen als hierzulande üblich.
Staaten wie Deutschland fördern solche Praktiken mit gesetzlichen und steuerlichen Vorschriften. An Bord betroffener Schiffe bekommen beispielsweise osteuropäische Offiziere unbefristete Verträge, philippinische Mannschaftsdienstgrade aber nur Zeitverträge über 2-3 Monate. Auch eine weitere Folge ist hinlänglich bekannt, bleibt aber bislang folgenlos: Nur 16,2 Prozent der deutschen Handelsschiffe fahren auch unter deutscher Flagge, die maritime Wirtschaft beklagt das Fehlen qualifizierten Nachwuchses, Reeder und Eigner werden aber dennoch – so jüngst der Steuerzahlerbund – ungewöhnlich hoch subventioniert. Diese Fragen aber waren während der „Baltic Week 2022“ kein Thema, das bestätigte ein Insider auf Anfrage.